Porträt
Kommentar

Wenig Spielraum

Die Erwartungen an Gesundheitsminister Karl Lauterbach sind hoch. Doch für etwas Großes sind ihm in mehrfacher Hinsicht die Hände gebunden, meint Kim Björn Becker.

Er ist als Krisenminister gestartet,

als er das Bundesgesundheitsministerium im Dezember übernommen hat. Doch viel spricht dafür, dass Karl Lauterbach das auch bleibt: ein Verwalter des Akuten; einer, der vor allem reagiert anstatt zu gestalten. Das hat zwar auch mit der Frage zu tun, wie lange Corona das Land noch in seinem lockerer werdenden Griff behält. Aber eben längst nicht nur damit.

Dass es der SPD-Politiker schwer haben dürfte, in den nächsten gut drei Jahren – im Sommer 2025 beginnt der Bundestagswahlkampf – als Architekt eines neuen Gesundheitssystems in Erinnerung zu bleiben, liegt nicht nur an Corona. Es hat auch damit zu tun, dass die Republik gerade ohne Übergangszeit von einer Krise in die nächste rutscht. Die militärische Eskalation in der Ukraine, ausgelöst durch den Überfall Russlands, zwingt die Bundesregierung zu abermaligen Ausgaben in Milliardenhöhe. Die über Jahre vernachlässigte Bundeswehr soll nun mit einem gigantischen Förderprogramm ertüchtigt werden, zudem will die Regierung die Verbraucher bei den massiv gestiegenen Energiekosten entlasten – welchen Preis die Aggression Moskaus langfristig für Deutschland hat, lässt sich kaum seriös vorhersagen.

Dem geplanten Mehr an Fortschritt sind Grenzen gesetzt.

Das alles mindert die Gestaltungsspielräume eines Bundesministers für Gesundheit – einerseits politisch, weil die Gesundheitspolitik nun zwei Jahre lang die größte aller Bühnen bespielt hat und nun alle Augen auf die Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik gerichtet sind. Andererseits dürfte Lauterbach kaum die Mittel haben, um nach der ebenfalls mehrere Milliarden Euro teuren Corona-Krise viel Geld in eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems zu stecken. Die Ankündigung, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung demnächst steigen könnten, lässt bereits erahnen, wie gering die Spielräume sind.

Natürlich böte gerade Corona die Chance, Defizite zu beheben. An Diagnosen mangelt es nicht, vom öffentlichen Gesundheitsdienst bis hin zu Lieferketten bei Arzneimitteln und Medizinprodukten. Doch dem Mehr an Fortschritt, das die Ampel in Berlin laut ihrem Koalitionsvertrag wagen will, sind Grenzen gesetzt. Die geplanten Reformen bei der Krankenhausstruktur und die angestrebten Fortschritte bei der Digitalisierung sind wichtige Vorhaben, derer sich Lauterbach annehmen muss. Wer einen großen Wurf erwartet, wird enttäuscht werden.

Kim Björn Becker ist gesundheitspolitischer Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
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