Nachahmerpräparate, sogenannte Biosimilars, senken die Kosten für Medikamente um ein Vielfaches.
Arzneimittelversorgung

Großes Sparpotenzial bei Biologika

Der neue Arzneimittel-Kompass belegt: Ein Austausch der bio- oder gentechnologisch hergestellten Biologika durch Nachahmerpräparate (Biosimilars) kann die Kosten für Medikamente um Milliardenbeträge senken. Von Dr. Melanie Schröder und Dr. Carsten Telschow

Die Arzneimittelausgaben

der gesetz­lichen Krankenversicherung (GKV) sind im vergangenen Jahr um 8,8 Prozent auf 50,2 Milliarden Euro erneut deutlich gestiegen. Überdurchschnittliche Umsatzsteigerungen gab es unter anderem bei den Biologika (bio- oder gentechnologisch hergestellte Arzneimittel, die gezielt in bestimmte körpereigene Funktionen und Mechanismen eingreifen und entzündungsfördernde Botenstoffe des Immunsystems abwehren beziehungsweise blockieren). Ihr Umsatz legte 2021 im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent zu. Die Ausgaben dafür beliefen sich 2021 auf 16,4 Milliarden Euro. Das entspricht rund einem Drittel der gesamten GKV-Arzneimittelkosten. Therapien mit Biologika sind besonders kostspielig: Sie sind im Schnitt 15-mal so teuer wie die mit nicht biologischen Arzneimitteln.

Biosimilars bringen Entlastung.

An den Patentablauf von Biologika und den Eintritt von Nachahmerpräparaten (Bio­similars) in den Markt verbinden die Krankenkassen große Hoffnungen auf Kostenentlastung durch Wettbewerb. Dass der Einsatz von Nachahmerpräparaten die GKV finanziell entlastet, zeigt sich seit Jahrzehnten im Generikasegment, also im Wettbewerbsmarkt chemisch hergestellter Arzneimittel. Neben Festbeträgen, die zum Teil auch schon im Biosimilarmarkt angewendet werden, sind hierfür vor allen Dingen die ex­klusiven Rabattverträge zwischen den Krankenkassen und den pharmazeutischen Unternehmen verantwortlich. Dabei schreiben die Kassen die Versorgung ihrer Versicherten mit bestimmten Wirkstoffen für einen begrenzten Zeitraum europaweit aus und erhalten im Gegenzug einen Rabatt.
 
Dass Rabattverträge sowohl die Versorgung der Patientinnen und Patienten stabilisieren als auch die Herstellervielfalt und die Liefersicherheit stärken helfen, hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) regelmäßig gezeigt. Der Wettbewerb zwischen den austausch­baren Präparaten mit gleichem Wirkstoff senkt die Arzneimittelausgaben deutlich – und das ohne Verlust der Versorgungsqualität. Im Jahr 2021 sorgten Arzneimittelrabattverträge insgesamt für eine Entlastung von 5,1 Milliarden Euro.

Studien bestätigen Austauschbarkeit.

Aktuell dürfen Apotheken Biologika nur eingeschränkt gegen Biosimilars aus­tauschen. Damit sind auch Exklusiv­verträge der Kassen mit Biosimilar-Herstellern nach dem Vorbild der Generika nicht möglich. Geschlossen werden können nur sogenannte Open-House-Verträge, die jedem Anbieter die Teilnahme ermöglichen und damit die finanziellen Vorteile des Wettbewerbs nicht vollumfänglich nutzen.

In diesem Jahr widmet sich der Arzneimittel-Kompass schwerpunktmäßig der Qualität der Arzneimittelversorgung. Darin diskutieren Expertinnen und Experten Stärken und Schwächen in der Arzneimittelversorgung und beschreiben Umsetzungsherausforderungen. Damit trägt der Arzneimittel-Kompass sowohl zur Transparenz des Arzneimittelmarktes als auch zur bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung bei.

Helmut Schröder, Petra Thürmann, Carsten Telschow, Melanie Schröder, Reinhard Busse (Hrsg.): Arzneimittel-Kompass 2022. Qualität der Arzneimittelversorgung. Springer Verlag, Heidelberg. Open Access

Ein häufig geäußerter Vorbehalt gegen den Austausch von Biosimilars ist, dass bei einem Anbieterwechsel für die Pa­tientinnen und Patienten Risiken durch unerwünschte Wirkungen entstehen. Dass dem nicht so ist, belegen zahlreiche Vergleichsstudien, sogenannte Switching-Studien, aus den vergangenen Jahren. Deshalb sprechen sich auch die euro­päische Zulassungsbehörde EMA, das Paul-Ehrlich-Institut und weitere nationale Zulassungsinstitutionen sowie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) dafür aus, dass ein ärztlich initiierter beziehungsweise begleiteter Wechsel aus medizinischer Sicht unproblematisch ist.

Effizienzreserven in Milliardenhöhe.

Wenn also ein wirkstoffbezogener Austausch machbar ist, stellt sich die Frage, welche Finanzwirkung von möglichen Exklusivverträgen im Biosimilarmarkt ausgehen könnte. Dieser Frage ist das WIdO im Arzneimittel-Kompass auf Basis der Verordnungssituation im Bio­similarmarkt des Jahres 2021 nachgegangen und hat in zwei Szenarien Einspar­potenziale abgeschätzt: Im konservativen Szenario wird durch Rabattverträge ein Preisabschlag in Höhe von 30 Prozent gegenüber dem Originalpräparat angenommen sowie eine 60-prozentige Umstellung auf die rabattierten Präparate. Das ambitionierte Szenario geht von ­einem 70-prozentigen Preisabschlag und von einer Umstellungsquote von 80 Prozent aus. Diese Quote entspricht den Erfahrungen im generischen Marktsegment.
 
Ausgehend vom Markt der biosimilar­fähigen Arzneimittel 2021 mit Netto­kosten (Bruttoumsatz abzüglich der gesetzlichen Abschläge für Hersteller und Apotheken) von 3,3 Milliarden Euro ließen sich im konservativen Szenario 273 Millionen Euro einsparen. Im ambitionierten Szenario hingegen liegen die theoretischen Einsparungen bei 1,7 Milliarden Euro (siehe Grafik „Biologika-Austausch: Einsparungen in Milliarden-höhe möglich“). Selbst wenn man im am­bitionierten Szenario die bereits realisierten Einsparungen aus den schon heute möglichen Open-House-Verträgen in Höhe von geschätzt 286 Millionen Euro berücksichtigt, liegt das Einsparpotenzial bei immer noch 1,4 Milliarden Euro.

Erste Liste für Ärzte vorgelegt.

Insgesamt zeigen die Berechnungen, dass es große Effizienzreserven im biosimilarfähigen Markt gibt. Ob sich dieses Sparpotenzial tatsächlich erzielen lässt, hängt zum einen davon ab, in welchem Umfang die bio­similarfähigen Wirkstoffe über Rabattverträge ausgeschrieben und welche Rabatte zwischen den pharmazeutischen Unternehmen und den Krankenkassen vereinbart werden können, und zum anderen von der Definition der Austauschbarkeit, mit der der Gesetzgeber den GBA beauftragt hat.

Grafik: Biologika-Austausch: Einsparungen in Milliardenhöhe möglich

Im Jahr 2021 beliefen sich die Nettokosten (Bruttoumsatz abzüglich der gesetzlichen Abschläge für Hersteller und Apotheken) der Krankenkassen für biosimilarfähige Wirkstoffe auf 3,3 Milliarden Euro. Durch Rabattverträge mit einem Preisabschlag von 70 Prozent und einer 80-prozentigen Umstellung auf die rabattierten Biosimilare (ambitioniertes Szenario) ließen sich 1,7 Milliarden Euro einsparen. Im konser­vativen Szenario (30 Prozent Preisabschlag, 60 Prozent Umstellungsquote) wären es hingegen nur 273 Millionen Euro. Das haben Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) ­ergeben.

Quelle: Arzneimittel-Kompass 2022;
Berechnungen: GKV-Arzneimittelindex im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO)

Erste Schritte auf diesem Weg hat der GBA bereits getan: In der Arzneimittel-Richtlinie gab er den verschreibenden Ärztinnen und Ärzten Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnungsweise von biosimilarfähigen Arznei­mitteln. Eine erste Übersicht, welches Biologikum durch welche Biosimilars austauschbar sind, steht den Ärzten in der Anlage VII a der Arzneimittel-Richtlinie zur Verfügung.

Einschränkungen per Gesetz.

Weitere Hinweise zur Austauschbarkeit sollte der GBA ursprünglich bis August 2022 geben. Diese Frist hat der Gesetzgeber jedoch durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) um ein weiteres Jahr auf August 2023 verlängert. Auch beschränkt das GKV-FinStG den Markt auf parenterale Zubereitungen (individuell hergestellte Injektionen und Infusionen). Diese machen nach den Berechnungen des WIdO mit einer Milliarde Euro rund 30 Prozent des Marktes aus. Da für parenterale Zubereitungen andere Voraussetzungen für den Abschluss von Rabattverträgen gelten, sind die möglichen Einsparpotenziale mit weiteren Unsicherheiten behaftet. Eine zusätzliche Verengung des biosimilar­fähigen Marktes könnte sich aus der konkreten Ausgestaltung der Austausch­barkeit, beispielsweise durch Ausschluss einzelner Wirkstoffe oder Begrenzung auf bestimmte Indikationen, ergeben.

Effizienzreserven ermöglichen.

Derzeit ist also noch unsicher, ob und wie viel der im biosimilarfähigen Markt vorhandenen Effizienzreserven gehoben werden können. Bisher stehen allerdings auch erst 16 biologische Wirkstoffe im Biosimilar-Wettbewerb. Im Jahr 2021 wurden jedoch knapp 200 solcher Wirkstoffe verordnet, die größtenteils aber noch unter Patentschutz stehen. Doch jedes Jahr fällt bei weiteren Wirkstoffen der Patentschutz.
 
Die Potenziale in diesem 16-Milliarden-Euro-Markt liegen also vor allem in der Zukunft. Essenziell ist daher, dass bald Klarheit über die Bedingungen herrscht, zu denen ein Austausch von Biologika durch Biosimilars stattfinden kann und gegebenenfalls auch weitere Rabattverträge abgeschlossen werden können. Doch deutlich ist schon heute: Bei Einschränkungen der Austausch­barkeit wird ein Großteil dieser Effizienz­reserven weiterhin nicht gehoben werden können. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Melanie Schröder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Arzneimittel des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Carsten Telschow leitet den Forschungs­bereich Arzneimittel im WIdO.
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