Porträt
Kommentar

Gefräßiges System

Um der Finanzmisere in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu begegnen, müssen Sparpotenziale gehoben werden, meint Dr. Christian Geinitz. Das gelte vor allem für den Kliniksektor.

Das nennt man wohl

„aus dem Ruder laufen“: Statt wie in normalen Jahren 14,5 Milliarden Euro erhält die GKV 2022 fast das Doppelte an Bundeszuschüssen – sage und schreibe 28,5 Milliarden Euro. Schon 2020 und 2021 waren die Zuwendungen aufgestockt worden, aber der jetzige Wert ist ein Rekord. Zunächst hatte der Bund sieben Milliarden Euro zusätzlich für 2022 bereitgestellt. Doch nach dem Treffen des Schätzerkreises aus GKV-Spitzenverband, Bundesamt für Soziale Sicherung und Bundesgesundheitsministerium wurde amtlich, was schon lange gewiss war: Dass noch einmal die gleiche Summe nötig wird, um Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen.

Die Politik schiebt die steigenden Kosten gern auf die Pandemie, und die Öffentlichkeit findet sich damit ab. Was sind schon 14 Milliarden zusätzlich aus dem Steuersäckel in „Bazooka-Zeiten“? Tatsächlich aber liegt die Misere der GKV nicht am Virus. Viel stärker schlagen die wachsenden Leistungsaus­gaben im Zuge der Reformen von Minister Jens Spahn (CDU) zu Buche. Daran ist nicht alles falsch, nur vergrößert der damit verfolgte medizinisch-technische Fortschritt in Zusammenhang mit der Demografie die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen: Immer weniger Junge und Gesunde zahlen für immer mehr Kranke, die immer länger leben und besser versorgt werden.

Die Misere der GKV liegt nicht am Corona-Virus.

Eigentlich müssten deshalb die GKV-Beiträge steigen. Doch hat die scheidende Bundesregierung eine „Sozialgarantie“ von 40 Prozent für alle Versicherungsbeiträge abgegeben, die auch 2022 noch gilt. Seit der GKV-Zusatzbeitrag auf durchschnittlich 1,3 Prozent gestiegen ist, gibt es keinen Spielraum mehr, das zusätzliche Geld muss der Logik nach aus dem Bundeshaushalt kommen.

Diese Argumentation übersieht zweierlei: Zum einen, dass in den Kassenreserven noch immer Milliarden schlummern, die man teil­weise auflösen könnte, ohne die Mindestrücklagen zu gefährden. Zum anderen, dass es immense Sparpotenziale auf der Ausgabenseite gibt. Das gilt vor allem für die viel zu vielen Klinikbetten, die auf Teufel komm raus mit unnötig stationär behandelten Patienten belegt werden müssen – und damit das Personal wie auch die Finanzen der Krankenkassen an ihre Grenzen bringen. An der über­fälligen Krankenhausreform, an den unnötigen Aufwendungen muss die neue Koalition ansetzen, anstatt immer neue Milliarden in ein unersättliches System zu pumpen.

Christian Geinitz ist Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
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