Preisverleihung

Fürsorge für Pflegekräfte

Erstmals hat die AOK den Bundespreis für Betriebliche Gesundheitsförderung in der Pflege vergeben. Die Gewinner zeichnen sich durch innovative Ansätze für eine gesunde und nachhaltige Arbeitsorganisation aus. Von Matthias Gabriel und Robin Halm

Personalmangel, lange Fehlzeiten, hohe Fluktuation: Die Pflegebranche bangt um ihre Arbeitskräfte. Deshalb unterstützt die AOK im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements Pflegeeinrichtungen darin, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten und neue zu gewinnen. Dabei können die Betriebe auch von guten Vorbildern lernen – wie den Gewinnern des Bundespreises für Betriebliche Gesundheitsförderung in der Pflege (BGF-Preis „Gesunde Pflege“). Die AOK hat den BGF-Preis 2021 unter dem Motto „Gesund planen – doppelt gewinnen“ erstmals ausgelobt. Die Preisträger stehen nun fest. An ihren Beispielen wird deutlich, dass es sich auszahlt, bei der Organisation der Arbeit die Gesundheit der Beschäftigten in den Mittelpunkt zu stellen. Damit ermutigen sie andere Pflegeinstitutionen, ähnliche Wege einzuschlagen.

Im Jahr 2021 haben die AOK Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, PLUS, Rheinland/Hamburg und Rheinland-Pfalz/Saarland zum ersten Mal den BGF-Preis „Gesunde Pflege“ ausgeschrieben. Die Gewinner waren für den Bundespreis nominiert. Eine Jury aus Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Antje Ducki, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Berliner Hochschule für Technik, Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes (AOK-BV) und Knut Lambertin, Aufsichtsratsvorsitzender (Versichertenseite) des AOK-BV, hat über die Vergabe der drei Haupt- und zwei Sonderpreise auf Bundesebene entschieden. Das Preisgeld liegt bei jeweils 5.000 Euro. Die Preisverleihung hat am 12. Mai 2021 beim AOK-Bundesverband in Berlin stattgefunden.

Zu den Ansätzen, die Arbeit gesund und nachhaltig zu organisieren, gehören etwa die mitarbeiterorientierte Gestaltung von Schichtplänen, eine auf die Gesundheit ausgerichtete Führungskultur und -struktur, Partizipation der Beschäftigten, Förderung der Gesundheitskompetenz der Beschäftigten und der Organisation, faire Aufgabenverteilung mit der Berücksichtigung des Alters, lebensphasenorientiertes Arbeiten, Verbesserung der Teamarbeit, Integration von Angehörigen in den Pflegeprozess, Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder der Einsatz von Hilfsmitteln. Was die drei Gewinner des Hauptpreises und die beiden Sonderpreis-Träger auszeichnet, wird in den folgenden Porträts deutlich.

Vinzentinerinnen Köln GmbH:
Tabus offen ansprechen

Die Vinzentinerinnen aus Köln

arbeiten intensiv an einer gesunden Arbeitsorganisation. Sie verstehen die BGF als systemischem Ansatz und haben sie als festen Bestandteil in die Organisationsstrukturen eingebunden. Neben der körperlichen Gesundheit steht die psychische Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vordergrund. Die Grundlage hierzu bildet eine gesunde Führungskultur. Hierbei werden die Vinzentinerinnen von der AOK Rheinland/Hamburg und ihrem Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung unterstützt. Sie werden dieses Jahr mit einem der drei BGF-Hauptpreise bedacht.

Im Mittelpunkt des im Jahr 2016 bei den Vinzentinerinnen GmbH gestarteten und bis 2030 angelegten Prozesses stehe der Gedanke, dass eine gesunde Arbeitsorganisation auch den Heimbewohnerinnen und -bewohnern diene, erklärt Maria Erdmann. Die für die Qualität der Betreuung und Pflege verantwortliche Beauftragte des Unternehmens mit rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stellt heraus, dass nur gesunde und zufriedene Beschäftigte dauerhaft leistungsfähig und motiviert sind. „Unter dem Motto ‚Wir sind niemals am Ziel, sondern immer auf dem Weg‘ wird deutlich, dass die Betriebliche Gesundheitsförderung der Vinzentinerinnen nicht als ein zeitlich begrenztes Projekt betrachtet werden kann.“

Zur Vinzentinerinnen GmbH gehören vier stationäre Altenpflegeeinrichtungen, zwei teilstationäre Einrichtungen sowie jeweils eine Einrichtung der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe. In der Altenpflege sind viele Menschen mit Demenz zu versorgen, was für die Pflegekräfte eine intensive individuelle Betreuung und eine hohe psychische Belastung bedeutet. „Viele von ihnen machen Gewalterfahrungen“, beschreibt Stephanie Schuster, Geschäftsführerin bei den Vinzentinerinnen, eine der Herausforderungen. „Im Rahmen des Projektes ist es gelungen, die Gewaltprävention und die frühzeitige Deeskalation von kritischen Situationen durch offene Kommunikation und eine offene Fehlerkultur voranzubringen“, so Schuster. Dazu beigetragen haben eine Reihe von Fortbildungen, Teambildungsmaßnahmen und Gesprächskreisen, Arbeitsunfähigkeits- und Fluktuationsanalysen, Mitarbeitergespräche, interne Audits zu verschiedenen Prozessen, Mitarbeiter- und Bewohnerbefragungen sowie Beschwerdeauswertungen. Der Erfolg lässt sich unter anderem an der Arbeitsunfähigkeitsquote messen. Sie ist im Zeitraum seit Beginn der Messung Anfang 2020 trotz der Pandemielage auf sechs Prozent gefallen.

Weitere Informationen über die Vinzentinerinnen Köln GmbH

Seniorenresidenz Kirchheimbolanden GmbH:
Joker bei der Dienstplanung

Nicht nur große Pflegeunternehmen

können sich ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) leisten. Eine systematische Gesundheitsförderung können auch kleinere Einrichtungen angehen, wie das Beispiel der Seniorenresidenz Kirchheimbolanden zeigt – eine der BGF-Hauptpreisträgerinnen.

Die Seniorenresidenz Kirchheimbolanden liegt idyllisch am weitläufigen Schlossgarten der knapp 8.000 Einwohner zählenden Stadt im Südosten von Rheinland-Pfalz. Früher lebten hier die Fürsten von Nassau-Weilburg. Seit 1995 bietet die Einrichtung an gleicher Stelle rund 150 Wohn- und Pflegeplätze – ein guter Ort, um den Lebensabend zu verbringen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dagegen war die Arbeit bis vor ein paar Jahren durch eine wenig verlässliche Dienstplanung geprägt. Bei kurzfristigen Ausfällen mussten Pflegekräfte oft einspringen und aus ihrer wertvollen Freizeit geholt werden. „Das Einspringen wurde in der Folge überbeansprucht und hat zu Unzufriedenheit und Demotivation geführt“, berichtet Sabine Schmitt, Leiterin der Personalentwicklung beim Träger der Einrichtung, dem Evangelischen Diakoniewerk Zoar. Immer weniger Mitarbeiter seien schließlich bereit gewesen, andere kurzfristig zu vertreten oder Dienste zu tauschen.
 
2016 hat die Seniorenresidenz deshalb das BGM-Projekt „Gemeinsam viel bewegen“ gestartet. Am Anfang stand eine ausführliche Analyse mit Befragungen und Interviews sowie Workshops zum Thema Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz – bis heute einem der Schwerpunkte des BGM-Ansatzes in Kirchheimbolanden. Die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland unterstützt das Projekt. Mit einem fundierten Konzept für ein sogenanntes Ausfallmanagement gelingt es der Pflegeeinrichtung heute, die Dienstplanung für ihre Beschäftigten verlässlicher zu organisieren. Das Einspringen ist zwar weiterhin nötig. Heute werden für kurzfristige Personalausfälle aber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als „Joker“ und damit als Reserve eingeplant.
 
Eine weitere BGM-Maßnahme wurde von den Beschäftigten selbst vorgeschlagen und hat sich als Renner erwiesen, um gegen körperliche Verspannungen vorzugehen: Die Pflegekräfte können sich am Arbeitsplatz durch geschulte Kolleginnen mit Kinesio-Tapes (elastische Klebebänder) behandeln lassen.

Weitere Informationen über die Seniorenresidenz Kirchheimbolanden GmbH

Greizer Senioren- und
Pflegeheim gGmbH:
Beginn einer neuen Führungskultur

Hoher Krankenstand, unzählige Überstunden

und Kündigungen: Die neue Geschäftsführerin der Greizer Senioren- und Pflegeheim gGmbH musste 2018 viele Probleme anpacken, um das Thüringer Unternehmen auf erfolgreichen Kurs zu bringen. Das nachhaltige Veränderungs- und BGM-Projekt hat nun einen BGF-Hauptpreis erhalten.

Wenige Monate nachdem Ina Wasilkowski 2018 ihre Stelle als Geschäftsführerin der Greizer Senioren- und Pflegeheim gGmbH angetreten hatte, rief sie beim gemeinnützigen Träger für zwei Pflegeheime und weitere Sozialeinrichtungen der Stadt Greiz im Südosten Thüringens einen umfassenden BGM-Prozess ins Leben. Noch bis 2023 läuft das BGM-Projekt „Gesundes Unternehmen, gesunde Mitarbeiter“ mit Unterstützung der AOK PLUS in dem 1993 gegründeten Unternehmen. Gestartet ist das Vorhaben Ende 2018 mit einem Change-Prozess auf Leitungsebene, der das Ende einer überkommenen Führungskultur einläuten sollte.
 
Ein Meilenstein ist die Entwicklung einer verbindlichen Arbeitsordnung für alle Beschäftigten der Greizer Pflegeeinrichtungen, die Basis für das heute gelebte, respektvolle und gerechte Miteinander ist. Das beginnt bei verbindlicher Urlaubsplanung und geht bis zum fairen Umgang mit Raucherpausen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in die Umsetzung des Prozesses direkt eingebunden. In Teammeetings sprechen sie offen über die Veränderungen. Es wurden auch sogenannte Ideen-Boxen aufgestellt, über die die Beschäftigten jederzeit und auf Wunsch auch anonym Impulse geben können.

Zum BGM-Projekt gehört neben klassischen Maßnahmen wie internen Sport- und Präventionsangeboten auch eine externe Ausbildungs- und Werbekampagne. Im vergangenen Jahr konnte das Unternehmen zwölf neue Pflegeauszubildende begrüßen – so viel wie noch nie. Damit die Nachwuchskräfte motiviert bleiben und fachlich auf hohem Niveau ausgebildet werden, wurde die Stelle einer zentralen Praxisanleiterin geschaffen. Ina Wasilkowski hat als neue Chefin viel ins Rollen gebracht und will sich weiter für eine gesunde Pflege einsetzen: „Ein ganzheitlicher BGM-Ansatz sollte das Herzstück jedes modernen Unternehmens sein.“

Weitere Informationen über die Greizer Senioren- und Pflegeheim gGmbH

Klinik Wartenberg:
Die innere Uhr berücksichtigen

Die Klinik Wartenberg erhält im Rahmen

des BGF-Preises eine Sonderauszeichnung für eine besonders innovative Studie. Darin geht es darum, den Chronotypus der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Dienstplanung zu berücksichtigen.
 
Arbeiten im Schichtdienst kann langfristig zu Störungen wichtiger hormoneller und physiologischer Prozesse führen. Daraus können sich negative Folgen für Gesundheit und Arbeitsfähigkeit ergeben, wie zum Beispiel nachhaltige Schlafstörungen oder Störungen des Immun- und Herz-Kreislauf-Systems. Dass die Leistungsfähigkeit eines Menschen vom Tagesrhythmus abhängt, ist keine neue Erkenntnis. Dass Arbeitgeber wie die Klinik Wartenberg in der gleichnamigen oberbayrischen Gemeinde genau untersuchen, welche Chronotypen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, ist dagegen eine Besonderheit. „Die Auszeichnung, gemeinsam mit der erfolgreichen Re-Zertifizierung als ‚Gesundes Unternehmen‘, zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken und uns als attraktiver Arbeitgeber zur präsentieren“, so Pflegedienstleiter Norman Daßler, der gemeinsam mit Christian Walther für das BGM-Programm im Haus verantwortlich ist.
 
An der Studie an der Klinik Wartenberg nahmen 128 Beschäftigte aus dem Pflegebereich teil. Herausragendes Ergebnis: Nur noch 15 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten nach Ablauf der Studie über eine schlechte bis sehr schlechte Schlafqualität. Zu Beginn waren es 35 Prozent. Und: Bei allen Krankheiten, so beispielsweise Rückenschmerzen, konnte eine deutliche Reduzierung festgestellt werden, was auch Einfluss auf die Arbeitsunfähigkeits-Tage hat.
 
Die Wissenschaft sagt, dass Menschen individuell sehr unterschiedliche innere Uhren haben, die im Extremfall sechs bis acht Stunden voneinander abweichen. Das moderne Leben diktiere entgegen der menschlichen Evolution allerdings eine eher einheitliche Zeit. Dabei habe es einen enormen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit, ob Beschäftigte ein Früh- oder Spättyp sind. Arbeitgeber täten gut daran, hierauf mehr Augenmerk zu legen.

Weitere Informationen über die Klinik Wartenberg

Barmherzige Brüder Rilchingen: Suchtprävention im Arbeitsalltag

Untersuchungen zeigen, dass Menschen in

Gesundheitsberufen stärker von Suchterkrankungen betroffen sind. In den Einrichtungen der Barmherzigen Brüder Rilchingen ist die Suchtprävention deshalb zum Schwerpunkt der Betrieblichen Gesundheitsförderung geworden. Dafür hat das Pflegeunternehmen einen BGF-Sonderpreis erhalten. „Entsprechend der Tradition und der christlichen Werte der Barmherzigen Brüder Rilchingen nehmen wir uns dem Gesundheitsthema der Suchtprävention am Arbeitsplatz an“, sagt Hausoberer/Heimleiter Alfred Klopries. Dabei gehe es nicht um Ausgrenzung von Menschen mit einer Suchtproblematik, sondern um Hilfsangebote, Beratung, Fürsorge und Integration. „Sucht ist in vielen Firmen auch heute immer noch ein Tabu-Thema“, sagt Suchtberater Harald F. Gregorius. „Viele Vorgesetzte und Kollegen vermeiden meist die frühzeitige Ansprache von Auffälligkeiten, wie zum Beispiel einer Alkoholfahne.“ Seit 2018 ist das bei den Barmherzigen Brüdern Rilchingen anders. Gregorius betreut die Pflegeeinrichtung als betrieblicher Sozialberater.

In der Suchtprävention bei den Barmherzigen Brüdern geht es neben Medikamentenmissbrauch vor allem um das Thema Alkohol. Es wurde eine Arbeitsgruppe Suchtprävention ins Leben gerufen. Die Beschäftigten erhielten das Angebot von Beratungen und Schulungen. Das Thema wird in der Einrichtung seitdem offensiv und bei allen Gelegenheiten angesprochen, auch bei Anlässen, bei denen bisher üblicherweise Alkohol eine Rolle spielte: So hat die Hausleitung zu Weihnachten alkoholfreien Punsch ausgeschenkt und die BGF-Aktionen in den Mittelpunkt der traditionellen Weihnachtsansprache gerückt.

Dabei geht es nicht darum, den Alkohol komplett aus dem Leben zu verbannen, sondern über einen verantwortungsvollen Umgang mit der Alltagsdroge aufzuklären. Mit einer „Behüterli“-Aktion werden etwa die Autofahrer angesprochen. Das „Behüterli“ ist ein Anhänger für den Zündschlüssel, der daran erinnert, den Wagen nach dem ersten Bier besser stehen zu lassen.

Weitere Informationen über die Barmherzigen Brüder Rilchingen

Matthias Gabriel ist verantwortlicher Redakteur beim KomPart-Verlag.
Robin Halm ist Chefredakteur Interne Kommunikation beim KomPart-Verlag.
Bildnachweis: Anton Hallmann / Sepia