Porträt
Kommentar

Unvorbereitet in vierte Welle

Experten sagen seit langem einen starken Anstieg der Corona-Zahlen im Herbst voraus. Doch die Politik hat sich zu wenig auf diesen Fall vorbereitet, meint Tim Szent-Ivanyi.

Corona? War da was?

Im Wahlkampf spielte die Pandemie keine Rolle, unmittelbar nach der Bundestagswahl auch nicht. Die Menschen haben schließlich die Nase voll von Beschränkungen, von Masken und Abstandsregeln. Sie wollen ihr normales Leben zurück, das wissen auch die Parteien.

Aber die Pandemie ist nicht vorbei. Noch immer sind nicht genug Menschen geimpft, auch um die zu schützen, für die noch kein Vakzin zur Verfügung steht. Zwar verläuft eine Corona-Infektion bei Kindern selten schwer. Aber es kann zu langwierigen Folgeerkrankungen kommen.

Virologen befürchten, dass die vierte Welle mit Beginn der kalten Jahreszeit anrückt. Außerdem besteht die Gefahr, dass angesichts des weiterhin schleppenden Impffortschritts in vielen Entwicklungsländern neue, gefährliche Mutationen entstehen, die sich dann auch in Europa rasant ausbreiten.
 
Gut vorbereitet ist Deutschland darauf nicht. Obwohl absehbar war, dass das Land nach der Wahl aufgrund schwieriger Koalitionsverhandlungen längere Zeit ohne neue Regierung dastehen wird, wurden für diese Hängepartie kaum Vorkehrungen getroffen.

Die Politik wollte Wähler nicht verprellen.

Die bisherige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist zwar geschäftsführend weiter im Amt und kann durch Verordnungen noch einiges in der Pandemiebekämpfung auf den Weg bringen. Doch für Entscheidungen mit größerer Tragweite, die bei einer unerwarteten Pandemieentwicklung nötig werden könnten, fehlt der amtierenden Regierung die Legitimation.
 
Und dennoch hieß die Devise vor der Wahl: Augen zu und durch. Um keine Wähler zu verprellen, wurde etwa darauf verzichtet, für den Fall einer neuen Welle bundesweit einheitliche Einschränkungen für Ungeimpfte festzulegen, beispielsweise in Form einer verpflichtenden 2G-Regel in Gaststätten oder bei Sportveranstaltungen. 3G in Fernzügen und auf Inlandsflügen wurde ebenso vertagt. Die Impfkampagne dümpelt vor sich hin und bräuchte mehr Ideen; die Ausstattung von Schulen und Kitas mit Lüftungsanlagen ist – vorsichtig ausgedrückt – weiterhin unzureichend.
 
Und die Epidemie-Notlage, die im Zweifel schnelles Handeln erlaubt und die die große Koalition nur auf Druck der Länder Ende August verlängert hat, läuft Ende November ersatzlos aus. Es ist ungewiss, ob es bis dahin eine neue, handlungsfähige Bundesregierung gibt.

Tim Szent-Ivanyi ist Korrespondent beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Bildnachweis: Markus Wächter