Interview

„Parallelstrukturen können wir uns nicht leisten“

Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens startet mit einem neuen Krankenhausgesetz in ihre zweite Amtszeit. Die SPD-Politikerin erläutert, welche Rolle regionale Gesundheitszentren auf dem Land spielen können und warum sie Sympathien für den Gesundheitskiosk hegt.

Frau Ministerin Behrens, Sie halten das Krankenhausgesetz in Niedersachsen für das modernste bundesweit. Woran machen Sie das fest?

Daniela Behrens: Unser neues Krankenhausgesetz setzt kleinräumiger als bisher an. So können wir im Flächenland Niedersachsen die stationäre Versorgung in den einzelnen Regionen bedarfsgerecht entwickeln. Wir teilen die Krankenhäuser in Versorgungsstufen ein, je nach der Aufgabe, die sie erfüllen sollen. In einer Verordnung beschreiben wir die Versorgungsregionen – künftig acht statt vier – und die Versorgungsstufen. Das ist ein wesentlicher Schritt für eine gute, umfassende Krankenhausplanung. Da sind wir also sehr modern aufgestellt.

Wie passen die Pläne in Niedersachsen zu dem, was die Regierungskommission zur Krankenhausreform vorgelegt hat?

Behrens: Für mich ist entscheidend, welche Meilensteine der Bund auf Basis der Empfehlungen setzt. Ich finde die Hinweise der Kommission richtig, dass wir Krankenhäusern Aufgaben zuweisen müssen und sie in Versorgungsstufen einteilen. So ähnlich machen wir das auch in Niedersachsen, da gibt es eine große Schnittmenge. Entscheidend ist: Die Krankenhausplanung ist auch verfassungsrechtlich Sache der Länder, das muss der Bund bei der Reform beachten. Für Niedersachsen sehe ich da viel Konstruktives.

Seit Jahrzehnten geht es darum, dass die Länder die Investitionskosten der Krankenhäuser nicht ausreichend finanzieren. Sie wollen nachbessern. In welcher Größenordnung sollen die Mittel erhöht werden?

Behrens: Wir haben die Investitionsmittel auf derzeit jährlich 150 Millionen Euro erhöht. Das wächst in der mittelfristigen Finanzplanung weiter. Jetzt schon sind insgesamt über 800 Millionen Euro für Investitionen eingestellt. Das reicht aber nicht. Wir brauchen mindestens zwei bis drei Milliarden Euro für das, was bei uns unter anderem für Großprojekte beantragt worden ist, in denen aus drei Krankenhäusern eines wird. Das finden wir gut und wollen es unterstützen. Wir diskutieren innerhalb der Landesregierung gerade, wie das gehen kann: entweder mit einem Sondervermögen, mit Erhöhung der jährlichen Investitionssumme oder mit einem Fondsmodell.

Wie sichert Niedersachsen die gesundheitliche Versorgung auf dem Land?

Behrens: Wir sind uns der Herausforderung in den ländlichen Regionen bewusst und unterstützen die Kassenärztliche Vereinigung mit einer Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der ambulanten Versorgung. Zudem haben wir die Zahl der Studienplätze in der letzten Legislatur erheblich erhöht und werden dies fortsetzen. Künftig wird ein Teil der Medizin-Studienplätze an junge Menschen vergeben, die sich explizit dafür entscheiden, aufs Land zu gehen. Darüber hinaus wollen wir mit der Einrichtung regionaler Gesundheitszentren den ambulanten und stationären Bereich enger zusammenbringen.

Die Digitalisierung in Deutschlands Gesundheitswesen ist ein Drama.

Jeder will die sektorenübergreifende Zusammenarbeit, aber sie scheitert an der Finanzierung. Der Bund hat daher angekündigt, die Zusammenarbeit über Hybrid-DRGs, aber auch über andere Abrechnungsmöglichkeiten, zu fördern.

Diese regionalen Gesundheitszentren existieren in Niedersachsen bereits?

Behrens: Wir sind in intensiven Gesprächen mit dem Träger des Marienhospitals Ankum-Bersenbrück. Hier liegt uns ein konkreter Antrag vor, und wir haben im Dezember 2022 eine Förderung in Höhe von maximal zwei Millionen Euro zugesichert, wenn das Konzept wie beschrieben umgesetzt wird. Als Teil des Gesundheitszentrums bleibt ein kleines Allgemeinkrankenhaus zur kurzstationären Versorgung mit 15 belegärztlichen Planbetten im Krankenhausplan erhalten. Diese stationäre Versorgung wird ergänzt um ambulante und pflegerische Angebote. Ich freue mich darüber hinaus, dass die drei Klinikstandorte Norden, Sulingen und Bad Gandersheim im Rahmen des StatAMed-Projekts der AOK eine Förderung aus dem Innovationsfonds des Bundes erhalten werden.

An den Schnittstellen der Gesundheitsversorgung gehen bisher viele Informationen verloren. Welche Bedeutung messen Sie in dem Zusammenhang der Digitalisierung bei?

Behrens: Die Digitalisierung in Deutschlands Gesundheitswesen ist ein Drama. Ich erinnere an die Einführung der Gesundheitskarte und an die Herausforderungen beim E-Rezept. Die Corona-Pandemie hat uns deutlich gemacht, dass es nicht nur schwierig ist, Daten zwischen den einzelnen Sektoren zu übermitteln, sondern dass wir auch nicht genau wissen, wie es der Bevölkerung geht. Das hat sich durch die Pandemie verbessert. In Niedersachsen haben wir das IVENA-System, einen interdisziplinären Versorgungsnachweis. In ihm lassen sich für die Rettungsleitstellen im Rahmen der Notfallversorgung freie Kapazitäten in Kliniken ablesen. Wir haben im öffentlichen Gesundheitsdienst unsere Standards geklärt, ein Digitalisierungskonzept entwickelt und die Datenübertragung verbessert. Aber die Digitalisierung steht und fällt mit den Rahmenbedingungen des Bundes.

Sie haben Corona als Digitalisierungsmotor erwähnt. Im Moment scheint Corona in den Hintergrund zu rücken. Ist die Pandemie für die Gesundheitspolitik in Niedersachsen vorbei?

Behrens: Nein, Corona spielt nach wie vor eine wichtige Rolle. Wir nutzen weiterhin jede Möglichkeit, fürs Impfen zu werben. Hinzu kommt die Debatte um Long Covid und Post Covid. Covid-19 ist immer noch eine Krankheit, die gerade für ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen schwere Auswirkungen haben kann. Deswegen warne ich davor, das auf die leichte Schulter zu nehmen.

Welche Konsequenzen hat die Pandemie-Erfahrung für die künftige Politik, zum Beispiel im Hinblick auf den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)?

Behrens: Zum einen hat die Pandemie nochmal das Gesundheitswesen und die Bedeutung von Gesundheitsvorsorge und öffentlicher Daseinsvorsorge in den Mittelpunkt gerückt. Dieses besondere Bewusstsein verschwindet nicht so schnell. Zum anderen war der öffentliche Gesundheitsdienst tatsächlich vor der Pandemie nicht im Fokus. Das hat sich komplett verändert.

Wichtig ist, keine Parallelstrukturen aufzubauen – das können wir uns nicht leisten.

Wir wissen heute, wie bedeutsam der ÖGD ist. Bestimmte Bevölkerungsgruppen erreichen wir offensichtlich nicht über die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Niedersachsen hat deshalb den Pakt zum öffentlichen Gesundheitsdienst mit dem Bund unterzeichnet. Wir haben im Rahmen des Paktes insgesamt 235 Vollzeitstellen geschaffen und auch besetzt. Wir sollten die Möglichkeiten des öffentlichen Tarifwesens zukünftig aber noch besser nutzen, um Ärztinnen und Ärzte auch im ÖGD gut zu bezahlen. Wir brauchen Amtsärztinnen und Amtsärzte, aber auch andere Fachdisziplinen. Daher bin ich ganz gespannt, was aus der Idee der Gesundheitskioske wird. Ich glaube, das Instrument Gesundheitskiosk könnte sehr gut zum öffentlichen Gesundheitsdienst passen. Da warten wir auf die weiteren Gesetze.

Das heißt, Sie würden in die Gesundheitskioske öffentliche Mittel investieren?

Behrens: Ja, ich bin da ganz offen. Wichtig ist, keine Parallelstrukturen aufzubauen – das können wir uns nicht leisten. Wir brauchen weniger Komplexität im Gesundheitssystem und mehr Vernetzung der Akteure. Wenn diesbezüglich die Gesundheitskioske einen wesentlichen Mehrwert ergeben, wird sich Niedersachsen einer Finanzierung nicht verweigern.

Niedersachsen hat eine eigene Konzertierte Aktion Pflege aufgelegt. Welche Elemente daraus liegen Ihnen besonders am Herzen?

Behrens: In Niedersachsen waren Leistungserbringer und Kostenträger sehr zerstritten. Es gab viele Verfahren und keine Ergebnisse. Wir sind aber darauf angewiesen, dass sich die Pflegeanbieter mit den Kassen einigen, um gute Bedingungen für die Beschäftigten und die Pflegebedürftigen zu schaffen. Mit der Konzertierten Aktion Pflege Niedersachsen haben wir ein gutes Miteinander erzielt und Verbesserungen erreicht, wie beispielsweise eine höhere Wegepauschale für die ambulante Pflege. Im Jahr 2023 geht es unter anderem auch darum, die pflegenden Angehörigen stärker zu unterstützen. Auch der Bürokratieabbau wird ein wichtiges Thema sein. Für die Dokumentation geht zu viel Zeit drauf, die dann für die Pflege fehlt.

Dient die Dokumentation nicht auch der Qualitätssicherung?

Behrens: Das sagen auch die Patientenschützer. Die Qualitätssicherung darf nicht vernachlässigt werden. Ich glaube aber, dass es Möglichkeiten gibt, Qualität zu sichern und trotzdem die Dokumentation zu verschlanken. Die Formulare, die da auszufüllen sind, haben nicht alle etwas mit der Qualitätssicherung zu tun.

Was wollen Sie für die pflegenden Angehörigen tun?

Behrens: Das müssen wir vor allen Dingen mit den pflegenden Angehörigen selbst besprechen. Wir haben derzeit zum Beispiel ein Programm aufgelegt, in dem wir zusätzliche Kurzzeitpflegeplätze mit fünf Millionen Euro im Jahr finanzieren, um pflegende Angehörige zu entlasten. Wir haben Abrechnungsmöglichkeiten für die Nachbarschaftshilfe geschaffen, damit Angehörige einmal durchatmen können. Außerdem brauchen wir eine Debatte darüber, wie wir die Arbeit der pflegenden Angehörigen, es sind zu 78 Prozent Frauen, mehr wertschätzen – beispielsweise mit Rentenpunkten oder Steuervorteilen. Und wir brauchen mehr Transparenz bezüglich der Unterstützungssysteme. Das alles schauen wir uns in der Konzertierten Aktion gerade an.

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: ms/spata