Versorgung

Kooperation statt Konkurrenz

Die Pandemie hat fehlgesteuerte Prozesse im deutschen Gesundheitssystem deutlich zutage treten lassen, meint Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge. Er fordert eine gesundheitspolitische Kehrtwende von der Gewinn- hin zur Gemeinwohlorientierung.

Eine „neue Normalität“,

die sich von der alten kaum unterscheidet, dürfte es nach der von Sars-CoV-2 ausgelösten Pandemie nicht mehr geben. Vielmehr müssen Lehren aus diesem traumatischen Erlebnis gezogen und neue gesellschaftliche Perspektiven entwickelt werden. Spätestens dann, wenn die Pandemie vollends in den endemischen Zustand übergangen ist, sollte das Gesundheitswesen so umstrukturiert werden, dass es künftig für vergleichbare Herausforderungen gewappnet ist. Schließlich fehlten selbst in den Krankenhäusern zu Pande­miebeginn nötige Desinfektionsmittel, Gesichtsmasken und Schutzkleidung, von der Überforderung des medizinischen und pflegerischen Personals in den folgenden Monaten ganz zu schweigen.

Als fragwürdig haben sich im pandemischen Ausnahmezustand jene Gesundheitsreformen erwiesen, die kurz nach der Jahrtausendwende umgesetzt wurden. Besonders pro­ble­matisch war die Umstellung der Krankenhausfinanzierung vom Prinzip der Selbstkostendeckung auf die Abrechnung der Leistungen in Form von Fallpauschalen. Statt nach Liegetagen und Pflegesätzen wird seit 2003 pauschal nach einem Leistungs­katalog vergütet, in dem bestimmte Opera­tionen besonders gewinnträchtig sind.

Ökonomische Prozesse in den Blick nehmen.

Kliniken spezialisieren und konzentrieren sich deshalb teilweise auf das Einsetzen künstlicher Hüftgelenke, die Gefäßchirurgie und kardiologische Eingriffe, während Notaufnahmen für sie wenig lukrativ sind. Eine gute, wohnortnahe Gesundheitsversorgung für alle Teile der Bevölkerung rückt damit in weite Ferne. Zum Teil börsennotierte Klinikkonzerne wandeln Krankenkassenbeiträge der gesetzlich Versicherten in Dividenden für Aktionäre um. Dabei richten sie ihr Hauptaugenmerk allerdings weder auf das Wohl des medizinischen Personals und der Pflegekräfte noch auf das der Patientinnen und Patienten.

Als wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge gehört Gesundheit zurück in die öffentliche Hand.

Krankenschwestern, Altenpfleger und Pflegehilfskräfte galten auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie als Heldinnen und Helden, ohne dass man untersucht hätte, warum ihr Gehalt, ihre Arbeitsbedingungen und ihr sozialer Status in den vergangenen Jahrzehnten stärker hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgeblieben waren. Denn sonst wären ökonomische Entwicklungsprozesse in den Blick geraten, die von der Öffentlichkeit bisher kaum hinsichtlich ihrer negativen Auswirkungen beachtet worden sind: Deutsche und ausländische Finanzinvestoren übernehmen immer mehr Krankenhäuser sowie Senioren- und Pflegeheime, weil diese aufgrund der kollektiven Alterung unserer Gesellschaft im demografischen Wandel hohe Renditen versprechen. Da die Personalkosten im Gesundheitswesen ein größeres Gewicht als in anderen Branchen haben, versuchen viele Betreiber solcher Einrichtungen, die Gehälter zu drücken und Personal einzusparen, was zu einer Arbeitsverdichtung und zu wachsender Unzufriedenheit der Beschäftigten führt.

Ein teilprivatisiertes, gewinnorientiertes Sozial- und Ge­sundheitssystem garantiert keine optimale medizinische Behandlung der Kranken. Auch ist in Krisensituationen wie einer Pandemie keine maximale Versorgungssicherheit für die gesamte Bevölkerung gewährleistet. Eine der wichtigsten Lehren, die aus der Pan­demie gezogen werden müssen, ist die Notwendigkeit eines leistungsfähigen, nicht durch Ökonomisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung geschwächten Gesundheitssystems. Deshalb ist Kooperation statt Konkurrenz gefragt.

Mehr Ressourcen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst.

Überfällig sind eine gesundheitspolitische Kehrtwende von der Gewinn- hin zur Gemeinwohlorientierung und ein Systemwechsel in der Krankenhausfinanzierung. Als wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge gehört die Gesundheit zurück in die öffentliche Hand. Man darf das Feld der Gesundheitsversorgung aller Bürgerinnen und Bürger nicht Private-Equity-Fonds, Finanzinvestoren und Kapitalanlegern überlassen. Krankenhäuser sollten bedarfsgesteuerte Institutionen der öffentlichen Daseinsvorsorge sein. Auch dem Öffentlichen Gesundheitsdienst müssen wieder mehr personelle und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Denn nur so wird er in der Lage sein, Infektionsketten nachzuvollziehen und die Herausforderungen einer – auch künftig jederzeit wieder möglichen – Pandemie zu meistern.

Christoph Butterwegge ist Sozialwissenschaftler und Armutsforscher und lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt „Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona“.
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