Porträt
Kommentar

Dürftige Zwischenbilanz

Ob Corona-Politik, Klinikreform oder Pflegeversicherung – bisher hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach die an ihn geknüpften Erwartungen kaum erfüllt, meint Dr. Christian Geinitz.

Ein Jahr nach seinem Antritt

hat Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) viele Akteure enttäuscht. Er war mit Vorschusslorbeeren ins Amt gekommen, erhofft hatte man vor allem mehr Stringenz im Coronaschutz. Die aber ist ausgeblieben. Das lag auch an den Streitereien mit der FDP, etwa über Details des Infektionsschutzgesetzes. Selbst die Bundesebene zeigt kein einheitliches Bild, seit auf Druck der FDP und der Luftfahrtlobby die Maskenpflicht in Flugzeugen ausgesetzt wurde, im Bahn-Fernverkehr aber weiter gilt. Anders als erhofft, hat Lauterbach die Kakophonie in der Corona-Politik nicht beseitigt.

Es gelang ihm auch nicht, in die Finanz- und Strukturpolitik des Gesundheitswesens Ruhe zu bringen. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Dynamisierung des GKV-Bundeszuschusses oder die höhere Beitragsübernahme für Hartz-IV-Empfänger sind ausgeblieben, die Regierungskommission zur Krankenhausreform kam viel später als geplant. Teile sind schon auf dem Gesetzesweg, die angestrebte Ambulantisierung und die größere Fokussierung sind zu begrüßen, weil sie die Patientenversorgung verbessern und gleichzeitig Kosten sparen könnten.

Eine echte Strukturreform lässt weiter auf sich warten.

Doch zunächst sind für die Verringerung der Klinikkapazitäten und für den Aufbau von Spezialzentren riesige Investitionen nötig. Diese Mittel fehlen aber. Nur mit großer Mühe kann Lauterbach das GKV-Rekorddefizit von 17 Milliarden Euro 2023 stopfen. Wie er danach die Bilanz ausgleichen will, steht in den Sternen. Eine echte GKV-Strukturreform liegt für das Frühjahr auf Wiedervorlage. Auf ähnliche Weise vertagt wird die Reform der Pflegeversicherung, in der ebenfalls ein Milliardenloch klafft. Auch die Digitalisierung tritt auf der Stelle. Theoretisch ist die elektronische Patientenakte seit Januar 2021 in Kraft, aber nicht mal ein Prozent der Versicherten verfügt darüber.

Die Ernüchterung über das gefallene Idol Lauterbach geht so weit, dass sich mancher in der Gesundheitspolitik und selbst im Ministerium Jens Spahn zurückwünscht. Das will etwas heißen! Dem Unionsmann habe es zwar an Fachwissen gemangelt, er habe aber zugehört und dann geschickt delegiert, heißt es. Vor allem sei Spahn in der Lage gewesen, Kompromisse auszuhandeln. Lauterbach indes sei eine „Ein-Mann-Show“: Er eigne sich als Berater, kluger Fernsehgast und studienbrütender Wissenschaftler. Nicht aber als Herr über die Volksgesundheit und über eine Branche, die jedes Jahr 370 Milliarden Euro erwirtschaftet.

Christian Geinitz ist Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
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