Interview

„Die Spahnsche Pflegeidee sollten wir weiterverfolgen“

Karl-Josef Laumann könnte als Reformminister in die Geschichte Nordrhein-Westfalens eingehen. Doch beim Umbau der Kliniklandschaft liegt noch viel Arbeit vor ihm. Der CDU-Politiker hat nicht zuletzt reichlich Ideen für den Bund zur Reform von Pflege- und Krankenversicherung parat.

Herr Minister Laumann, das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz des Bundes schafft Vorkehrungen für 2023, die Finanzmisere der gesetzlichen Kassen wird damit aber nur überbrückt, etwa mit höheren Beiträgen. Was ist für die Zukunft notwendig?

Karl-Josef Laumann: Zunächst einmal ist festzuhalten: Das Gesundheitssystem wird in einer älter werdenden Gesellschaft bei gleichzeitigem medizinischem Fortschritt automatisch teurer. Wir werden daher ein Stück weit mit Beitragserhöhungen leben müssen. Aber Vieles lässt sich effizienter organisieren, gerade auch mithilfe der Digitalisierung. Und wenn wir etwa eine gute Krankenhausplanung machen, wird das Fehlanreize in den Systemen verkleinern.

Was ist bei der Digitalisierung zu tun?

Laumann: Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem ist eine traurige Veranstaltung. Ich bin 2023 50 Jahre Mitglied derselben Krankenkasse. Die einzige Innovation meiner Versichertenkarte, die ich erlebt habe, ist das Passbild. Die Defizite im Digitalsektor betreffen etwa die mangelnde Vernetzung von Schwerpunktkrankenhäusern mit Kliniken in den Regionen. Telekonsile gibt es zu wenig und sie müssen regelfinanziert werden. Krankenhäuser und Arztpraxen sind heute hochdigitalisiert. Das System ist aber nicht zum Patienten hin digitalisiert, und sektorübergreifend auch nicht. Immerhin müssen wir Radiologieaufnahmen heute nicht mehr in großen Mappen transportieren.

Brauchen wir mehr Steuermittel im System?

Laumann: Versicherungsfremde Leistungen – etwa rund um den Mutterschutz – müssen steuerfinanziert werden. Das gilt auch für die von Pflegebedürftigen in professioneller Versorgung zu zahlenden Anteile für die Pflegeausbildung. Und es ist nicht Aufgabe der gesetzlich Versicherten allein, die Gesundheitskosten von Menschen mit Arbeitslosengeld II in Höhe von zehn Milliarden Euro zu übernehmen. Ich ärgere mich sehr darüber, dass alle Menschen außerhalb der GKV dies nicht mitfinanzieren. Vor dem Hintergrund insgesamt steigender Kosten durch Alterung und Fortschritt finde ich es im Übrigen schade, dass die Praxisgebühr von zehn Euro 2013 abgeschafft wurde. Sie brachte Einnahmen von vier Milliarden Euro im Jahr, die uns jetzt fehlen.

Auch die Pflege ist eine Reformbaustelle. Hier steigen die Eigenanteile immer weiter. Wie lautet Ihr Rezept?

Laumann: Ich bin zunächst der Auffassung, dass grundsätzlich die Behandlungspflege in Heimen systemgerecht durch die Krankenversicherung übernommen werden muss und insofern allein unter Gerechtigkeitspunkten ein Gleichklang mit der ambulanten Versorgung hergestellt wird. Davon unabhängig war in der Reform von Jens Spahn angelegt, dass bei langdauernden Pflegefällen mehr finanzielle Unterstützung gewährt wird als bei kurzzeitigen. Das finde ich eine gute Idee. Es ist ein Unterschied, ob Pflege für einen sehr kurzen Zeitraum oder über viele Jahre aufgestellt werden muss. Diese Staffelungsidee würde ich gerne weiterverfolgen. Die Spahnsche Reform wurde kurz vor der Bundestagswahl 2021 leider nur mit relativ kleinen Beträgen umgesetzt.

Sollte die häusliche Pflege stärker unterstützt werden?

Laumann: Ja, unbedingt. Wir haben in den vergangenen 15 Jahren gewaltige Strukturen aufgebaut, um die Vereinbarkeit von Vaterschaft und Mutterschaft mit Berufstätigkeit zu verbinden. Es stellt sich die Frage, wie wir stärker als bisher auch die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf hinkriegen. Also: Was kann eine Pflegeversicherung machen, damit Menschen eine Zeit lang weniger arbeiten, um Pflege im engsten Umfeld zu organisieren? Pflege nur an Heime oder Pflegedienste abzugeben, wird nicht funktionieren. Dafür sind die Personalressourcen viel zu knapp. In diesem Sinne spreche ich mich auch dafür aus, das ambulante Leistungsrecht des SGB XI so auszugestalten, dass die Pflegebedürftigen und ihre Familien die gewünschten Pflege­arrangements flexibel und passgenau organisieren können.

Die mangelnde Attraktivität des Pflegeberufs hat im Wesentlichen mit den Arbeitsbedingungen zu tun.

Denken Sie hier auch an einen Lohnausgleich?

Laumann: Ich unterstütze die auf Bundesebene geplante Pflegezeit als eine gesetzliche Regelung in Anlehnung an den Anspruch auf Lohnersatzleistungen während der Elternzeit.

Wie lässt sich die Abkehr vom Pflegeberuf stoppen?

Laumann: Die mangelnde Attraktivität des Pflegeberufs hat im Wesentlichen mit den Arbeitsbedingungen zu tun. Bei den Löhnen tut sich ja einiges, sie sind in den vergangenen Jahren um 25 Prozent gestiegen. Vor allem muss der Arbeitsdruck durch mehr Personal sinken. Als Lösung stehe ich hinter den Vorschlägen von Professor Rothgang, in den Altenheimen mehr Assistenzkräfte zu beschäftigen. Zu einem großen Teil stehen sie auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Und auf jeden Fall müssen wir Dienstpläne und Freizeit für Pflegekräfte verlässlicher machen. Natürlich brauchen wir auch eine gute Ausbildung und eine gute Ausbildungsvergütung.

Was tun Sie in Ihrem Bundesland zur Gewinnung ausländischer Pflegekräfte?

Laumann: Wir schließen zurzeit ungefähr 4.000 Anerkennungsverfahren positiv ab. Ich habe das ganze Verfahren zentralisiert auf eine Bezirksregierung. Wir haben zudem an unseren Pflegeschulen überall Strukturen für die Ergänzungsqualifizierungen. Denn Aspiranten auf eine Pflegeanerkennung müssen sich oft in manchen Bereichen noch nachqualifizieren. Sie können in dieser Zeit als Assistenzkräfte arbeiten, sodass der Unterhalt gesichert ist. Für Pflegekräfte, die nicht aus dem europäischen Ausland kommen, zahlen wir ein Begrüßungsgeld von 3.000 Euro. Natürlich sollen die Zahlen noch steigen. Wir müssen gerade bei der Berufsanerkennung noch mehr Willkommenskultur in Deutschland zeigen.

Bei Ihrer Krankenhausreform läuft die heiße Phase. Was ist das Besondere an Ihrem Vorhaben?

Laumann: Wir haben in Nordrhein-Westfalen bislang keine steuernde Krankenhausplanung gehabt. Die Krankenhäuser können in der Regel Innere Medizin und Chirurgie anbieten und damit fast zwei Drittel aller medizinischen Krankenhausleistungen. Da kann die Qualität nicht überall gleich sein. Künftig soll ein Patient davon ausgehen können, dass, wenn ein Krankenhaus eine bestimmte Behandlung anbietet, diese auf einer guten Qualitätsbasis stattfindet. Deswegen machen wir klare, überprüfbare Strukturqualitätsvorgaben und sorgen für eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen den Krankenhäusern bei spezialisierten Leistungen. So wird sich in den Kliniken, denen wir die speziellen Leistungsaufträge zuweisen, auch die notwendige Routine ergeben. Wir machen in Nordrhein-Westfalen jetzt keine Krankenhausplanung mehr mit der Bettenzahl, sondern mit Behandlungsfällen in differenzierten Leistungsbereichen und Leistungsgruppen. Seit dem 17. November verhandeln in den 16 Versorgungsgebieten die Kassen und die Krankenhäuser darüber, wie sie die Versorgung in der Gegend sicher auf Grundlage des neuen Rahmenplans aufstellen.

Da geht es ans Eingemachte und sicher nicht ohne Konflikte …

Laumann: Das wird ein äußerst spannender Prozess, den noch keiner in Deutschland gemacht hat. Wenn die Verhandlungen nach spätestens sechs Monaten – einig oder uneinig – beendet werden, sind zunächst einmal die Bezirksregierungen am Zug. Als allerletzte Instanz werde notfalls ich entscheiden. Ich hoffe, dass die Angst davor den Einigungswillen beflügelt.

Der Klinikplan wird Schließungen nicht immer verhindern, aber unter dem Strich handelt es sich um ein Krankenhaus-Stärkungsprogramm.

Am Ende werden nicht alle Beifall spenden, denn ohne Klinikschließungen wird es nicht gehen …

Laumann: Krankenhausschließungen sind nicht unser Ziel, sondern erstmal geht es um die Schaffung einer qualitativ hochwertigen Versorgung in den Regionen. Was natürlich bei herausfordernden Krankheitsverläufen eine gewisse Zentralisierung bedeutet. Zum anderen sollen 90 Prozent der nordrhein-westfälischen Bürger in 20 Autominuten ein Krankenhaus mit mindestens internistischer und chirurgischer Versorgung erreichen können. Es sollen aber nicht mehr mehrere Krankenhäuser auf engstem Raum genau das Gleiche anbieten und so zueinander in einem unproduktiven Wettbewerb stehen. Man sieht es bereits heute: Ohne eine vernünftige Steuerung schließen defizitäre Krankenhäuser ohnehin – ohne dass wir als Ministerium darauf irgendeinen Einfluss haben können. Der Klinikplan wird Schließungen nicht immer verhindern, aber unter dem Strich handelt es sich um ein Krankenhaus-Stärkungsprogramm, das die Kliniklandschaft strukturell und qualitativ besser aufstellt. Wichtig ist, dass wir alle Entscheidungen vernünftig begründen.

Gibt es weitere Beweggründe für die Klinikreform?

Laumann: Ich möchte diesen Umbau auch deswegen, weil ich es für keine gute Idee halte, wenn der Bund die Krankenhausplanung macht. Denn der Bund kennt weder die Strukturen in den Bundesländern noch in den Regionen selbst. Auch eine Krankenhausplanung über den Gemeinsamen Bundesausschuss halte ich für nicht vermittelbar. Eine Krankenhausstruktur muss von demokratisch legitimierten Politikern, die sich auch vor dem Volk rechtfertigen müssen, verantwortet werden und nicht von Personen, die nicht vom Volk gewählt worden sind. Zur Wahrheit gehört: Viele Jahre herrschte in der Gesundheitspolitik die Meinung, man müsse den wirtschaftlichen Druck auf die Krankenhäuser so erhöhen, dass dadurch von selbst eine Krankenhausreform passiert. Das endete darin, dass Krankenhäuser immer mehr wirtschaftlich gedacht haben und ständig mehr Fälle behandeln mussten, um sich noch finanzieren zu können. Das hat zu schlechter Stimmung und wirtschaftlichen Schieflagen geführt. Über Pleiten die Krankenhausstruktur zu verändern, war und ist keine gute Idee. Das möchte ich besser machen.

Eine solche Krankenhausplanung lässt sich nicht ohne Geld machen...

Laumann: Deswegen hat die Landesregierung entschieden, in dieser Wahlperiode bis 2027 die Krankenhäuser und die Klinikplanung mit 2,5 Milliarden Euro zu unterfüttern. Das ist vermutlich die größte Krankenhausförderung, die es in Nordrhein-Westfalen je gab.

Haben Sie keine Angst, dass die Reform scheitern könnte?

Laumann: Nein, denn wir haben einen großen Vorteil: Wir stehen am Beginn einer Wahlperiode und wir haben einen rechtskräftigen Rahmenplan für den Umbau, dem Krankenhausgesellschaft, Krankenkassen und Ärzteschaft zugestimmt haben. Wir als CDU haben des Weiteren mit den Grünen einen Koalitionspartner, der wie vorher die FDP voll hinter der Klinikplanung steht.

Thorsten Severin führte das Interview. Er ist Redakteur der G+G.
Stefan Boness ist freier Fotograf.
Bildnachweis: Stefan Boness/IPON