Persönliche Beratungsangebote sind wichtig, um Menschen für eine Impfung zu gewinnen.
Tagung

Impulse für höhere Impfbereitschaft

Ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland hat keinen Impfschutz gegen Covid-19. Ein beträchtlicher Teil will sich auch künftig nicht impfen lassen. Über die Gründe geben aktuelle sozialwissenschaftliche Studien Aufschluss. Von Änne Töpfer

Auf Novaxovid ruhte die Hoffnung,

noch einen Großteil der zögerlichen oder skeptischen Bürgerinnen und Bürger für eine Impfung gegen Covid-19 zu gewinnen. Doch nun scheint der Proteinimpfstoff des Herstellers Novavax, der kein genetisches Material enthält und daher Kritiker der mRNA-Technologie überzeugen sollte, zum Ladenhüter zu werden. In Deutschland stagniert die Impfquote bei rund 76 Prozent (grundimmunisiert). Immer noch haben rund elf Prozent der über 60-Jährigen den Weg zur Spritze nicht gefunden (Robert-Koch-Institut, März 2022). Dabei tragen sie laut Fachleuten ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf.

Was wissen wir über Menschen mit Impfvorbehalten? Wie erreichen wir diese Gruppe? Diesen Fragen sind Forscher des Gelsenkirchener Instituts für Arbeit und Technik (IAT/Westfälische Hochschule) nachgegangen. Unter Leitung von Dr. Peter Enste und Jenny Wielga werteten sie dazu die Antworten von 140 ungeimpften Frauen und Männern aus, die von Oktober bis Dezember 2021 an einer Online-Befragung von insgesamt rund 1.400 Bürgerinnen und Bürgern teilgenommen hatten. Auf einer Tagung stellten die IAT-Forscher nun die Ergebnisse ihrer nicht repräsentativen Studie vor und diskutierten sie mit Experten aus Wissenschaft und Praxis – mit Blick auf die Ergebnisse weiterer Studien mit ähnlicher Fragestellung. Gastgeber der Online-Veranstaltung waren das IAT, die Gesundheitswirtschaftsorganisation des Ruhrgebiets MedEcon-Ruhr sowie das Netzwerk Deutsche Gesundheitsregionen.

Falschinformationen aufgreifen.

Die IAT-Studie mache deutlich, dass die Gründe für Impfvorbehalte vielschichtig sind: Sie reichten von der Angst vor Nebenwirkungen bis hin zu Verschwörungstheorie-geleiteten Argumenten, so die IAT-Forscher. Sozialwissenschaftlerin Jenny Wielga empfahl als Konsequenz aus den Ergebnissen ihrer Befragung „eine zielgruppenspezifische Aufklärung, das Aufgreifen von Falschinformationen, um diese zu widerlegen, und mehr Sensibilität für den wissenschaftlichen Diskurs in der Gesellschaft zu schaffen“.

In der IAT-Studie habe sich gezeigt, dass ungeimpfte Menschen auch andere Covid-19-Schutzmaßnahmen seltener als sinnvoll bewerteten (siehe Kasten „Schutz gegen Covid-19: Bewertung von Verhaltensregeln“). So erachteten es lediglich 30 Prozent unter ihnen als sinnvoll, soziale Kontakte zu verringern, während es unter den geimpften Befragungsteilnehmern 76 Prozent waren. Zudem stimmten nur zwölf Prozent der Ungeimpften der Aussage zu, „dass die politischen Vorgaben zur Einhaltung der Maßnahmen sinnvoll sind“. Unter den gegen Covid-19 Geimpften lag die Zustimmungsquote bei 78 Prozent. Wahrscheinlich handele es sich also bei bisher Ungeimpften nicht unbedingt um Impfskeptiker, sondern um Menschen, die Corona-Maßnahmen grundsätzlich kritisch gegenüberstehen, folgerte Wielga.

Grafik: Schutz gegen Covid-19 – Bewertung von Verhaltensregeln

Wer sich gegen eine Covid-19-Impfung entscheidet, sieht auch andere Schutzmaßnahmen seltener als sinnvoll an. Wie eine Befragung einer nicht repräsentativen Stichprobe (insgesamt 1.348 Frauen und Männer, darunter 140 ungeimpft) im Herbst 2021 zeigte, hielten es unter den ungeimpften Befragten nur 30 Prozent für sinnvoll, soziale Kontakte zu reduzieren. Bei den geimpften Befragten waren es 76 Prozent.

Quelle: Institut für Arbeit und Technik Gelsenkirchen (IAT)

Auf die Frage nach den Gründen dafür, sich nicht impfen zu lassen, gaben in der IAT-Studie 65 Prozent der Befragten an, der Impfstoff sei unsicher. 38 Prozent sahen keine Notwendigkeit für eine Impfung, 28 Prozent saßen Falschinformationen auf und bei 21 Prozent gehörten die Gründe in die Kategorie „Verschwörungstheorien“. Auch wenn die IAT-Umfrage nicht repräsentativ sei, biete sie doch einen „enormen Schatz an qualitativen Aussagen zu den Gründen, sich nicht impfen zu lassen“, betonte Studienleiter Peter Enste.

Sprachbarrieren abbauen.

Dem Impfverhalten verschiedener Zielgruppen widmet sich die COVIMO-Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI). Nora Schmid-Küpke, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Impfprävention, stellte zentrale Ergebnisse der 9. Erhebung vor. Die repräsentative Studie berücksichtigte im November/Dezember 2021 in Telefoninterviews die Migrationsgeschichte der Befragten. Dabei zeigte sich, dass die Impfquote unter Menschen ohne Migrationsgeschichte etwas höher ist.

Allerdings sei die Impfbereitschaft unter den aktuell Ungeimpften bei Menschen mit Migrations­geschichte höher, berichtete Schmid-Küpke. „Die Sprache erklärt einen wesentlichen Anteil der Unterschiede in der Impfquote nach Migrationsgeschichte“, so die RKI-Expertin. Je besser die Befragten ihre Deutschkenntnisse einschätzten, umso höher ist die Impfquote. Hinzu kommen psychologische Determinanten wie das Vertrauen in die Impfung und das Gesundheitssystem oder die Wahrnehmung von Druck bei der Impfempfehlung. Die COVIMO-Studie belegt zudem, dass Falschwissen und Unsicherheiten bezüglich der Covid-19-Impfung weit verbreitet sind. Unter den Befragten mit Migrationsgeschichte findet sich demnach signifikant mehr Unsicherheit und Falschwissen als bei den Teilnehmern ohne Migrationsgeschichte. Die 10. COVIMO-Erhebung zeige, dass sich „bei der Beseitigung von Impfmythen wenig getan hat“, so Schmid-Küpke. „Das beunruhigt uns und muss unbedingt angegangen werden.“

Ökonomische Präferenzen analysiert.

Die Bedeutung ökonomischer Präferenzen für die Einstellung gegenüber Impfungen hat Elke Groh von der Universität Kassel, Fachgebiet Empirische Wirtschafts­forschung, gemeinsam mit Wissenschaftlern anderer Universitäten untersucht.

Falschwissen bezüglich der Covid-19-Impfung ist weit verbreitet.

Risiko- und Zeitpräferenzen sowie Altruismus spielen nach Ergebnissen der Befragung einer repräsentativen Stichprobe von rund 2.600 Erwachsenen eine geringe Rolle für die Impfentscheidung. Hingegen ist das Vertrauen in Institutionen und bestimmte gesellschaftliche Gruppen offenbar von größerer Bedeutung. Wie Groh berichtete, erhöht das Vertrauen in Ärzte und Wissenschaften die Wahrscheinlichkeit, geimpft zu sein. Zudem stellten die Forscher in ihrer Umfrage fest, dass unter Menschen, die von einer Covid-19-Erkrankung genesen sind, die AfD wählen oder gar nicht wählen, die Wahrscheinlichkeit geringer ist, geimpft zu sein.
 
Einen internationalen Vergleich im Impfverhalten zog Dr. Julia Brailovskaia, Ruhr-Universität Bochum, auf Basis einer Befragung von insgesamt 9.264 Frauen und Männern. Demnach zeigte die repräsentative Bevölkerungsumfrage (Mai 2021) in Russland, Frankreich, Polen, den USA, Deutschland, Schweden, China, Spanien und Großbritannien, dass damals hierzulande der Impfwunsch und die tatsächliche Impfung (mindestens einmal) zusammengerechnet bei 82 Prozent lagen. Das Schlusslicht in diesem Ländervergleich bildete zu der Zeit der Umfrage Russland mit 62 Prozent Impfbereitschaft, an der Spitze lag Großbritannien mit 94 Prozent.

Wahrnehmung der Nützlichkeit steigern.

Eine höhere Impfbereitschaft zeigten nach Ergebnissen der Umfrage diejenigen, die Regierungsmaßnahmen als nützlich bewerteten und das Fernsehen als Hauptinformationsquelle nutzten. Aus den Ergebnissen ihrer Studie leiteten die Forscherinnen und Forscher Empfehlungen für Impfkampagnen in einzelnen Ländern ab. Für Deutschland gehe es laut Braitlovskaia darum, „die Wahrnehmung der Nützlichkeit der Impfung zu steigern und das individuelle Kontrollerleben zu stärken“.

Kampagnen besser kommunizieren.

Auch aus der Praxis kamen Impulse für den Umgang mit Impfvorbehalten. So hielt Thorsten Padberg, Psychologischer Psychotherapeut in Berlin, eine Impflicht für sinnvoll, „um das Impfen zum Nicht-Thema zu machen“ – ähnlich wie bei der Anschnallpflicht für Autofahrer. Mustafa Cetinkaya, Integrationsbeauftragter der Stadt Gelsenkirchen, baut darauf, die Impfbereitschaft über das Vertrauen in Menschen zu erhöhen: „Menschen folgen Menschen, nicht Meinungen.“ Professor Dr. Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie erläuterte den Weg zur hohen Impfquote in Bremen.

  • Jenny Wielga, Peter Enste: Zwischen Angst, Skepsis und Verweigerung: Was wissen wir über Menschen mit Impfvorbehalten in der Covid-19-Pandemie? Institut Arbeit und Technik, Forschung aktuell 3/2022. Download
  • Julia Brailovskaia, Silvia Schneider, Jürgen Margraf: To vaccinate or not to vaccinate!? Prädiktoren der Impfbereitschaft gegen COVID-19 in Europa, USA und China. Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit, Fakultät für Psychologie, Ruhr-Universität Bochum. Download
  • Elke D. Groh, Wolfgang Habla, Åsa Löfgren, Andreas Ziegler: Kurzstudie zu Impfstatus und Impfbereitschaft im Herbst 2021. Download

Dort habe die quartiersbezogene Public-Health-Arbeit zum Erfolg beigetragen. Bei der Impfaufklärung seien die Quartiersmanager „kaum auf Widerstand gestoßen, eher auf Nichtwissen“. Aus der Dortmunder Nordstadt, einem Viertel mit hohem Ausländeranteil und niedrigem Einkommensniveau, konnte Gesundheitsamtsleiter Dr. Frank Renken kaum Erfolge vermelden. „Trotz der Impfaktionen in Kulturvereinen und vielen Einzelaktionen entfernen wir uns nur ganz langsam von den geringen Impfquoten. In Zukunft müssen wir die Impfkampagnen besser kommunizieren.“

Änne Töpfer ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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