Ärzte und Pflegekräfte im Gespräch: Das sollte Bestandteil der Ausbildung sein.
Qualifizierung

Medizin und Pflege suchen mehr Nähe

Behandlungsqualität und Patientensicherheit hängen auch davon ab, wie gut die Gesundheitsberufe im Krankenhaus kooperieren. Projekte für interprofessionelles Lernen erweitern die Perspektive ebenso wie eine Pflegeausbildung vor dem Medizinstudium. Von Bärbel Triller

Pflegekräfte und Ärzte

haben sehr unterschiedliche, voneinander getrennte berufliche Werdegänge. Ärzte absolvieren ein naturwissenschaftlich ausgerichtetes langjähriges Studium mit Blick auf Diagnostik und Therapie. Kontakte zum Patienten finden eher punktuell statt. Pflegekräfte durchlaufen eine dreijährige Ausbildung, sie versorgen die Patienten, dokumentieren und organisieren. Ärzte haben die Anordnungsverantwortung, Pflegekräfte die Durchführungsverantwortung. Wenn beide Berufsgruppen über den Tellerrand schauen, wächst nicht nur die Arbeitszufriedenheit, sondern die Patienten profitieren von einer höheren Behandlungsqualität.

Pflegeerfahrung kommt Ärzten zugute.

Medizinstudent Sören Schaper und Herzchirurgin Bettina Wiegmann kennen beide Berufe aus eigener Erfahrung. Sören Schaper hat im Wintersemester 2020/21 sein Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover aufgenommen. Die Wartezeit konnte er verkürzen, weil ihm seine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger sowie mehrere Jahre Berufserfahrung auf einer Intensivstation bei der Studienplatzvergabe angerechnet wurden. Im Studium profitiert er von seinen pflegerischen Kenntnissen. Während Medizinstudierende Arzt-Patienten-Gespräche trainieren und damit oftmals kommunikatives Neuland betreten, gehören Gespräche mit Patienten für Schaper zum Berufsalltag. Er weiß, dass „Ärzte nicht unbedingt die schlechtgelaunten Patienten erleben“.

Im Laufe seines Studiums hat Schaper bereits einige Kommilitonen und Ärzte kennengelernt, die einen ähnlichen beruflichen Werdegang vorzuweisen haben wie er. Sein Eindruck: Ärzte, die die Pflege aus eigener Erfahrung kennen, sind im Berufsalltag entspannter und im Umgang mit Patienten geübter.

Den fachlichen Austausch fördern.

„Der enge Kontakt zum Patienten ist unbezahlbar“, weiß die promovierte Herzchirurgin Bettina Wiegmann. Auch sie hat vor dem Studium eine Ausbildung in der Krankenpflege absolviert und parallel dazu in der Pflege gearbeitet. „Die Tätigkeit in der Pflege hat meine soft skills im Umgang mit Patienten sehr stark gefördert – mein klinischer Blick wurde von Beginn an geschult, auf den ich im weiteren Berufsleben sehr gut aufbauen und mich verlassen konnte. Zudem wurde der empathische Umgang mit den Patienten durch die pflegerische Ausbildung gestärkt, der Teil einer jeden Arzt-Patienten-Beziehung sein muss“, sagt Wiegmann.

Aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen hält es die Herzchirurgin für wünschenswert, dass der fachliche Austausch zwischen den Berufsgruppen gefördert wird. „Ein offenes Wort zwischen Pflege und Medizinern erleichtert nicht nur die Zusammenarbeit, sondern wirkt sich auch positiv auf die Behandlungseffektivität des Patienten aus“, sagt Wiegmann.

Ein offenes Wort zwischen Medizin und Pflege erleichtert die Zusammenarbeit.

Die Zahl der Studierenden der Humanmedizin, die bereits eine Ausbildung abgeschlossen haben, ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Im Wintersemester 2012/13 hatten nach Angaben von „Hochschulstart“, einer Serviceplattform der Stiftung für Hochschulzulassung, 476 Gesundheits- und Krankenpfleger/Kinderkrankenpfleger ein Medizinstudium begonnen. Im Wintersemester 2020/21 hatten 880 Studierende (von insgesamt knapp 10.000 Erstsemestern) vor dem Start ins Studium eine einschlägige Berufsausbildung hinter sich.

Interprofessionelles Lehrangebot.

Doch auch ohne Pflegeausbildung können Medizinstudierende ihre berufliche Perspektive erweitern – ebenso wie ihre Kolleginnen und Kollegen aus anderen Gesundheitsberufen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der zunehmenden Digitalisierung wird seit längerem über eine Neuausrichtung der Arbeits- und Kompetenzzuschnitte der Professionen verhandelt. Berufsübergreifendes Lehren und Lernen und kooperatives Arbeiten sind dabei wesentliche Bausteine.

Die Robert-Bosch-Stiftung fördert seit 2013 mit dem Programm „Operation Team“ und weiteren Projekten deutschlandweit die interprofessionelle Zusammenarbeit in den Gesundheitsberufen. Drei Förderphasen richteten sich speziell an Ausbildungs- und Studien­einrichtungen. In der ersten Förderphase von 2013 bis 2015 wurden an acht Standorten Projektverbünde aufgebaut, die jeweils ein interprofessionelles Lehrangebot entwickelt und umgesetzt haben. In der zweiten Förderphase von 2016 bis 2018 wurden zehn neue Verbünde ins Leben gerufen und sieben der Kooperationsprojekte fortgeführt. Im Fokus stand die Verankerung der neuen Lehrangebote in den Curricula. In der dritten Phase von 2018 bis 2021 ging es darum, erprobte Lehrkonzepte an bislang nicht beteiligte medizinische Fakultäten und Ausbildungsinstitute zu übertragen.

Austausch auf Augenhöhe.

Eines dieser Projekte ist „Carus Interprofessionell“ an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden. Die Fakultät hat das Projekt „In Kooperation Be-Greifen“ der Medizinischen Fakultät Mannheim übernommen. „Die Struktur des Projektes passte gut zu uns, weil einzelne Veranstaltungen aus den Lehrplänen herausgenommen werden konnten“, erklärt Eva Bibrack, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Medizinischen Interprofessionellen Trainingszentrum (MITZ) der Medizinischen Fakultät an der TU Dresden.

Das MITZ hat Carus-Interprofessionell koordiniert und inhaltlich konzeptioniert. Um geeignete Lehrveranstaltungen zu finden, so Bibrack, habe man Curricula gesichtet, Schnittstellen identifiziert und mit den Fachbereichen abgestimmt. Das Problem dabei: Die Lehrpläne sind extrem voll und die Lehrkapazitäten ausgeschöpft. „Von allen beteiligten Akteuren gab es ein klares Commitment für die interprofessionelle Lehre, sonst wäre eine Umsetzung gar nicht möglich gewesen“, betont Bibrack.

Als gelungenes Beispiel nennt Bibrack den Klinischen Untersuchungskurs „Bewegungsapparat“. Ein Format, in dem Studierende des 5. Semesters Humanmedizin und die Physiotherapie-Auszubildenden im 2. Ausbildungsjahr gemeinsam lernen und miteinander ins Gespräch kommen – ein Austausch auf Augenhöhe, so Bibrack. Hürden und Vorurteile seien aus dem Weg geräumt worden. Die Teilnehmer hätten das Lehrformat positiv angenommen. „Die Kompetenz für interprofessionelle Zusammenarbeit muss genauso erlernt werden wie Diagnose und Therapietechniken. Das ist existenziell wichtig im späteren Berufsleben.“ Das Projekt lief bis September 2021. Die Übernahme in den Regelbetrieb wird erschwert durch ein ganz praktisches Problem: „Wir haben mehr Studierende als Auszubildende, deshalb können wir das Format nicht verbindlich in die Lehrpläne aufnehmen“, bedauert Bibrack.

Handlungskompetenzen abgrenzen.

Dafür, dass interprofessionelles Lernen und Arbeiten frühzeitig in Studium und Ausbildung Einzug finden, setzen sich unter anderem die „Junge Pflege“ im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und der Ärzteverband Hartmannbund ein. In dem gemeinsam erarbeiteten Zehn-Punkte-Programm „Manifest guter Zusammenarbeit im Krankenhaus“ betonen sie die Bedeutung von wertschätzender Kommunikation, konstruktiver Fehlerkultur und Patientenversorgung als Teamleistung.

„Damit interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation gelingen, darf das Thema nicht erst auf Station, im Arbeitsalltag oder in kritischen Situationen aufgegriffen werden“, sagt Patrick Lee, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und Mitglied der Lenkungsgruppe Junge Pflege im DBfK. „Interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation müssen vom ersten Ausbildungstag an gelehrt sowie gelernt werden.“ Dabei sei es wichtig, dass nicht nur miteinander, sondern auch voneinander gelernt wird. Handlungskompetenzen müssen dafür eindeutig abgrenzbar sein und den Beteiligten müsse bewusst sein, welche Berufsgruppe welche Fähigkeiten in den Arbeitsalltag mitbringe, so Lee.

Bärbel Triller ist freie Journalistin in Hannover.
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