Stabile Kassenfinanzen? Bei „AOK im Dialog“ sprachen gesundheitspolitische Experten über die Gerechtigkeit bei der Lastenverteilung.
Gesundheitsreform

Finanzgesetz lässt Fragen offen

Solidarität, Stabilität und gute Versorgung – mit Blick auf diese Ziele diskutierten gesundheitspolitische Experten bei „AOK im Dialog“ über die Zukunft der Kassenfinanzen. Die Pläne der Bundesregierung standen dabei in der Kritik. Von Änne Töpfer

Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

(GKV-FinStG) muss nachgebessert werden, lautete das Fazit der Veranstaltung „AOK im Dialog“, die kurz vor der ersten Lesung des Entwurfs stattfand. Ein Kritikpunkt war, dass die Beitragszahlenden bei der Bewältigung des Defizits in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Hauptlast tragen sollen. Auf Einladung des AOK-Bundesverbandes diskutierten die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Professor Andrew Ullmann, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem und die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann darüber, wie sich mehr Gerechtigkeit bei der Lastenverteilung erreichen lässt.

Das Gesetz gibt keine Antwort auf die Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung.

Zunächst machte Jürgen Wasem, Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen, die Dimension der finanziellen Herausforderungen für die GKV deutlich. Nach fast vier „goldenen Jahren der Gesundheitspolitik“ gehe die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben seit 2019 weit auseinander. Das sei weniger auf Covid als auf die Ausgabenpolitik zurückzuführen, sagte Wasem. Die „gewollte strukturelle Unterdeckung“ – die Differenz zwischen den Beitragseinnahmen und den Leistungsausgaben – habe 2019 bereits 30 Milliarden Euro betragen und liege 2022 bei 50 Milliarden Euro. Diese Differenz sei über den Bundeszuschuss, den Zusatzbeitrag, die Abschmelzung von Kassenrücklagen und einen Sonder-Bundeszuschuss aufgefangen worden. „Sinkt der Sonder-Bundeszuschuss, muss man sofort ein Loch stopfen“, warnte Wasem. Daran ändere das GKV-FinStG nichts. Zudem sei der Gesetzentwurf „erkennbar nur für 2023 gestrickt“ und „vermutlich nicht einmal auf die knappste Kante genäht“.

Einnahmen verbessern.

Das bestätigte Heike Baehrens: „Dieses Gesetz gibt keine Antwort auf die Gesamtherausforderungen in unserer Gesundheitsversorgung und den Reformbedarf.“ Deshalb sei im Gesetzentwurf enthalten, dass bis Ende Mai 2023 weitere Vorschläge für die Bewältigung der strukturellen Herausforderungen erarbeitet werden. „Es ist ein Grundstrickfehler, dass die Beiträge für Arbeitslosengeld-II-Bezieher nicht den durchschnittlichen Behandlungskosten entsprechen“, sagte Baehrens. Sie hätte sich zudem gewünscht, dass der Bundeszuschuss dynamisiert werde. „Wir müssen intensiv darüber reden, wie die Einnahmen verbessert werden können.“

Ineffizienzen beseitigen.

Dem entgegnete Andrew Ullmann: „Wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.“ Der FDP-Gesundheitsexperte beklagte einmal mehr bestehende Ineffizienzen, „eine Überversorgung in den Städten und eine Unterversorgung auf dem Land“. Er wolle nicht mit Geld Löcher stopfen, die strukturell bedingt seien. „Ein teures und ineffektives Gesund­heitssystem ist ungerecht“, so Ullmann.

AOK-Bundesverband: AOK im Dialog

Während seine Koalitionspartnerin Heike Baehrens für eine Anhebung von Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze plädierte, erteilte Ullmann diesem Ansinnen eine Absage: „Eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze steht nicht zur Debatte.“

CDU-Experte Tino Sorge forderte, die finanzielle Lücke in der GKV „kurzfristig zu schließen“. Bezüglich der ALG-II-Bezieher habe Heike Baehrens „völlig recht“: „Zehn Milliarden Euro würden ein großes Delta dieser Lücke schließen. Außerdem müssen wir uns darüber verständigen, was an strukturellen Maßnahmen nötig ist.“ Es reiche nicht, an kleinen Stellschrauben zu drehen, sondern man müsse beispielsweise „die Krankenhausreform, die Ambulantisierung angehen“.

Dass es höchste Zeit für einen qualitätsorientierten Umbau der Krankenhauslandschaft ist, bekräftigte Carola Reimann. Zudem wünscht sich die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, dass „die Sozialversicherungsbeiträge als Teil der Entlastungspakete wahrgenommen werden“. Dass die Beitragszahler von den 17 Milliarden GKV-Defizit zwei Drittel tragen sollten, hält sie für „nicht fair“. Zudem sei es sehr kurzsichtig, die Löcher so zu stopfen: „Schon im nächsten Jahr stehen wir vor denselben Herausforderungen. Das destabilisiert die Kassen.“

Änne Töpfer ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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