Interview

„Schlaf ist ein Wirtschaftsfaktor“

Ein kurzes Nickerchen in der Mittagspause kann Gesundheit und Wohlbefinden positiv beeinflussen. Schlafforscher Dr. Hans Günter Weeß empfiehlt die sogenannten Power Naps und erklärt, wie sie sich in Unternehmen umsetzen lassen.

Herr Dr. Weeß, wie sieht es mit dem Schlafverhalten der Menschen in Deutschland aus?

Hans Günter Weeß: 80 Prozent der Deutschen schlafen zwischen sechs und acht Stunden. Trotzdem erfüllen viele damit nicht ihr genetisches Schlafbedürfnis und kommen vor allem werktags in ein chronisches Schlafdefizit. Dieser tägliche Schlafmangel geht mit Gefahren einher. Das Risiko für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen steigt, psychische Störungen werden wahrscheinlicher und das Unfallrisiko im Straßenverkehr und am Arbeitsplatz nimmt zu. Auf deutschen Straßen sterben doppelt so viele Menschen durch Übermüdung wie infolge von Alkohol am Steuer. Unfälle am Arbeitsplatz sind ebenso gehäuft.

Porträt von Hans Günter Weeß, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Somnologe und promovierter Philosoph

Zur Person

Dr. Hans Günter Weeß ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Somnologe und promovierter Philosoph. Er beschäftigt sich seit über 25 Jahren klinisch und wissenschaftlich mit dem Schlaf und seinen Störungen. Weeß leitet das Interdisziplinäre Schlafzentrum am Pfalzklinikum Klingenmünster und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.

Wie hängen Schlaf und Gesundheit zusammen?

Weeß: Schlaf ist das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm, das der Mensch zur Verfügung hat. Der Volksmund hat recht, wenn er sagt: Schlaf ist die beste Medizin. Wenn wir genug Schlaf bekommen, erhöht sich unsere Lebenserwartung und wir werden gesünder alt. Allerdings sollte ein Mittagsschlaf kurz und knackig sein, das heißt zehn bis 20 Minuten dauern. Ansonsten laufen wir Gefahr, in ein anderes Schlafstadium hineinzukommen, den sogenannten REM- oder Traumschlaf. Anschließend braucht man relativ lange, um wieder in die Gänge zu kommen.

Was bringen im Hinblick darauf sogenannte Power Naps am Arbeitsplatz?

Weeß: Ein Power Nap ist nichts anderes als ein Mittagsschlaf. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass er sich positiv auf unsere Gesundheit auswirken kann, wenn wir ihn an fünf Tagen in der Woche regelhaft halten. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie Herzinfarkt und Bluthochdruck, reduziert sich. Außerdem steigt das Leistungsvermögen in der zweiten Tageshälfte an: Aufmerksamkeit, Konzentration, Produktivität und Kreativität verbessern sich. Auch die Stimmung ist stabiler. Es gibt also viele Gründe, einen Power Nap im Unternehmen einzuführen.

Schlafen am Arbeitsplatz ist in Deutschland immer noch verpönt.

In welchem Umfang wird Power Napping in Deutschland schon praktiziert?

Weeß: Anlässlich eines Vortrags bei einem Automobilhersteller wurde mir berichtet, dass das Unternehmen Räume für Power Naps zur Verfügung gestellt habe. Diese seien aber nicht in Anspruch genommen worden. Das macht deutlich, dass die Umsetzung in den Unternehmen oft schwierig ist. Schlafen am Arbeitsplatz ist in Deutschland immer noch verpönt. Im asiatischen Raum ist das völlig anders. Ein Nickerchen am Arbeitsplatz wird dort eher so interpretiert, dass Mitarbeitende viel gearbeitet haben. Wir brauchen in Deutschland eine andere Schlafkultur, was den Mittagsschlaf angeht.

Welche Voraussetzungen sind dafür nötig?

Weeß: Wenn das Konzept des Mittagsschlafs für die Mitarbeitenden nicht von der Führungsebene unterstützt wird, scheitert es. Deshalb ist Aufklärungsarbeit ganz wichtig. Meine Akademie für Schlafmedizin und auch wir als Fachgesellschaft sind sehr bemüht, Öffentlichkeitsarbeit zu machen, um den Mittagsschlaf aus der Schmuddelecke zu holen. Schlaf ist ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Er führt zu produktiven Mitarbeitern, die weniger Fehler machen.

Stefanie Roloff führte das Interview. Sie ist freie Journalistin in Berlin.
Bildnachweis: privat