Interview

„Im Wald geht es nur um uns“

Das AOK-Kindermagazin Jolinchen hat seine Sommer-Kampagne dem Thema Wald gewidmet. Dort ist es ruhig und doch passiert viel. Warum der Wald wie sonst kein anderer Ort Erlebnisse für Kinder und ihre Familien schaffen kann, erklärt Marcel Gluschak.

Herr Gluschak, Wald klingt oft nach Wandern und Anstrengung. Wie lassen sich Kinder für den Wald begeistern?

Marcel Gluschak: Eigentlich müssen wir Kinder im Wald gar nicht beschäftigen. Sie suchen sich selbst ihre Herausforderung, wie einen Baumstamm oder Wasserlauf zum Spielen. Kinder haben eine riesige Fantasie und es ist schön, sie einfach machen zu lassen. Es kann auch ratsam sein, eine altersgemäße und spielerische Herausforderung zu schaffen. Beispielsweise können Eltern ein Sinnesspiel oder eine Schnitzeljagd organisieren. Viele neigen dazu, Belohnungen, zum Beispiel auf ein Eis, auszusprechen, damit das Kind mitmacht. Da wirkt das Wald­erlebnis dann schnell wie eine Pflicht.

Porträt von Marcel Gluschak vom WWF Deutschland

Zur Person

Marcel Gluschak arbeitet beim WWF Deutschland im Kinder- und Jugendprogramm.

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Was bringt eine Waldzeit konkret für Familien?

Gluschak: Oft begegnet uns das traurige Bild, dass ein Kind zwar mit Mama oder Papa auf dem Spielplatz ist, Eltern aber dauernd in ihr Smartphone schauen. Die Waldzeit schafft einen Raum, in dem es nur um uns geht. Wenn wir als Familie in den Wald aufbrechen, sind wir praktisch auf uns zurückgeworfen und können nichts anderes konsumieren. Stattdessen haben wir wieder die Möglichkeit, miteinander zu sprechen und Abenteuer zu erleben. Der Wald bietet uns als Familie einzigartige Erlebnisse, die wir so in keiner Shopping-Mall und in keinem Freizeitpark finden.

Warum ist der Wald so besonders und anders als andere Erlebniswelten?

Gluschak: Der Wald spricht unsere Sinne auf ursprünglichste Weise an. Unser Körper ist darauf ausgelegt, dass wir jeden Tag mindestens zehn Kilometer laufen. Stattdessen sitzen wir aber den ganzen Tag am Schreibtisch. Im Wald spüren und erleben wir besondere Geräusche, Farben und Düfte. Während uns in der Stadt vor allem Lärm umgibt, schenkt uns der Wald einen komplett harmonischen Klangteppich. Auch die Luft ist mit wertvollen Stoffen angereichert. Der Wald wirkt sich nachweisbar positiv auf unsere Psyche und unser Immunsystem aus. Das gilt sogar schon für einen dreißigminütigen Waldspaziergang pro Woche. Insofern sind Bäume eigentlich unsere größten Heilpflanzen.

Der Wald ist ein Raum, in dem wir unseren übermäßigen Medienkonsum verlassen können.

Stichwort Digitalisierung: Wie lassen sich neue Medien ins Walderlebnis integrieren und ist das überhaupt sinnvoll?

Gluschak: Es gibt tolle Apps, um Wanderungen zu planen oder um Pflanzen und Vogelstimmen zu bestimmen. Ich möchte das nicht verteufeln. Dennoch ist der Wald ein Raum, in dem wir unseren übermäßigen Medienkonsum ver­lassen können. Ich bin sehr skeptisch, ob neue Medien ein Schlüssel zu einem intensiven Naturerlebnis sein können. Wir haben unsere Naturverbindung größtenteils verloren, können sie aber zurückgewinnen. Doch das gelingt nicht, wenn wir per App alles labeln und etikettieren wollen. Viel mehr lernen wir, indem wir uns eine Blüte oder Vogelstimme nachhaltig einprägen und sie später nachschlagen. Mein Rat ist: Handy aus und einfach den Wald auf uns wirken lassen.

Wie können Walderlebnisse das Bewusstsein für den Klimaschutz stärken?

Gluschak: Wälder und Klima gehören untrennbar zusammen. Große zusammenhängende Waldflächen sind wie riesige Klimananlagen, die CO₂ binden und die Atmosphäre abkühlen. Emotionale und intensive Erlebnisse, die nicht immer idyllisch sein müssen, schaffen einen Zugang zum Wald. Durch diesen sind wir dann viel eher bereit, langfristig etwas für diesen Lebensraum zu tun. Wir müssen die Kinder mit in den Wald nehmen und nicht nur sie, sondern Menschen jeden Alters.

Tina Stähler führte das Interview. Sie ist Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: Verena Gluschak