Interview

„Meine Perspektive hat sich erweitert“

Wenn Pflege- und Ärzteteam besser kommunizieren, ersparen sich alle Beteiligten viel Arbeit an anderer Stelle, sagt Dr. Djawid Hashemi. Der Kardiologe hat vier Wochen in der Pflege auf einer Covid-Station geholfen. Dabei hat er ein größeres Verständnis für beide Berufsgruppen und die Patienten entwickelt.

Herr Dr. Hashemi, Sie haben im Frühjahr 2021 in der Pflege von Corona-Patienten geholfen. Was hat Sie damals besonders beeindruckt?

Djawid Hashemi: Mich hat die hohe Bereitschaft der Pflegekräfte beeindruckt, auf der Covid-Intensivstation zu arbeiten. Alle Pflegekräfte, die auf der Covid-Station gearbeitet haben, hatten sich freiwillig gemeldet, um dort den Dienst zu übernehmen. Der Pool der Intensiv-Pflegekräfte an der Charité war so flexibel, dass das zu gewährleisten war: Diejenigen, die sich bereiterklärten, auf der Covid-Station zu arbeiten, konnten dort hingehen. Andere haben dann die Aufgaben auf den Nicht-Covid-Intensivstationen abgedeckt.

Meine Perspektive - Hashemi, Djawid

Zur Person

Dr. Djawid Hashemi ist Assistenzarzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Charité – Universitätsmedizin Berlin in der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie. Er engagiert sich außerdem in der Sektion YoungDGK der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislauf­forschung e. V.

Wie haben Sie die Situation auf der Covid-Station erlebt?

Hashemi: Die Intensivstationen wurden innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden gestampft. Wir mussten viel improvisieren. Zu dem Zeitpunkt herrschte noch Ungewissheit, wie mit den Covid-Patienten umzugehen ist. Die Mortalität war damals extrem hoch. Das hat das Team sehr belastet. Familienangehörige, die nicht zu den Patienten durften, haben sich per Video-Telefonat von ihnen verabschiedet. Das war eine schreckliche Phase, in der mehr als die Hälfte der Patienten verstorben ist. Mich hat beeindruckt, dass in dieser Situation die Moral der Kolleginnen und Kollegen nicht gelitten hat. Sie haben die Belastungen erstaunlich gut verarbeitet und weiter voll funktioniert.

Worauf führen Sie das zurück?

Hashemi: Das geht nur, wenn es ein sinnvolles, produktives Miteinander gibt. In stressigen Situationen hat zwar auch mal der eine den anderen angefahren, und der Umgangston war nicht immer so, wie man sich das normalerweise wünscht. Aber der gute Wille war immer präsent. Wir haben einander vieles nachgesehen. Intensivstationen sind auch Sozialräume, in denen emotional wie auch de facto stressige Belastungssituationen auftreten. Auf der Covid-Intensivstation herrschte eine andere Stimmung, die dafür gesorgt hat, dass wir bei all den Unzulänglichkeiten und all der Sorge gut zusammengearbeitet haben.

Wie war denn damals die Personalausstattung?

Hashemi: Auch vor der Pandemie war die Personaldecke dünn. Im vergangenen Jahr hat der Stress dann noch einmal zugenommen, weil die Krankheitslast und die Zahl der Patienten so hoch waren. Aber dadurch, dass viele andere Klinikbereiche runtergefahren wurden, ließen sich die Ressourcen für den Covid-Bereich mobilisieren. Auch mehrere Dutzend Ärztinnen und Ärzte hatten sich freiwillig für die Pflege gemeldet und waren insgesamt über zwei- bis zweieinhalb Monate eingebunden. Ich war vier Wochen auf der Corona-Station tätig.

Welchen Einfluss hatte dieser Einsatz auf Ihre Einstellung zum Pflegeberuf?

Hashemi: Meine Wertschätzung für die Arbeit in der Pflege hat dadurch noch einmal deutlich zugenommen. Ich kann sehr viel besser verstehen, wie bestimmte Ärgernisse entstehen. Das ist der größte Effekt auf mein Denken. Meine Perspektive hat sich erweitert. Ich habe ein größeres Verständnis für beide beruflichen Rollen, die ärztliche und die pflegerische. Bei meiner Arbeit als Arzt auf einer kardiologischen Intensivstation kann ich heute besser nachvollziehen, wenn sich Pflegekräfte begründet über Ärztinnen und Ärzte ärgern, aber auch, wie ungerechtfertigter Ärger entsteht. Ich kann in beiden Fällen schauen, dass ich mich als Arzt anders verhalte oder die Notwendigkeit bestimmter Abläufe besser vermittele.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Hashemi: Es kann beispielsweise vorkommen, dass Pflegekräfte einen Patienten für eine angekündigte Untersuchung vorbereiten, die eine halbe Stunde später dann doch abgesagt wird. Dieses Hin und Her nervt die Pflege, weil die Vorbereitung vermeintlich für die Katz war. Da kann man mit einer besseren Kommunikation sehr viel abfangen. Wenn Ärzte den Pflegekräften die Änderung zwischen Tür und Angel mitteilen, erzeugen sie Missmut. Anschließend schmollen die einen im Arztzimmer und die anderen im Stationsleitungszimmer. Durch meine Erfahrungen in der Pflege auf der Covid-Station kann ich heute dazu beitragen, solche Situationen zu vermeiden. Sie entstehen dadurch, dass das Ärzteteam morgens einen Plan festlegt, auf Visite geht, sich danach bespricht und den Plan eventuell nochmal anpasst. Diese Änderung muss der Pflege kommuniziert werden, sonst entstehen Leerläufe auf der Station. Die engere Abstimmung ist ganz simpel – das habe ich aus dem Covid-Einsatz für mich mitgenommen. Ich versuche engmaschiger zu überprüfen, ob wir alle auf demselben Informationsstand sind. Auch zwischen strukturierten Übergaben gibt es immer wieder Änderungen. Wenn wir hier besser kommunizieren, ersparen sich alle Beteiligten Arbeit an anderer Stelle.

Eine gute und erfolgreiche Therapie erfordert eine Abstimmung aller, die mit dem Patienten arbeiten.

Sind die Mängel in der Kommunikation systembedingt?

Hashemi: Die Arbeitsverdichtung im Krankenhaus ist bei allen Beteiligten sehr hoch. Die Personaldecke reicht gerade so aus, um die alltäglichen Aufgaben zu bewältigen. Sobald jemand krank ist, gerät das System unter Druck. Über standardisierte Gesprächszeiten lassen sich zwar viele Fehler vermeiden. Aber die Kommunikation hängt auch stark von dem ab, was auf der zwischenmenschlichen Ebene läuft. Das lässt sich nicht so gut standardisieren. Wenn zwischen ärztlichem Team und Pflegeteam schlechte Stimmung herrscht, reduzieren die Beteiligten die Kommunikation auf ein Minimum, und in der Folge gehen automatisch Informationen verloren. Ich glaube, dass Maßnahmen der Teambildung extrem wichtig sind, um die Arbeit auf einer Station produktiv zu halten.

Die Zusammensetzung der Teams wechselt vermutlich häufig. Steht das der Teambildung nicht grundsätzlich im Wege?

Hashemi: Die gestaltenden Führungskräfte im Team – die oberärztliche Kraft und die pflegerische Stationsleitung – sind die Konstanten. Wenn die Struktur einer Station auf diesen Kräften und ihrer Begleitbesetzung basiert, lässt sich viel Fluktuation in anderen Bereichen auffangen. Diejenigen, die neu auf die Station kommen, lernen sehr schnell, wie die Kommunikation dort funktioniert. Die Grundpfeiler des Teams beeinflussen die Stimmung maßgeblich. Wenn jemand neu dazukommt und merkt, dass zwischen Ärzten und Pflegekräften Eiszeit herrscht, wird die neue Kollegin nicht anfangen, eine Brücke zu schlagen. Wenn sie aber merkt, dass ein guter, engmaschiger Austausch stattfindet, dass auch diskutiert wird, nicht nur der Arzt der Pflegekraft sagt, was zu tun ist, schließt sie sich diesem Kommunikationsstil an.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit ärztlichen Kolleginnen und Kollegen während Ihres Einsatzes in der Pflege erlebt?

Hashemi: Ich habe auf der Covid-Intensivstation der Pflege zugearbeitet. Die Intensivpflegekraft hat nicht nur uns Ärzte angeleitet, sondern auch die Pflegekräfte von den Normalstationen, die dort ausgeholfen haben. Dadurch konnte eine Intensivpflegekraft mehr Patienten als sonst behandeln. Ich habe in der Rolle und Funktion einer Normalpflegekraft gearbeitet. Meine Dienstvorgesetzte war eine Pflegekraft, die mich angeleitet hat. Das war spannend: Wie funktioniert Führung? Ich habe gesehen, dass Pflegekräfte untereinander ein kollegialeres Miteinander haben als unter Ärzten üblich. Unter Ärzten ist das Miteinander in der Regel hierarchischer geprägt. Das beeinflusst sowohl den Ton als auch die Umgangsformen und die Aufgabenteilung. Auf der Covid-Intensivstation habe ich die Interaktion zwischen Ärzten und Pflegekräften als vorbildlich empfunden. Allerdings war das nicht repräsentativ, sondern eine absolute Ausnahmesituation. Weil wir wussten, dass viele Patienten sterben werden, haben wir gemeinsam beratschlagt, was wir noch Gutes für sie tun können. Eine Schema-F-Therapie gab es an dieser Stelle nicht. Wir haben uns viel intensiver ausgetauscht, weil wir uns alle noch nicht mit der Behandlung von Covid-Patienten auskannten.

Haben die Ärzte gegenüber der Pflege üblicherweise mehr zu sagen?

Hashemi: Das alte hierarchische Setting zwischen Arzt oder Ärztin und Pflegekräften gibt es so nicht mehr. Eine gute und erfolgreiche Therapie erfordert immer auch eine Abstimmung aller Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Patienten arbeiten. Eine Pflegekraft ist viel öfter beim Patienten als ein Arzt. Die Verantwortung für die Therapie liegt allerdings letztlich beim Arzt. Aus dieser Verantwortung resultiert jedoch, dass er den Prozess optimiert und sich mit allen bespricht, die ihn unterstützen könnten, eine gute oder bessere Entscheidung zu treffen. Das sind in erster Linie die Pflegekräfte, aber auch die Physiotherapeuten und andere, die mit den Patientinnen und Patienten zu tun haben. Die Ärztin oder der Arzt hat in so einem System als Dirigent zu agieren.

Lässt sich die Zusammenarbeit verbessern, wenn Ärzte und Pflegekräfte sie schon in der Ausbildung einüben?

Hashemi: Wir haben im Medizinstudium ein Pflegepraktikum gemacht. Drei Monate arbeiten die Studierenden in der Pflege. Das ist sicher gut und sinnvoll. Aber ich war zu der Zeit – noch vor dem Physikum, also in den ersten zwei Studienjahren – noch so neu im System, dass ich überwältigt war von der Arbeit in der Pflege. Wie ich einen Patienten richtig wasche, wie ich pflegerisch nachkomme: Das sind so viele neue Herausforderungen, dass der Blick für die systemische, zwischenmenschliche Ebene auf der Station fehlt. Anders war es, als ich vor einem Jahr auf der Covid-Station arbeitete: Da hatte die Pflegetätigkeit für mich keinen Neuigkeitswert mehr. Deshalb war ich in der Lage, die Dynamik zwischen den Berufsgruppen wahrzunehmen. Ich glaube, dass der Austausch in der Ausbildung sinnvoll ist. Aber er darf dort nicht enden. Die Akademisierung der Pflege birgt viel Potenzial für die Verbesserung der Zusammenarbeit. Die Risiken, nämlich das Kompetenzgerangel, gehen in der Diskussion um die Akademisierung allerdings manchmal unter.

Inwiefern hat der Pflegeeinsatz Ihre Sicht auf die Patientinnen und Patienten verändert?

Hashemi: Mir ist das Ausgeliefertsein von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus viel bewusster geworden. Ich glaube, das lag daran, dass ich unter einem anderen Deckmantel beim Patienten war. Wenn ich mit Arztkittel ins Zimmer komme, reagiert der Patient ganz anders auf mich. Wenn ich als Pflegekraft zu ihm gehe, entsteht häufig ein vertrauteres Gespräch. Das resultiert auch daraus, dass ich in der Pflege mehr Zeit mit dem Patienten verbringe. Wenn ich in der Pflegerolle beim Patienten war, habe ich während des Gesprächs meist auch einen körperlichen Kontakt gehabt, beispielsweise beim Waschen. Als Arzt stehe ich dagegen am Fußende des Bettes, das ist eine andere Gesprächssituation. Die Demut vor den eigenen Limitationen in der Behandlung schwer erkrankter Menschen und die Wahrnehmung des Leidensweges des Patienten haben dafür gesorgt, dass ich empathischer im Umgang geworden bin. Ich versuche, mir das zu bewahren.

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Oliver Weiss ist Illustrator und Designer.
Bildnachweis: Charité/Simone Baar