Digitalisierung

Gesundheitsdaten auf Europareise

Die EU-Kommission strebt einen europäischen Gesundheitsdatenraum an. Der Austausch und die Auswertung von Patientendaten sollen die Versorgung und Forschung verbessern, der Wirtschaft nutzen und die Politikplanung erleichtern. Von Thomas Rottschäfer

Wenn Stella Kyriakides

über den Plan für eine europäische Gesundheitsunion spricht, gerät sie ins Schwärmen. Das sei ein „wahrhaft historischer Schritt auf dem Weg zur digitalen Gesundheitsversorgung in der Union“, sagt die EU-Gesundheitskommissarin. Ihre Vision: 447 Millionen EU-Bürger sollen ihre Gesundheitsdaten grenzüberschreitend verwenden können. Wissenschaft, Forschung, öffentliche Einrichtungen und Wirtschaft bekommen Zugang zu großen Mengen an Gesundheitsdaten von hoher Qualität. Und Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas spricht von „einem echten Binnenmarkt für digitale Gesundheits­dienste und -produkte“. Der gemeinsame „European Health Data Space“ ist aus beider Sicht ein entscheidender Baustein einer stetig wachsenden Gesundheitsunion.

Ehrgeiziger Zeitplan.

Das Konzept beinhaltet, dass die Mitgliedstaaten elektronische Patientenakten, E-Rezepte, Bilddaten, Laborergebnisse und Patienten­berichte in einem einheitlichen Format anlegen und gegenseitig akzeptieren. Der ehrgeizige Zeitplan sieht vor, dass unter dem Dach des Projekts „MyHealth@eu“ spätestens ab 2025 zwischen allen EU-Ländern der Austausch von E-Rezepten und Patientenkurzakten möglich sein soll. Für die Datensicherheit und die Rechte der Bürger sollen die Staaten „digitale Gesundheitsbehörden“ benennen. Die Daten sollen durch eine neue dezentrale EU-Infrastruktur strömen und nationale Zugangsstellen die Verwendung der Daten zweckgebunden genehmigen und kontrollieren. Datenauswertungen zum Nachteil von Bürgern und Patienten, etwa zur Erhöhung einer Versicherungsprämie, sollen laut Kommissionsvorschlag „streng verboten“ sein.

Porträt von Prof. Dr. Guido Noelle, Geschäftsführer der gevko GmbH

„Uns fehlt ein europäischer Masterplan“

Die EU-Kommission hat ihr Konzept für einen europäischen Gesundheitsdatenraum vorgestellt. Neben der Datensicherheit sind es technische Hürden, die Fachleute an einer schnellen Umsetzung zweifeln lassen. Wozu E-Health-Experte Prof. Guido Noelle rät. Zum G+G-Interview

Mitte Juni diskutierte erstmals der Rat der EU-Gesundheitsminister (Epsco) über das Vorhaben. Der Tenor: ein grundsätzliches Ja. Absoluten Vorrang habe aber die Sicherheit der Gesundheitsdaten. Für die Bundesregierung sei deshalb die Stellungnahme des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA) von wesentlicher Bedeutung für das weitere Vorgehen, betonte der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Thomas Steffen, in der Epsco-Sitzung. Die Datenschutz­aspekte sind mit den technischen Hürden verknüpft. Denn Kyriakides' Vision trifft auf 27 höchst unterschiedliche IT-Realitäten. Während etwa das E-Rezept hierzulande gerade erst in die Feldversuch-Verlängerung gegangen ist und auch digitale Patientenakten noch in den Kinderschuhen stecken, können Patienten aus Kroatien, Estland, Finnland, Portugal, Malta und Spanien in diesen Ländern elek­tronische Verordnungen bereits grenzüberschreitend einreichen.

Schnelle Vernetzung fraglich.

Der E-Health-Experte Professor Guido Noelle beurteilt die Chancen für eine schnelle EU-Vernetzung skeptisch. In den vergangenen Jahrzehnten sei sehr viel Geld für unterschiedlichste EU-Projekte im Bereich Telemedizin, Patientenakten und anderes investiert worden, „ohne dass dabei relevante Forschungsergebnisse über die Projektlaufzeit hinaus herauskamen oder auch nur Beachtung fanden“. Die Kommunikationsprozesse seien bislang nicht europäisch normiert. „Dazu waren die nationalen Aktivitäten bisher zu unterschiedlich, was zum Teil auch den verschiedenen Strukturen der jeweiligen Sozialsysteme geschuldet ist“, erläutert der Arzt und Medizininformatiker. Er hält deshalb die inzwischen entwickelten und erprobten internationalen IT-Standards für geeigneter als neue EU-Normen.

Gelder in Milliardenhöhe.

Für den Aufbau des European Health Data Space stehen laut Kommission rund 13 Milliarden Euro aus unterschiedlichen EU-Töpfen zur Verfügung. Damit das Projekt kein Milliardengrab wird, rät Noelle zu einem „europäischen Masterplan“.

Sinnvoll sei beispielsweise, Teilbereiche zunächst in einzelnen EU-Mitgliedsländern zu er­proben und bei Erfolg auf die anderen zu übertragen. „Dadurch ließen sich erhebliche Kosten einsparen, und wir bekämen mehr Tempo bei der Umsetzung von Interoperabilität und Standardisierung“, sagt der IT-Experte.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
Bildnachweis: iStock.com/photochecker, gevko GmbH