Einwurf

Für Chancengleichheit sorgen

Die Corona-Pandemie hat einmal mehr gezeigt, dass Armut Gesundheitsrisiken birgt. Um mehr Chancengleichheit zu erreichen, ist eine gesundheitsorientierte Gestaltung aller Lebensbereiche unerlässlich, meint Prof. Dr. Martin Dietrich.

Foto von Martin Dietrich, kommissarischer Direktor der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)

Die Chancen auf eine gute Gesundheit

sind aufgrund von Armut und sozialer Ungleichheit ungleich verteilt. Das belegen zahlreiche Studien. Die Arbeitssituation, Wohnbedingungen oder unterschiedliche Zugänge zu gesundheitlichen Vorsorge- und Versorgungsstrukturen beispielsweise wirken sich direkt oder indirekt auf die Gesundheit aus. Ein niedriger sozioökonomischer Status in der Kindheit ist häufig Ausgangspunkt für einen lebenslangen Prozess, der die gesundheitliche und psychosoziale Entwicklung prägt. Ergebnisse zu sozialen Unterschieden in der Lebenserwartung verdeutlichen, dass Menschen aus sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen deutlich kürzer leben als Menschen aus sozial besser gestellten.

Viele Herausforderungen der Pandemie hängen eng mit dem sozialen Status zusammen. Studien zeigen, dass soziale Ungleichheiten weltweit sowohl beim Infektionsrisiko, der Erkrankungsschwere, den Mortalitätsraten als auch bei den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sichtbar werden. So gab es insbesondere in Stadtteilen mit hoher Wohnraumdichte, niedrigem Durchschnittseinkommen und höheren Armutsquoten mehr Neuinfektionen sowie mehr Krankenhauseinweisungen und Sterbefälle. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wirkten sich insbesondere auf sozial Benachteiligte aus. Diese waren durch beengte Wohnverhältnisse, schlechtere digitale Ausstattung der Kinder, keine Homeoffice-Optionen für prekär Beschäftigte oder eingeschränkte Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder Alleinerziehender sowieso schon benachteiligt.

Die Pandemie zeigt einmal mehr, dass die komplexe Aufgabe, für mehr Chancengleichheit zu sorgen, eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik erfordert. So ist Gesundheitsförderung nicht ausschließlich im Gesundheitssektor zu verorten, sondern berührt auch andere Lebensbereiche wie Bildung, Arbeit, Soziales, Stadtentwicklung, Wohnen und Klima. Daher ist eine gesundheitsorientierte Gestaltung aller Lebensbereiche im Sinne von „Health in All Policies“ in den verschiedenen Sektoren unerlässlich.

Pandemie-Maßnahmen wirken sich insbesondere auf sozial Benachteiligte aus.

Gesundheitsfördernde Maßnahmen und Strukturen müssen vorrangig in alltäglichen Lebenszusammenhängen wie in der Kommune oder im Stadtteil, Arbeitsplatz, Pflegeeinrichtung, Schule und Kindergarten angeboten werden. Unterstützungsstrukturen wie Nachbarschaftsnetzwerke und Selbsthilfe sowie gemeinsame Aktivitäten zur selbstbestimmten Gestaltung der Lebenswelt sind zu stärken. Dazu müssen entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden. Außerdem ist es notwendig, die Gesundheitsdienste neu auszurichten. Denn hinsichtlich unseres Versorgungssystems hat die Corona-Pandemie Verbesserungsmöglichkeiten offengelegt. Die intensive ressortübergreifende Zusammenarbeit in der Pandemie bietet bereits eine tragfähige Basis. Sie sollte weiter ausgebaut werden, um auf Herausforderungen wie den demografischen Wandel, die Digitalisierung, die Versorgung in ländlichen Regionen und den Klimawandel gezielt reagieren zu können.
 
Um gesundheitliche Ungleichheiten abzubauen, brauchen wir ein bürgernahes, vernetztes, partnerschaftliches und agiles Arbeiten mit Akteuren aus Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Die Eckpunkte des im vergangenen Jahr beschlossenen „Paktes für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ zur personellen Aufstockung, Modernisierung und Vernetzung der Gesundheitsämter in ganz Deutschland bieten dafür eine gute Grundlage. Auch der Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit, der durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung getragen wird, stellt hierfür wichtige Arbeits- und Vernetzungsstrukturen bereit.

Um die Gesundheit der Menschen global und nachhaltig zu sichern, wird es zudem unabdingbar sein, Gesundheitsschutz mit Umwelt- und Klimapolitik gemäß des One-Health-Ansatzes der Weltgesundheitsorganisation auch auf regionaler und kommunaler Ebene zu verbinden.

Martin Dietrich ist kommissarischer Direktor der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Bildnachweis: Carsten Kobow