Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Multitasking für mehr Sicherheit

Zulassung von Arzneimitteln, Risikobewertung von Medizinprodukten, Beurteilung digitaler Gesundheitsanwendungen und vieles mehr: Die Aufgaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sind stetig gewachsen. Es versteht sich zum Nutzen der Verbraucher als Dienstleister für Politik, Pharmaunternehmen, Forschung und Wissenschaft. Hintergründe von Thomas Rottschäfer

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn ist das Kind einer Krise. 1994 löste der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CDU) das 1952 gegründete Bundesgesundheitsamt (BGA) auf. Anlass war der Skandal um HIV-verseuchte Blutpräparate, durch die in Deutschland fast 600 Menschen starben. Zuvor schon hatte die Behörde mit Hauptsitz in Berlin wegen unzureichender Warnungen vor Gesundheitsgefahren durch Holzschutzmittel in der Kritik gestanden. Seehofer verteilte die umfangreichen Aufgaben des Amtes auf sechs eigenständige Institute. Drei davon wurden als selbstständige Bundesoberbehörden in den Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) eingegliedert: Zunächst noch in Berlin, ab 1999 in Bonn übernahm das neue Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Aufgaben des bisherigen BGA-Instituts für Arzneimittel. Das BGA-Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie wurde mit dem geschichtsträchtigen Berliner Robert-Koch-Institut von 1891 zum neuen Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten vereinigt. Zuständig für Chemikalienzulassung und Tier­arzneimittel wurde das 2002 bereits wieder aufgelöste Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinär­medizin (BgVV).

Umzug von der Spree an den Rhein.

Ebenso wie das Bundesamt für Soziale Sicherung (vormals Bundesversicherungsamt) ­wurde das BfArM Ende der 1990er-Jahre in den Behörden-Ringtausch zwischen Bonn und Berlin einbezogen. Als Ausgleich für Bonner Arbeitsplatzverluste durch den Regierungsumzug nach Berlin wechselte das Institut 1999 von der Spree an den Rhein. Im Frühjahr 2001 bezog das Bundesinstitut ein neu gebautes Dienstgebäude im Bonner Behörden- und Ministeriumsviertel Hochkreuz, zehn Jahre später wurde dieser Komplex noch einmal deutlich erweitert. Aktuell arbeiten dort in zehn Fachabteilungen rund 1.350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter Ärzte, Apotheker, Chemiker, Biologen, Juristen, Inge­nieure, IT-Spezialisten und Verwaltungsbeschäftigte. Allein vier Abteilungen sind mit der Arzneimittelzulassung befasst. Die weiteren Ressorts sind zuständig für Forschung, Pharmakovigilanz, Medizinprodukte, die Bundesopiumstelle mit Cannabis-Agentur, wissenschaftlichen Service sowie Informationstechnik und Klinische Prüfung.

Holpriger Start nach Standortwechsel.

Der Start in Bonn war holprig. Viele in Berlin Beschäftigte hatten sich gegen einen Umzug entschieden. Von 850 Arbeitsplätzen wurden 450 an den Rhein verlagert. Der Verlust vieler hoch qualifizierter und leitender Mitarbeiter sorgte im Zusammenspiel mit einem noch nicht eingespielten neuen EU-Zulassungsverfahren und neuen gesetzlichen Vorgaben zur Nachzulassung älterer Arzneimittel für Sand im Institutsgetriebe und reichlich Unmut bei den Pharmaunternehmen. Die Branche drängte auf schnellere und effizientere Verfahrensabläufe. Auch der Bundestag be­schäftigte sich mit dem Personalmangel und seinen Folgen für die Industrie. Die damalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer von den Grünen geriet im Jahr 2000 gehörig unter Druck.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurde 1994 als eine Nachfolgeeinrichtung des Bundesgesundheitsamtes gegründet. Als selbstständige Bundesoberbehörde ist das BfArM dem Bundesgesundheitsministerium zugeordnet. Seit der Eingliederung des in Köln beheimateten Deutschen Instituts für Medizinische Dokumen­tation und Information (DIMDI) im Mai 2020 hat das Bundesinstitut dort einen zweiten Dienstsitz.
 
Im BfArM arbeiten in zehn Fachabteilungen rund 1.350 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter, darunter Ärzte, Apotheker, Chemiker, Biologen, Juristen, Ingenieure, IT-Spezialisten und Verwaltungsbeschäftigte. Die Hauptaufgaben des Bundesinstituts liegen im Bereich der Zulassung von Arzneimitteln und Medikamentensicherheit, der Risikoerfassung und -bewertung von Medizinprodukten und der Überwachung des Betäubungsmittelverkehrs.
 
2020 ist die Bewertung und Zulassung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) hinzugekommen; aktuell läuft das Einführungsverfahren für digitale Pflegeanwendungen (DiPA). Darüber hinaus dient das BfArM Bund und Ländern als Denkfabrik, insbesondere durch zahlreiche Forschungsprojekte zur Arzneimittel- und Medizin­produktesicherheit. Seit dem Jahr 1998 begleitet ein Wissenschaftlicher Beirat die Forschungstätigkeiten.

Die Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit informiert das BfArM unter anderem mit einer umfangreichen Internetseite. Die Datenbank mit Lieferengpass-Meldungen der Pharmaunternehmen ist offen zugänglich, ebenso Informationen über aktuelle Arzneimittelrisiken. Möglich ist auch die Recherche in einem Arzneimittel-Informationssystem und weiteren Fachdatenbanken.
 
Alle Bürgerinnen und Bürger können Arzneimittel-Nebenwirkungen oder Vorkommnisse mit Medizinprodukten melden. Anfang 2021 ist eine Meldestelle für Probleme mit Anwendungen der Telematikinfrastruktur hinzugekommen. Präsident des Amtes ist seit 2014 der Humanmediziner Professor Karl Broich und Vizepräsident der Pharmazeutische Biologe Professor Werner Knöss.

Nach einer ersten tiefgreifenden Neustrukturierung des BfArM Mitte der Nullerjahre unternahm die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD den Vorstoß, aus der Bonner Behörde die „Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur“ (DAMA) zu schmieden. Ihr Ziel: ein effizienteres Zulassungsmanagement und mehr Arzneimittelsicherheit durch Verbesserungen bei der laufenden Risikoüberwachung bereits zugelassener Medikament (Pharmakovigilanz). Mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Deutschland ging es aber auch darum, Pharma-Forderungen nach „mehr Dialogfähigkeit“ der Zulassungsbehörde entgegenzukommen. Darauf hatte das BfArM zuvor bereits mit dem Angebot sogenannter Portfolio-Gespräche reagiert – dabei können sich die Pharmaunternehmen schon im Entwicklungsstadium neuer Produkte mit den Fachleuten des Instituts über Zulassungsfragen austauschen.
 
Der für Anfang Januar 2008 geplante DAMA-Start schei­terte jedoch auf der Zielgeraden am Widerstand innerhalb der Großen Koalition. Die Union fürchtete um die Arzneimittelsicherheit, weil sich die Agentur nach vier Jahren Übergangszeit vollständig aus Gebühren der Pharmaindustrie finanzieren sollte und die Hersteller dadurch möglicherweise „Druckpotenzial“ in die Hand bekommen hätten.

Enge Kooperation mit EU-Agentur.

Von seiner Gründung an war das BfArM eng mit der immer stärker zusammenwachsenden Europäischen Union (EU) verwoben. Die zuvor von den einzelnen Mitgliedsländern verantwortete Arzneimittelzulassung ging 1995 zu großen Teilen auf die „Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln“ (EMEA) über. Seit 2009 nennt sie sich Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Zuerst mit Sitz in London, nach dem Brexit seit 2019 in Amsterdam, ist die EMA die zentrale Institution für die Arzneimittelzulassung für die 27 EU-Staaten sowie Norwegen, Island und Liechtenstein. Für die Pharmaunternehmen bedeutete die Zentralisierung eine deutliche Erleichterung. Zuvor mussten sie ihre Zulassungs­anträge einzeln bei allen nationalen Zulassungsbehörden stellen.
 
Wenn EMA-Präsidentin Emer Cooke über Zulassungsempfehlungen für Corona-Impfstoffe informiert, fußt das jedoch nicht auf einsamen Entscheidungen in der niederländischen Hauptstadt. In den sieben wissenschaftlichen Fachausschüssen, den wichtigsten Gremien der Agentur, sind die Expertinnen und Experten der nationalen Arzneimittelbehörden vertreten. Sie bereiten auf der Grundlage der Zulassungsunterlagen und ­Studienergebnisse die EMA-Empfehlungen an die EU-Kommission in Brüssel vor, die formal über die Zulassung oder Ablehnung eines neuen Medikamentes entscheidet.
 
Das BfArM ist als größte nationale Arzneimittelbehörde der EU in allen Ausschüssen vertreten. Seit September 2018 ist der BfArM-Zulassungsexperte Dr. Harald Enzmann Vorsitzender des wichtigen EMA-Ausschusses für Humanarzneimittel. Das Gremium tagt in der Regel monatlich. In der Hochphase der Corona-Pandemie stand dieses Fachgremium unter besonders großem Druck, schnell und dennoch zuverlässig über die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Covid-19-Impfstoffe und neuer Corona-Medikamente zu befinden.

Umfangreiche Zulassungskompetenzen.

Das BfArM ist zuständig für die Zulassung von Fertigarzneimitteln, die ein Unternehmen ausschließlich in Deutschland auf den Markt bringt. Bestandteile der Zulassungsunterlagen sind nach Angaben des Bundesinstituts „analytische, pharmakologisch-toxikologische und klinische Prüfungen sowie entsprechende Sachverständigen­gutachten“. Außerdem müssen die Hersteller die Gebrauchs- und Fachinformationen sowie Angaben zur Kennzeichnung und Packungsgröße vorlegen und das vorgesehene Risikomanagement erläutern.

Zu den Aufgaben des BfArM gehört auch die Kontrolle des legalen Gebrauchs von Wirkstoffen, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Die Bundes­opiumstelle überwacht den Rohstoffimport, die Herstellung und die Aus­lieferung betäubungsmittelhaltiger Medikamente an Apotheken. Nach der Erweiterung der deutschen gesetzlichen Rahmenbedingungen für medizinisches Cannabis 2017 wurde beim BfArM die Deutsche Cannabisagentur eingerichtet. Im Frühjahr 2019 wurden laut Institut Aufträge für Anbau, Ernte und Verarbeitung zu medizinischen Zwecken in Deutschland über insgesamt 10.400 Kilogramm für vier Jahre erteilt. Die Cannabisagentur überwacht den Weg von Anbau, Ernte und Verarbeitung der medizinischen Cannabisblüten über Qualitätsprüfung, Lagerung und Verpackung bis hin zur Abgabe an Apotheken in Deutschland.
 
Zu der vom Gesetzgeber in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Begleitung hat das BfArM im Juli dieses Jahres den Abschlussbericht vorgelegt. Für die Studie wurden rund 21.000 Behandlungen mit Cannabisblüten und -extrakten sowie mit cannabishaltigen Arzneimitteln anonymisiert aus­gewertet. Danach erfolgten mehr als 75 Prozent der ausgewerteten Behandlungen aufgrund chronischer Schmerzen. In knapp zehn Prozent der Fälle ging es um Spastik, fünf Prozent der Behandlungen betrafen durch Krebserkrankungen hervorgerufenen Gewichtsverlust. Die Patienten waren im Schnitt 57 Jahre alt, in der Mehrzahl waren es Frauen. Ein abweichendes Bild ergab sich für die besondere Behandlung mit Cannabisblüten, die einen deutlich höheren Hauptwirkstoff (THC) enthalten. Hier lag das Durchschnittsalter der Patienten laut Studie bei 45,5 Jahren, in mehr als zwei Drittel der Fälle waren es Männer. Die Begleiterhebung soll das Wissen um Anwendungsgebiete, Nebenwirkungen und Grenzen der Therapie mit Cannabispräparaten er­weitern. Die Ergebnisse dienen dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Grundlage für Entscheidungen zur Versorgung der Patienten, denen zur Behandlung keine weiteren Arzneimittel zur Verfügung stehen, und zur Übernahme der Kosten für solche Präparate durch die Krankenkassen.

Auch die Zulassung und Registrierung von Präparaten, die im deutschen Arzneimittelgesetz als „besondere Therapierichtungen“ mit gesonderten Zulassungsvorgaben geführt werden, verantwortet das BfArM. Gemeint sind pflanzliche Arzneimittel (Phytotherapie), Homöopathie und anthroposophische Medizin. „Ausgehend von einem Wissenschaftspluralismus auf dem Gebiet der Arzneimitteltherapie sieht das Arzneimittelgesetz ausdrücklich die Berücksichtigung spezifischer Aspekte der Besonderen Therapierichtungen vor“, heißt es dazu auf der Internetseite des BfArM. Der Gesetzgeber habe dazu spezielle Kommissionen eingerichtet, „die den medizinischen Sachverstand der jeweiligen Therapierichtung in die Arbeit des BfArM einbringen“.

Sicherheit auf dem Prüfstand.

Im Zusammenhang mit dem EU-Medizinproduktegesetz von 1995 wurden dem BfArM neue, zentrale Aufgaben übertragen. Die betreffende Fachabteilung bewertet sogenannte Vorkommnisse und prüft, wie Sicherheitsrisiken für Verbraucher und Patienten verhindert, beseitigt oder minimiert werden können. Zudem ist die Bonner Behörde zuständig für die Genehmigung klinischer Prüfungen von Medizinprodukten und von Leistungsstudien für In-vitro-Diagnostika. Zertifiziert werden Medizinprodukte und In-vitro-Dia­gnostika jedoch nicht in Bonn, sondern nach den Vorgaben der 2017 in Kraft getretenen neuen EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) durch sogenannte Be­nannte Stellen. In Deutschland sind das unter anderem der TÜV und die Dekra.

In Sachen Medizinprodukte-Sicherheit beschäftigt sich das BfArM zehn Jahre nach dem Skandal um minderwertiges Industriesilikon in den Brustimplantaten eines französischen Herstellers aktuell wieder mit dem Implantate-Thema. Dem Institut lagen nach eigenen Angaben bis Ende Juli „37 histo­logisch bestätigte Fälle“ von Krebserkrankungen vor, die durch Brustimplantate hervorgerufen wurden. Hinzu kamen 27 vorläufige Verdachtsfälle. Auf seiner Internetseite informiert das BfArM in diesem Zusammenhang über die verschiedenen Risiken von Brustimplantaten.

Keine politischen Meinungsäußerungen.

Das BfArM ist ein „stiller Riese“, deren Spitze gesundheitspolitische Entwicklungen und Entscheidungen öffentlich so gut wie nie kommentiert. Das hält auch Professor Karl Broich so, der die Einrichtung seit August 2014 leitet. Der 63-jährige Humanmediziner ist bereits seit dem Jahr 2000 für das Institut tätig, zunächst als Fach­gebietsleiter für Neurologie und Psychiatrie, ab 2005 als Leiter einer Zulassungsabteilung und ab 2009 als Vizepräsident. Zur tagespolitischen Diskussion um Lieferengpässe für Medika­mente oder Probleme bei der Zertifizierung von Medizinprodukten nach den Vorgaben der neuen EU-Verordnung äußert sich der BfArM-Chef extern nicht, sofern es nicht ausdrücklich um fachliche Fragen im Zuständigkeitsbereich seines Hauses geht. Das betrifft auch die Bewertung neuer Gesundheitstechnologie auf EU-Ebene (Health-Technology-Assessment), um die es in den vergangenen Jahren ein heftiges Kompetenzgerangel zwischen EU-Kommission, Europaparlament und dem Europä­ischen Rat der Regierungen gab. In den neuen HTA-Gremien auf EU-Ebene werden die deutschen Interessen durch den ­Gemeinsamen Bundesausschuss vertreten. Die Fachleute des BfArM beraten und unterstützen das oberste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung inhaltlich, zum Beispiel wenn es um das Studiendesign für klinische Forschung geht.

Digitalprodukte unter der Lupe.

In die Zuständigkeit des Bonner Instituts fällt dagegen der jüngste Aufgabenzuwachs. Ende 2019 hat der Gesetzgeber das BfArM mit der Bewertung und Zertifizierung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) – so­genannte Gesundheits-Apps – beauftragt. 2021 kamen die gesetzlichen Grundlagen für die Bewertung und Listung digitaler Pflegeanwendungen (DiPA) hinzu. Während für die digitalen Pflegehelfer, die auf Antrag der Pflegebedürftigen von den Pflegekassen bewilligt werden können, derzeit noch das Einführungsverfahren läuft, sind im DiGA-Portal des BfArM mittlerweile 36 Gesundheits-Apps gelistet, darunter Anwendungen, die Patienten mit Depressionen, Angststörungen, Dia­betes mellitus Typ 2, Adipositas oder Nikotin- und Alkohol­abhängigkeit unterstützen sollen.

Gesundheits-Apps können helfen, Versorgungslücken zu schließen – aber nur, wenn auch deren Qualität stimmt.

Bei den DiGA handelt es sich um digitale Medizinpro­dukte, die von Ärzten und Psychotherapeuten seit Oktober 2020 auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden können. Laut Sozialgesetzbuch müssen sie die „Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen“ unterstützen. „Der Aufnahmeprozess ist gut angelaufen und das Interesse an den DiGA, dem Verzeichnis wie auch an unserem Informations- und Beratungsangebot ist enorm hoch“, sagte BfArM-Präsident im März im G+G-Interview. Die Angebote könnten Versorgungslücken schließen, indem sie Patienten einen Zugang zur Versorgung böten, „den sie aufgrund von Mangelsituationen in bestimmten Bereichen nicht rechtzeitig wahrnehmen könnten oder vielleicht auch aus Scham gar nicht erst nutzen“.

Kritik an den Zulassungskriterien.

Die Krankenkassen kritisieren dagegen nach wie vor die Zulassungskriterien für die Digitalprodukte. „Für die Nutzenbewertung medizinischer Apps und digitaler Produkte müssen dieselben Qualitätsanforderungen gelten wie für ärztliche Methoden, Heilmittel oder Hilfsmittel“, fordert etwa der AOK-Bundesverband. Der GKV-Spitzenverband hatte im Gesetzgebungsverfahren gefordert, den Gemeinsamen Bundesausschuss unter Einbeziehen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der DiGA-Bewertung zu beauftragen.

Laut BfArM wurden bis Anfang September 150 DiGA-Anträge eingereicht. Zehn Prozent seien abgelehnt worden. „Über 50 Prozent der Anträge wurden hingegen von den Antragstellern selbst zurückgezogen, weil sich im Prüfungsverfahren zeigte, dass zum Beispiel wesentliche Datenschutzanforderungen nicht erfüllt werden und die Hersteller dies auch nicht im Zeitrahmen des Prüfverfahrens beheben konnten“, so das BfArM.

Neue Stelle für die Zertifizierung.

Im Sommer berichteten mehrere Medien über Qualitäts- und Sicherheitsprobleme bei einzelnen DiGA. Danach konnten App-Nutzer zeitweise auf Daten anderer Patientinnen und Patienten zugreifen. Inzwischen hat das BfArM die Vorgaben für den Datenschutz verschärft. „Die Zertifizierung erfolgt künftig durch eine akkreditierte Stelle. Nach erfolgreicher Umsetzung, Prüfung und Auditierung wird das Zertifikat ausgestellt und dem BfArM vorgelegt, wenn DiGA-Hersteller die Aufnahmen ins DiGA-Verzeichnis beantragen“, teilte das Bundesinstitut Anfang September mit. Die Anforderungen der EU-Datenschutzgrundverordnung und die speziellen Vorgaben für digitale Anwendungen würden „per­spektivisch auch im Bereich der digitalen Pflegeanwendungen Anwendung finden“.

Online-Datenbank zu Lieferengpässen.

Nicht erst seit der Pandemie beschäftigen Lieferengpässe bei einzelnen Arzneimitteln die Gesundheitspolitik. Die Corona-Krise hat die Anfälligkeit der Lieferketten noch deutlicher zu Tage treten lassen. In der Debatte um die Versorgungssicherheit zwischen Pharmabranche, Politik und den Krankenkassen als Kostenträgern fehlt jedoch vor allem eines: Transparenz. Bislang sind Pharmaunternehmen nicht gesetzlich verpflichtet, Lieferengpässe offenzulegen.

Im Mai 2020 ist das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in Köln in das BfArM eingegliedert worden. Das 1969 gegründete Institut unter Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums galt an der Schnittstelle zwischen Medizin und Informationstechnik als Pionier bei der Entwicklung und Nutzung medizinischer Datenbanken und von Recherche-Anwendungen in Deutschland. In den 1990er-Jahren kamen zahlreiche weitere gesetzliche Aufgaben hinzu, darunter der Aufbau und Betrieb von Informationssystemen für Arzneimittel, Medizinprodukte und Versorgungsdaten sowie die Herausgabe von Operationen- und Prozedurenschlüsseln.

2017 ging das Deutsche Register Klinischer Studien dauerhaft in den Betrieb beim DIMDI über, 2018 wurde ein elektronisches Samenspender-Register eingeführt. Das Institut war zudem federführend in den Aufbau von Datenbanken für die Bewertung von Gesundheitstechnologien (Health-Technologie-Assessment), den Aufbau der EU-Medizinproduktedatenbank Eudamed oder die grenzüberschreitende Vernetzung der Gesundheits­systeme ein­gebunden.

Weitere Aufgaben, die beim BfArM weitergeführt werden, betreffen die Arbeit an Klassifikationen, Terminologien oder Nomenklaturen für das Gesundheitswesen. Zu den bekanntesten Klassifikationen gehören die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) oder das Anatomisch-Therapeutisch-Chemische Klassifikationssystem (ATC) für Arzneimittel. Die Arbeit daran erfolgt in Abstimmung mit internationalen Partnern, darunter vor allem die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das BfArM ist in der Nach­folge des DIMDI offizielles WHO-Kooperationszentrum für das System internationaler Klassifikationen. Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums passt das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) diese internationale ATC-Systematik an die Besonderheiten der Arzneimittelversorgung in Deutschland an. Das BfArM gibt jeweils zum 1. Januar eine aktuelle Fassung der ATC-Klassifikation heraus. Die Systematik und die Messung der verordneten Arzneimittelmenge mittels definierter Tagesdosen ermöglichen Experten aus Wissenschaft und Praxis herauszufinden, welche Arzneimittel mit welchen Wirkstoffen in welchen Mengen verbraucht wurden.

2013 wurde ein freiwilliges Meldeverfahren eingeführt. Das BfArM veröffentlichte auf seiner Homepage erstmals ein Register für gemeldete Lieferengpässe. Seit 2016 bringt das Institut die Beteiligten bei einem regelmäßigen „Jour fixe“ an einen Tisch, um bestehende oder sich abzeichnende Lieferengpässe bewerten und geeignete Maßnahmen vorschlagen zu können. Als Ergebnis des „Pharmadialogs“ zwischen den Branchenverbänden und den Bundesministerien für Gesundheit, Wirtschaft und Forschung verpflichteten sich die Unternehmen 2018 zur Meldung von Lieferengpässen für versorgungsrelevante Arzneimittel. Das BfArm veröffentlicht die Hersteller-Meldungen in einer Datenbank, die durch Informationen aus der Arzneimittel- und Antrags-Datenbank des Bundes ergänzt wird. Anfang Oktober waren 296 neue Lieferengpässe gelistet. Als Gründe geben die Hersteller besonders häufig „Produktionsprobleme“ oder „erhöhte Nachfrage“ an.

Suche nach Lösungen.

Das BfArM ist eng in das Lieferengpass-Management eingebunden. Zeichnen sich Versorgungs­probleme ab, kann die Behörde eingreifen und zum Beispiel im Zusammenspiel mit dem Großhandel eine bessere Verteilung von Medikamenten koordinieren. Das betraf in diesem Jahr unter anderem das Medikament Tamoxifen für Patientinnen mit Brustkrebs. Aktuell geht es zum Beispiel um die einge­schränkte Verfügbarkeit von Fiebersäften für Kinder mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen. Nach Recherchen der Aufsichts­behörde gab es im laufenden Jahr eine überproportionale Nachfrage nach diesen Präparaten. Zudem habe sich ein Anbieter vom Markt zurückgezogen. Einen „Lieferabriss“ habe es aber zu keinem Zeitpunkt gegeben.

  • Auf seiner Internetseite stellt das BfArM für Patienten und Verbraucher eine Fülle von Informationen zur Arzneimittel- und Medizinprodukte­sicherheit zur Verfügung und informiert detailliert und transparent über alle Aufgabenbereiche.
  • In der Lieferengpass-Datenbank werden alle Versorgungsengpässe veröffentlicht, die von den Pharmaunternehmen gemeldet werden.
  • Zur DiGA-Diskussion: Thorsten Severin, Viel Konfliktstoff bei Gesundheits-Apps. In: G+G 3/2022, Seite 26–31.

Um in diesem Fall eine flächen­deckende Versorgung sicherzustellen, hat sich das BfArM mit dem GKV-Spitzenverband, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände darauf verständigt, dass Apotheken auf ärztliche Verschreibung hin die benötigten Arzneimittel individuell zubereiten dürfen. Bei den Maßnahmen gegen Versorgungsengpässe wird das BfArM durch einen ständigen Beirat unterstützt, dem neben Spitzenorganisationen des Gesundheitswesens, den Arzneimittelkommissionen von Apothekern und Ärzteschaft, wissenschaftlichen Fachgesellschaften und den Branchenverbänden auch Patientenvertreterinnen und -Vertreter angehören.
 
Das Managen der Lieferengpässe ist einer von vielen Belegen dafür, dass sich das BfArM in seinem Selbstverständnis längst von einer Behörde zum Dienstleister entwickelt hat, von dessen Expertise, Informationspolitik und Transparenz-Bemühen Wirtschaft, Gesundheitspolitik, Forschung und vor allem die Patienten und Verbraucher gleichermaßen profitieren.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
Bildnachweis: iStock.com/baona