Vertrauen in Ärtze: In zertifizierten Krebszentren ist die Behandlungsqualität am besten.
Versorgungsqualität

Krebstherapie besser mit Gütesiegel

Eine neue Studie zeigt: Wer in zertifizierten Krebszentren behandelt wird, hat höhere Überlebenschancen. Wie mehr Patienten davon profitieren können, diskutierten Experten beim Symposium „Qualität der Krebsbehandlung“. Von Christine Möllhoff

Bei der Diagnose Krebs

„stürzt erstmal eine Welt zusammen“, weiß Hedy Kerek-Bodden. Seit Jahren berät die Vorsitzende des Bundesverbandes „Haus der Krebs-Selbsthilfe“ Betroffene.
 
Fast 500.000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Eine der ersten Fragen sei: „Wo bekomme ich die beste Behandlung?“, sagt Kerek-Bodden. Eine neue Großstudie zeigt nun: Die Therapie in einem zertifizierten Krebszentren erhöht die Überlebenschancen deutlich. Dennoch nutzt bisher nur rund jeder zweite Patient diese Angebote. Beim Online-Symposium „Qualität der Krebsbehandlung“ diskutierten Experten, wie die Therapie mit Gütesiegel für alle Standard werden kann.

Eine Million Behandlungen analysiert.

Bereits Einzelstudien deuteten darauf hin, dass die Behandlung in spezialisierten Krebszentren mit Überlebensvorteilen einhergeht. Nun hat das Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung der TU Dresden gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren erstmals auf breiter Basis untersucht, ob Kliniken mit Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) jenen ohne Gütesiegel überlegen sind.

Grafik, auf der in einer Tabellte dargestellt wird, wie hoch der Anteil an Zentrumsbehandlungen im Laufe der Jahre 2009 bis 2017 bei verschiedenen Krebsarten war

Immer mehr Krebspatientinnen und -patienten lassen sich in zertifizierten Zentren behandeln. So stieg beispielsweise der Anteil der Zentrumsbehandlungen bei Kolonkarzinom von 2009 bis 2017 von unter 25 Prozent auf nahezu 50 Prozent. Allerdings gibt es – angesichts der besseren Behandlungsergebnisse in zertifizierten Zentren – immer noch beträchtliches Steigerungspotenzial. So lag der Anteil der Zentrumsbehandlungen beim Pankreaskarzinom auch 2017 lediglich bei knapp einem Viertel.

Quelle: Studie „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren (WiZen)“/Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden (GKV-Daten)

Die Forschenden haben dafür in einem dreijährigen Projekt rund eine Million Behandlungsfälle ausgewertet. Die Daten stammen aus der AOK-Abrechnung und aus den vier klinischen Krebsregistern Regensburg, Dresden, Erfurt und Berlin-Brandenburg. Der Innovationsfonds beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) hat das wegweisende Projekt „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ mit 1,6 Millionen Euro gefördert.

Regelmäßige Qualitätskontrollen.

Die Ergebnisse seien „in ihrer Deutlichkeit beeindruckend“, bilanziert Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Die Behandlung in einem zertifizierten Krebszentrum rette Leben. Die Fünf-Jahres-Sterblichkeit liegt der Studie zufolge bei allen untersuchten Tumorarten deutlich niedriger als an Kliniken ohne Qualitätskontrolle. Bei Gebärmutterhalskrebs beispielsweise sinkt die Sterblichkeit um knapp 26 Prozent, bei neuroonkologischen Tumoren um 15,8 Prozent, bei Lungenkrebs um 15 Prozent und bei Brustkrebs um fast zwölf Prozent. Dabei scheinen die Überlebensvorteile in den früheren Stadien I bis III ausgeprägter als im späteren Stadium IV.

Relevant für den Therapieerfolg ist auch ein anderer Aspekt: Je länger die Kliniken bereits zertifiziert sind, desto höher sind die Überlebenschancen. Die ersten Zentren wurden laut DKG vor fast 20 Jahren geprüft. Heute gibt es 1.630 zertifizierte Zentren an 430 Kliniken, weitere 148 im Ausland. Sie müssen sich regelmäßig Qualitätskontrollen und Vor-Ort-Begehungen unterziehen, erläutert Dr. Simone Wesselmann, die den DKG-Bereich Zertifizierung leitet.

An Spezialisierung führt kein Weg vorbei.

Dennoch ist bis heute die Therapie in Zentren mit Gütesiegel nicht Standard. Laut DKG werden erst 56 Prozent der neu Erkrankten dort behandelt. Bei vielen Krebsarten profitieren noch weniger Patienten. Bei Krebs der Bauchspeicheldrüse etwa erfolgen nur 24 Prozent der Behandlungen in zertifizierten Zentren. Noch immer würden „viel zu viele“ Patienten in Krankenhäusern ohne geprüfte Standards behandelt, kritisiert Reimann. „Gerade in diesem sensiblen Bereich der medizinischen Versorgung brauchen wir noch mehr Spezialisierung und Konzentration von Leistungen“, so die AOK-Chefin.

Bis heute gelte in Deutschland das Prinzip, das möglichst jede Klinik möglichst jede Leistung erbringen darf, „mag sie auch noch so komplex sein“, kritisiert Professor Dr. Josef Hecken, unpartei­ischer Vorsitzender des GBA, den Status quo. Dies sei nicht mehr zeitgemäß. Die Medizin sei heute zu spezialisiert, immer mehr ältere und multimorbide Patienten machten Behandlungen schwieriger. Für Hecken führt kein Weg an mehr Spezialisierung vorbei.

Längere Fahrwege berücksichtigen.

Selbsthilfe-Expertin Kerek-Bodden weiß allerdings um praktische Hürden. Für Patienten auf dem Land bedeute die Therapie in den Zentren oft längere Fahrwege. Ältere oder Alleinstehende könne dies vor Probleme stellen. Die Patientenvertreterin regt Unterstützungsleistungen für Fahrdienste an. „Aus Gesprächen erfahren wir auch häufig, dass Patienten kleine Krankenhäuser bevorzugen.“ Aber auch in einem größeren Zentrum könne etwa ein fester Ansprechpartner mehr persönliche Nähe vermitteln. „Natürlich haben wir immer ein Spannungsfeld zwischen wohnortnaher Versorgung und Spezialisierung“, sagt Reimann. Aber die Studienergebnisse zeigten, „dass sich der Weg lohnt“. Sie seien ein „deutlicher Auftrag an uns alle und natürlich an die Politik“, komplexe Therapien wie bei Krebs auf spezialisierte Zentren zu fokussieren, um vermeidbare Todesfälle zu verringern. Dies sollte die Politik bei der geplanten Krankenhausreform „dringend“ aufgreifen, mahnt sie. Aber schon vorher seien auch Länder ebenso wie GBA und noch nicht zertifizierte Kliniken gefordert zu handeln. Die Länder könnten in ihren Klinikplänen Versorgungsaufträge gezielter nach Qualität vergeben.

Finanzierungsfragen klären.

DKG-Expertin Wesselmann hofft auch auf den GBA. Noch vor der Klinikreform könne das oberste Beschlussorgan der Selbstverwaltung eine Richtlinie nach Paragraf 136 Sozialgesetzbuch V beschließen, dass nur noch Kliniken Krebsbehandlungen erbringen dürften, die die Zertifizierungsvorgaben erfüllten. „Ich wäre dabei“, sagt Reimann. Auch Hecken befürwortet die Idee, lässt aber Zweifel durchblicken, ob sie derzeit durchsetzbar ist. „Das wäre ein Berufsverbot für die anderen Krankenhäuser.“

Dr. Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, sieht die Idee denn auch kritisch. Bei der aktuellen Finanzierung über Fallpauschalen müssten kleine Kliniken um ihre Existenz bangen, wenn ihnen Behandlungen entzogen würden. Daher müsse erst im Zuge einer Krankenhausreform geklärt werden, wie die wohnortnahe stationäre Versorgung künftig finanziert werde.

Kliniklandschaft neu ordnen.

GBA-Vorsitzender Hecken warnt davor, die „längst überfällige“ Reform auf die lange Bank zu schieben. Defizitäre Stationen und Häuser würden heute oft „einfach so zugemacht“. Einen ungeordneten Strukturwandel könne niemand wollen. Nötig sei eine Reform, die die Kliniklandschaft zum Wohle der Patienten neu ordne und die knappen Personalressourcen gezielt einsetze. Das gehe auch mit der Erkenntnis einher, dass „wir nicht unbedingt 1.900 Krankenhäuser brauchen“.

Als Zukunftsmodell schwebt Hecken eine mehrstufige Versorgung vor: „Da bin ich ganz nah beim AOK-Bundesverband.“ Die erste Ebene sollten wohnortnahe Regelversorger sein, die Basisleistungen von Chirurgie bis Geriatrie anbieten. Diese sollten im Mittel in „30 Minuten Fahrzeit“ erreichbar sein und könnten etwa über Vorhaltekosten finanziert werden, so der GBA-Chef. Darüber seien Klinikzentren angesiedelt, die bestimmte Anforderungen erfüllen müssten. Die dritte Ebene bildeten medizinische Spitzenzentren.

Selbstverwaltung kann Qualität steuern.

Hecken wünscht sich mehr Kompetenzen für die Selbstverwaltung, die Qualität zu steuern. Sein Vorschlag: Der Gesetzgeber sollte dem GBA im Zuge der Klinikreform die Befugnis erteilen, „bestimmte Leistungskomplexe an bestimmte Versorgungsebenen zu binden“.

Für die Krebstherapie hieße das: Behandlungen würden nur noch in Zentren der zweiten Ebene, nicht aber beim Grundversorger „irgendwo auf dem Dorf“ erfolgen. Damit würde die „ungute Praxis“ der Länder durchbrochen, sich bei der Klinikplanung teilweise mehr von politischen Opportunitäten und weniger vom Wohle der Patienten leiten zu lassen, glaubt Hecken.

Reformen sofort angehen.

Skeptisch sieht GBA-Chef Josef Hecken die vom Bund kürzlich eingesetzte Expertenkommission zur Reform. „Die soll nochmal das herausfinden, was wir eigentlich alle wissen“, schwant ihm. Lieber wäre es ihm, die Politik würde die drängenden Reformen sofort angehen. „Wir haben kein Erkenntnisdefizit, wir haben ein Umsetzungsdefizit.“

Christine Möllhoff schreibt als freie Journalistin über Gesundheitsthemen.
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