Das Feedback der Patienten kann helfen, die Sicherheit in der ambulanten Versorgung zu stärken und Fehler zu vermeiden.
Fehlerprävention

Aus Erfahrungen der Patienten lernen

Nicht jede Arztbehandlung läuft wie geplant und zur Zufriedenheit des Patienten ab. Mit „Frag-mich“ hat das Bundesgesundheitsministerium einen Fragebogen entwickeln lassen, um die Fehlerprävention in Arztpraxen zu verbessern. Von Dr. Katja Stahl und Dr. Oliver Gröne

Die Arztpraxis

ist für die meisten Patientinnen und Patienten der erste und auch häufigste Anlaufpunkt im Gesundheitswesen. Lange Zeit fokussierte sich die Diskussion zum Thema Patientensicherheit nur auf die stationäre und nicht auf die ambulante Versorgung. Studienergebnisse zeigen jedoch, dass zwei bis zehn Prozent der ambulanten Behandlungen kritische beziehungsweise sicherheitsrelevante Ereignisse, sogenannte patient safety events (PSE), aufweisen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Patient eine ihm bekannte Penicillinallergie hat, bei der Anamnese aber nicht nach bekannten Allergien gefragt und daher kein Warnhinweis in der Patientenakte angebracht wird.

Sicherheitsrelevante Themenbereiche betreffen in der ambulanten Versorgung insbesondere die Arzneimitteltherapie, die Diagnostik sowie die Kommunikation im Praxisteam und mit den Patienten. Um solche Ereignisse systematisch aufzudecken und zukünftige Fehler zu vermeiden, ist es unerlässlich, die Erlebnisse von Patienten aus dem ambulanten Sektor in die Analyse mit einzubeziehen. Für den deutschsprachigen Raum fehlten bisher geeignete Instrumente, um Patientenbefragungen durchzuführen. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) förderte deshalb die Entwicklung eines Fragebogens, um Erfahrungen von Patienten mit kritischen Ereignissen und entsprechenden Faktoren, die zu diesen Vorfällen führen können, zu erfassen. Es beauftragte den Dienstleister OptiMedis mit der Erstellung eines solchen Messinstruments.

Über dreitausend Patienten befragt.

Die Fragebogenentwicklung erfolgte in drei Schritten. Nach einer ersten Orientierung über den Stand der Forschung fand eine systematische, dreistufige Gruppenbefragung, ein sogenanntes Delphi-Verfahren, mit elf Expertinnen und Experten statt. Danach wurde vorab mit zwölf Patienten geprüft, wie verständlich der entwickelte Fragebogen ist. Aus den Ergebnissen entstand ein frei verfügbarer Fragebogen mit 22 Fragen zu folgenden Themenfeldern: Zugang zur Versorgung, Kommunikation zwischen Patienten und den behandelnden Fachkräften, Medikationssicherheit, Koordination der Versorgung sowie zur Erfahrung mit dem Auftreten von PSE.

• BMG-Abschlussbericht zum Fragebogen „Frag-mich“. Download
• „Frag-mich“: Frei verfügbarer Fragebogen für interessierte Ärztinnen und Ärzte

In Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe und dem Aktionsbündnis Patientensicherheit setzten die Forscher den Fragebogen in neun haus- und 13 fachärztlichen Praxen in einem Mix aus Online- und Papierform ein und legten ihn über dreitausend Patienten vor. Zeitpunkt und Ort für das Ausfüllen konnten die Teilnehmer frei wählen. Voraussetzung für die Teilnahme war ein Mindestalter von 18 Jahren sowie ausreichende Deutschkenntnisse.

Probleme beim Versorgungszugang.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Patienten gute Erfahrungen mit sicherheitsrelevanten Versorgungsaspekten gemacht haben. Zwischen 70 und 96 Prozent der Befragten berichteten, dass sie den jeweiligen Versorgungsaspekt „Immer“ oder „Oft“ erlebten. Für die Hälfte der Fragen lag dieser Anteil bei 90 Prozent und höher. So gaben knapp 60 Prozent der Befragten an, dass ihr Arzt ihnen immer die Behandlungsalternativen inklusive Vor- und Nachteilen erklärt habe (siehe Kasten).

Diskutieren lässt sich, inwieweit im Kontext der Patientensicherheit eine Versorgungssituation anzustreben ist, in der diese Aspekte immer als erfüllt angesehen werden. Am häufigsten nannten die Patienten Probleme beim Zugang zur Versorgung, bei der internen Praxisorganisation sowie der Koordination mit anderen Leistungserbringern.

Fragebogen regelmäßig einsetzbar.

Insgesamt haben 2,9 Prozent der Befragten in den letzten zwölf Monaten ein PSE erlebt. Von diesen knapp drei Prozent gaben 53,6 Prozent an, dadurch einen Schaden erlitten zu haben. Von den Befragten waren sich drei Prozent nicht sicher, ob sie tatsächlich ein solches kritisches Ereignis erlebt hatten. 12,4 Prozent meinten, dies nicht beurteilen zu können. Der Fragebogen soll sich für den regelmäßigen Gebrauch unabhängig von der Fachdisziplin einsetzen lassen. Deshalb erfolgte die Messung erlebter Fehler und daraus resultierender Schäden jeweils über eine allgemeine Frage.

Umfrage: Wie Patienten fehlerbegünstigende Faktoren bewerten

Ein Patienten-Fragebogen gibt Aufschluss über sicherheitsrelevante Aspekte in der ambulanten Versorgung. Mehr als 3.000 Patienten bewerteten das Verhalten ihrer Ärzte in dieser Hinsicht überwiegend positiv. Rund die Hälfte der Befragten (51,5 Prozent) gab beispielsweise an, dass die Ärzteseite das Verstehen der Erklärungen immer sichergestellt habe. Doch es zeigte sich auch Verbesserungspotenzial: So fragte nach Auskunft der Patienten rund ein Viertel der Ärzte nur manchmal, selten oder nie nach den Verordnungen der Kollegen.

Quelle: OptiMedis AG

Im Vergleich zu anderen Studien war der Anteil von Patienten, die einen Fehler erlebt hatten, deutlich geringer. Denkbar ist, dass eine allgemein formulierte Frage weniger sensitiv ist als eine Frage, in der das Erleben konkreter Fehlersituationen anhand einer Auswahlliste mit Fehlerbeispielen erhoben wird. Außerdem scheint auch der für das Konzept des Fehlers gewählte Begriff eine Rolle zu spielen. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf.

Hohes Interesse an Feedback.

Die teilnehmenden Praxisteams bewerteten die praxisindividuellen Ergebnisberichte als gut verständlich. Die Praxisteams waren sich durchaus bewusst, dass eine standardisierte und wiederkehrende Bewertung solcher Patientenerfahrungen für die Patientensicherheit auf nationaler Ebene notwendig ist. Sie wiesen aber darauf hin, dass sich zu viel Regulation und Kontrolle kontraproduktiv auf die Einstellung der Ärzte auswirken könnte. Klar ist jedoch, dass eine sichere Versorgung nur durch eine Kombination aus verschiedenen Ansätzen zur Messung und Verbesserung gelingen kann. Einen wichtigen Baustein dazu liefern Patientenrückmeldungen.

Der „Frag-mich“-Fragebogen kann dazu beitragen, im Routineeinsatz Faktoren zu messen, die zum Auftreten von PSE in der ambulanten Versorgung führen. Eine Teilnahmequote von 71 Prozent bei der Erprobung des Fragebogens zeigt, dass Patienten durchaus ein hohes Interesse haben, ihren Ärzten Feedback zu geben. Ein ergänzender Mechanismus gewährleistet, dass die Rückmeldungen der Patienten automatisiert, anwenderfreundlich und zeitnah in die Arztpraxen gelangen.

Katja Stahl ist Managerin im Bereich Research & Innovation bei der OptiMedis AG.
Oliver Gröne ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der OptiMedis AG.
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