Früherkennungsuntersuchungen wie das Hautkrebs-Screening sind ein zentraler Baustein im Kampf gegen Krebserkrankungen.
Krebsprävention

Vorsorge hat oft das Nachsehen

In der Pandemie haben weniger Menschen ihren Anspruch auf Krebs-Früherkennung wahrgenommen. Und schon vorher lag bei der Vorsorge viel Potenzial brach. Aufschluss über mögliche Gründe gibt eine aktuelle Umfrage. Von Dr. Gerhard Schillinger und Jürgen Klauber

Früherkennung ist eine

wichtige Strategie im Kampf gegen Krebs. Sie bietet die Chance, Krebs in einem Anfangsstadium zu erkennen und ihn dann noch gut behandeln zu können. Darüber hinaus lassen sich Gebärmutterhalskrebs und Darmkrebs sogar verhindern, indem Ärzte entdeckte Vorstufen entfernen. So hat die Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs dazu geführt, dass die Zahl der Neuerkrankungen binnen 50 Jahren von 16.000 auf 4.300 im Jahr gesunken ist. Dennoch nutzen zu wenige Menschen in Deutschland diese Möglichkeit, einer schwerwiegenden Erkrankung vorzubeugen. Das zeigen aktuelle Zahlen aus dem Wissenschaftlichen Ins­titut der AOK (WIdO). Eine Forsa-Umfrage deckte mögliche Gründe auf: Dazu gehören auch Scham und Angst vor dem Ergebnis der Untersuchungen. Die AOK hat deshalb im Oktober eine Vorsorge-Kampagne gestartet (siehe Kasten „Kampagne: Offen über Früherkennung reden“).

Teilnahmerate ermittelt.

Das WIdO hat die Teilnahme der anspruchsberechtigten AOK-Versicherten im Längsschnitt von zehn Jahren untersucht. Die Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung war bis 2019 für alle Altersgruppen jährlich vorgesehen. Ab dem Alter von 35 wird die Untersuchung inzwischen mit einem Test auf Humane Papillomviren kombiniert und dann nur noch alle drei Jahre angeboten. Jede vierte Frau hat in mindestens acht von zehn Jahren an dieser Früherkennung teilgenommen. Über 80 Prozent der Frauen im Alter von 29 bis 40 Jahren haben in mindestens drei der vergangenen zehn Jahre teilgenommen, also in etwa alle drei Jahre. Das entspricht den Empfehlungen der evidenzbasierten europä­ischen Leitlinie.

Das Thema Früherkennung ist vor allem Männern peinlich. Die Scham sinkt mit steigendem Alter.

Anders sieht es bei den Männern hinsichtlich der Prostatakrebs-Früherkennung aus. Auch diese Untersuchung soll ab dem Alter von 45 jährlich erfolgen. Doch nur knapp jeder dritte Mann, der im Jahr 2020 54 bis 70 Jahre alt war, nahm zumindest in drei der vergangenen zehn Jahre an dieser Untersuchung teil. Bei den über 70-Jährigen war es knapp jeder zweite.

Mehr als die Hälfte nicht erreicht.

Einen Anspruch auf Darmspiegelung (Koloskopie) zur Krebs-Früherkennung haben Frauen erstmalig im Alter zwischen 55 und 65 und Männer zwischen 50 und 65. Die Auswertung von Registerdaten zur Darmkrebs-Früherkennung ergab, dass sich mit dem Koloskopie-Screening in den ersten zehn Jahren durch die Entfernung von Krebsvorstufen 180.000 Dickdarmkarzinome verhindern ließen. Das entspricht einer ersparten Darmkrebserkrankung bei 28 Untersuchungen. Dabei ist das Potenzial der Vorsorge noch lange nicht ausgeschöpft: Die Datenanalyse des WIdO zeigt, dass insgesamt nur 41 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen diese Untersuchung in den ersten zehn Jahren des Anspruchs darauf auch wahrgenommen haben.

Noch geringer ist die Beteiligung am Hautkrebs-Screening. In vier von zehn Jahren nahmen gerade einmal 16 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer teil. Die Brustkrebsfrüherkennung durch Mammografie ist mit einem Einladungswesen verbunden. Regelmäßig, das heißt in vier von zehn Jahren wurden so immerhin 50 Prozent der Frauen zwischen 65 und 69 erreicht. Allerdings nehmen 25 Prozent der Frauen überhaupt nicht teil.

Zahl der Krebs-OPs sinkt in der Pandemie.

Die Corona-Pandemie hat der Nachfrage nach Früherkennung zusätzlich einen Dämpfer versetzt. Im Pandemiejahr 2020 wurden bei gesetzlich Versicherten im Vergleich zu 2019 20 Prozent weniger Untersuchungen zur Früherkennung von Hautkrebs vorgenommen. Beim Mammografie-Screening und der Tastuntersuchung der Pros­tata betrug der Rückgang jeweils acht Prozent, beim Screening auf Gebärmutterhalskrebs sechs Prozent. Lediglich die Koloskopien zur Früherkennung von Darmkrebs verzeichneten 2020 ein leichtes Plus von zwei Prozent.

Mit der Kampagne „Deutschland, wir müssen über Gesundheit reden“ rückt die AOK die Krebs-Früherkennung stärker in den Fokus der Öffentlichkeit und motiviert Menschen, die gesetzlich vorgesehenen Untersuchungen wahrzunehmen. Sie umfasst unter anderem TV-Spots und Anzeigen zum Thema Früherkennung. „Mit diesen Kommunikationsmaßnahmen wollen wir gerade jetzt, in der nach wie vor andauernden Pandemie, einen Anstoß geben, einen Termin bei seinem Arzt oder bei der Ärztin zu vereinbaren und gegebenenfalls versäumte Untersuchungen nachzuholen“, erklärt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.

 

 Weitere Informationen über die Kampagne (am Ende des Videomitschnitts Einblicke in TV-Spot)

Internationale Studien belegen Rückgänge der Inanspruchnahme von Krebs-Früherkennung und Diagnostik sowie der Krankenhauseinweisungen aufgrund von Krebs seit Pandemiebeginn beispielsweise für die USA, Brasilien, Großbritannien oder Spanien. Eine aktuelle Auswertung des WIdO zeigt, wie sich bei den AOK-Versicherten die Eingriffe im Krankenhaus bei Darm- und Brustkrebs seit Pandemiebeginn bis Juli 2021 entwickelt haben. Im gesamten Pandemie-Zeitraum von März 2020 bis Juli 2021 ist die Zahl der Darmkrebsoperationen um 13 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Operationen infolge von Brustkrebs ist um vier Prozent gesunken.
 
Die Rückgänge bei den Krebsoperationen können in den Fällen weniger problematisch sein, in denen kein akuter Handlungsbedarf besteht oder therapeutische Alternativen gewählt werden konnten. Ein ernsthaftes Problem dürfte aber durch die ausgebliebene Diagnostik entstehen: Auch Fälle, in denen dringender Behandlungsbedarf besteht, sind dadurch möglicherweise in den vergangenen Monaten nicht erkannt worden. Mittelfristig könnte sich dies in einem Anstieg höherer Schweregrade in den Krebsregistern zeigen und auf die Sterblichkeit auswirken.

Kein Gesprächsthema unter Freunden.

Um den Gründen für die schon vor der Pandemie bestehenden Lücken zwischen Angebot und Nachfrage bei der Krebsfrüherkennung auf die Spur zu kommen, hat der AOK-Bundesverband eine Forsa-Umfrage in Auftrag gegeben (siehe Kasten „Umfrage: Einstellungen zur Krebsvorsorge“). Die Ergebnisse belegen zunächst eine große Offenheit für die Vorsorge: Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie regelmäßig zu Krebs-Früherkennungsuntersuchungen gehen. Fast jeder Vierte gab aber auch an, dass er sich nicht für Krebsvorsorge interessiert. Die Affinität ist bei Frauen deutlich stärker als bei Männern. Mit dem Alter steigt auch bei Männern die Compliance an. 43 Prozent der Befragten haben Angst, dass bei einer Vorsorgeuntersuchung Krebs entdeckt wird. Bedenken, dass eine Untersuchung unangenehm oder schmerzhaft sein könnte, haben 23 Prozent der Befragten.

Umfrage: Einstellungen zur Krebsvorsorge von Frauen und Männern im Balkendiagramm

Rund zwei Drittel aller Erwachsenen in Deutschland gehen nach eigenen Angaben regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen (Frauen: 78 Prozent, Männer: 54 Prozent). Das hat eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des AOK-Bundesverbandes ergeben. Allerdings gaben gleichzeitig rund ein Viertel der Befragten an, sich nicht für die Krebsvorsorge zu interessieren. Und mehr als 40 Prozent der Frauen und Männer gaben an, Angst vor dem Ergebnis der Untersuchungen zu haben.

Quelle: Forsa-Befragung zu „Vorsorge und Prävention“, 21. bis 29. September 2021, Online-Panel, Bevölkerung ab 18 Jahre (n=3.225)

Die Ergebnisse der Umfrage beleuchten zudem, inwieweit Schamgefühle und Tabus die Auseinandersetzung der Krebs-Früherkennung beeinträchtigen. 42 Prozent der Bevölkerung ab 18 Jahren sprechen demnach im persönlichen Umfeld selten oder nie über Gesundheitsvorsorge beziehungsweise Vorsorgeuntersuchungen. Vor allem Männer unter 45 vermeiden das Thema. Mit zunehmendem Alter wird Gesundheitsvorsorge eher zum Gesprächsthema. Etwa jedem fünften Befragten (21 Prozent) ist es sehr beziehungsweise ein wenig unangenehm oder peinlich, im Bekannten-, Freundes- oder Kollegenkreis über Früherkennung zu sprechen. Auch hier sind es eher die Männer, denen das Thema peinlich ist – und die Scham sinkt mit steigendem Alter.

Informierte Entscheidung fördern.

Trotz breiter gesellschaftlicher Akzeptanz der Krebs-Früherkennung bedarf es der weiteren Motivation zur Teilnahme. Ziel sollte sein, dass Menschen über Früherkennung sprechen und sich damit aus­einandersetzen. Nur so können sie eine informierte Entscheidung treffen.

Gerhard Schillinger leitet den Stab Medizin im AOK-Bundesverband.
Jürgen Klauber ist Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
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