Robert Koch-Institut

Warnmelder vor Gesundheitsgefahren

Corona rückte das Robert Koch-Institut schlagartig ins Scheinwerferlicht. Seine Expertisen und Einschätzungen waren und sind gefragt. Die Mitarbeitenden der Bundesbehörde haben aber nicht nur Covid-19 und andere gefährliche Infektionskrankheiten im Blick. Sie analysieren unter anderem auch gesundheitliche Entwicklungen in der Bevölkerung. Von Thomas Rottschäfer

Zum Jahreswechsel hustet, niest und fiebert gefühlt halb Deutschland. Mitte Dezember kämpfen geschätzt 9,5 Millionen Menschen mit einer akuten Atemwegsinfektion. In den Wochendiagrammen des Robert Koch-Instituts (RKI) steigt die rote Linie für die Grippesaison 2022/2023 steil an und knickt erst bei 11,2 Prozent ein. Ein Rekordwert, der laut RKI „über dem Niveau der Vorjahre zum Höhepunkt schwerer Grippewellen“ liegt. Die aktuellen Wochen­berichte der Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler basieren vor allem auf Daten, die etwa 500 Haus- und Kinderarztpraxen und viele Krankenhäuser nach Berlin liefern.

Datenspenden von Bürgern.

Zusätzlich melden dem RKI aber auch mehr als 6.000 Bürgerinnen und Bürger einmal pro Woche über ein Onlineportal, ob sie gesund sind oder ob sie eine akute Atemwegsinfektion erwischt hat. Das GrippeWeb gibt es bereits seit 2011. Im vergangenen Jahr hat das RKI dieses „Citizen-Science“-Projekt zur Bürgerbeteiligung überarbeitet und um das Thema Covid-19 erweitert. Die Pandemie hat dem Thema Datenspende deutlich Schwung verliehen. Über die Mitte 2020 eingeführte Corona-Warn-App haben inzwischen fast 800.000 Menschen dem RKI anonym übermittelt, ob ihnen über rote oder grüne Kacheln ein erhöhtes oder niedriges Infektionsrisiko angezeigt wird. Auch über Fitness-Armbänder oder -Uhren konnten Bürger Gesundheitsdaten für die Forschung spenden. Hinzu kommen die regelmäßigen Ärzte- und Bürgerbefragungen des RKI zum Gesundheitszustand und zu den Lebens­bedingungen der Menschen.

Informationen über die Krankheitslage.

RKI-Präsident Professor Dr. Lothar H. Wieler spricht von „Schwarmintelligenz“. Sie ermögliche es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, auch unabhängig von den Meldungen der Gesundheitsämter relevante Informationen über die sogenannte Krankheits­schwere in der Bevölkerung zu erhalten. Denn wenn einer weiß, wie es Deutschland geht, dann ist es das RKI. Das betrifft nicht nur Erkältungs- und Grippewellen oder das seit drei Jahren alles beherrschende Thema Covid-19 und andere Infektionskrankheiten, sondern auch die Palette von Volkskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Adipositas, die Kinder- und Jugend­gesundheit bis hin zur psychischen Gesundheit.

Porträt von Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts

„Die lokalen Strukturen stärken“

Prof. Dr. Lothar H. Wieler ist seit März 2015 Präsident des Robert Koch-Instituts. Im G+G-Interview spricht er vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie über Bewältigungstrategien für zukünftige Krisen.

Rund 1.500 Beschäftigte, darunter knapp 500 Mediziner und Wissenschaftler anderer Fachrichtungen und viele IT-Spezialisten arbeiten in dem traditionsreichen Institut im Berliner Wedding, das nach dem Mediziner, Mikrobiologen, Hygieniker und Arzneimittelforscher Robert Koch (1843 bis 1910) benannt ist. Die Mitarbeitenden kommen aus rund 90 verschiedenen Professionen. Krankheitsüberwachung und -prävention sind die zentralen Aufgaben der Bundesbehörde.

Stete Forschung zur gesundheitlichen Lage.

Die RKI-Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring beobachtet fortwährend die gesundheitlichen Risiken und Entwicklungen im Gesundheitsverhalten der Menschen. Die Gesundheits­studien dienen als Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen und fließen in die Empfehlungen des RKI für das Handeln von Bund, Ländern und Kommunen ein.
 
„Seit Beginn der Covid-19-Pandemie führt das RKI ab­teilungsübergreifend kontinuierliche Studien zum Monitoring der Infektionsverbreitung und des Gesundheitszustands der Bevölkerung durch“, erläutert Wieler. Zu den bekanntesten gehört die Corona-Kita-Studie. Seit Mitte 2021 bezieht das RKI in seine Corona-Studien auch Fragen zu Post-/Long-Covid ein.

Netzwerk rund um den Globus.

„Das RKI ist ein Forschungsinstitut, kein Amt“. Darauf legt Präsident Wieler Wert. Entsprechend bezieht sich die Sache mit der Schwarmintelligenz vor allem auf ein nationales und internationales RKI-Netzwerk, geknüpft aus vielen Forschungskooperationen und -verbünden. Als nationales Public-Health-Institut sind die Berliner zudem die deutsche Verbindung zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zum Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC). RKI-Expertinnen und -Experten sind eng in die Arbeit der beiden überstaatlichen Organisationen eingebunden.

Das RKI ist unter anderem re­gionales WHO-Referenzlabor für Poliomyelitis (Kinder­lähmung), Masern und Röteln, für neu auftretende Infektionen und biologische Gefahren und seit 2019 WHO-Kooperationszentrum für das „Global Outbreak Alert and Response Network“. Präsident Wieler ist unter anderem seit Mai 2018 Mitglied des strategisch-technischen WHO-Beirats für Infektionsgefahren und seit Juni 2019 Co-Vorsitzender der WHO-Arbeitsgruppe zur Influenza-Vorbereitung und Reaktion.

Krisenplan wegen Corona aktiviert.

Wer vom RKI bis dahin noch nichts gehörte hatte, kennt das Institut und seinen Chef spätestens ab Frühjahr 2020. Rückblick: Am 31. Dezember 2019 informieren lokale Gesundheitsbehörden der chinesischen Metro­pole Wuhan über eine Häufung von teils klinisch kritischen Lungenentzündungen unklarer Ursache. Sie stufen die Erkrankung als virusbedingt ein. „Es gibt jeden Tag Meldungen, aber nach dem Sars-Ausbruch 2003 klingeln bei uns angesichts einer schweren neuartigen Lungenerkrankung in China sofort die Alarmglocken“, erläutert Wieler.

Am 6. Januar aktiviert die Institutsleitung Phase 1 des dreistufigen Krisenplans und informiert das Bundesgesundheitsministerium. „Am 14. Januar haben wir Stufe 2 eskaliert“, erinnert sich der RKI-Chef. „Die Stufe 3 kam dann am 28. Januar, als in München der erste deutsche Fall aufgetreten ist.“ Am gleichen Tag informiert der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gemeinsam mit Wieler die Medien über die Gefahren von Sars-CoV-2.

Krisenstufe 3 hat das RKI zuvor erst dreimal aktiviert: 2009 und 2012 beim jeweils glimpflich ausgegangenen Auftreten des H1N1-Influenza-Virus, der sogenannten Vogelgrippe, und 2015 beim EHEC-Ausbruch mit rund 4.000 Erkrankten und 50 Toten in Deutschland. Mit der Einrichtung von Krisenstab und Lagezentrum werden mehrere hundert RKI-Mitarbeitende in das Krisenmanagement einbezogen.

Als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundes­gesundheits­ministeriums (BMG) ist das Robert Koch-Institut (RKI) als eine Art Frühwarnsystem die zentrale Einrichtung der Bundesregierung zur Über­wachung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten mit hoher Gefährlichkeit, großem Verbreitungsgrad oder wichtiger gesundheitspolitischer Bedeutung. Der gesetzliche Auftrag, wissenschaftliche Erkenntnisse als Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen zu erar­beiten, erfordert auch ­eigene biomedizinische Forschungen. Das RKI berät insbesondere das BMG und wirkt bei der Entwicklung von Gesundheitsnormen und -standards mit. Neben Informationen für die Fachöffentlichkeit stellt das Institut seine Erkenntnisse zunehmend auch der breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung. Die rund 1.500 Beschäftigten, darunter etwa 500 Mediziner und Wissenschaftler anderer Fachrichtungen, arbeiten vorwiegend am Hauptstandort in Berlin sowie in den Forschungseinrichtungen in Wernigerode und Wildau. Zudem sind am RKI 18 wissenschaftliche Kommissionen mit externen Fachleuten angesiedelt, die das RKI beraten und Empfehlungen erarbeiten, darunter die Ständige Impfkommission (STIKO), die Kommissionen für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO), die Gendiagnostik-Kommission oder der Wissenschaftliche Beirat für die Diabetes-Sur­veillance. Die Arbeit des Instituts wird durch einen Wissenschaftlichen Beirat begleitet, dessen Mitglieder für jeweils vier Jahre berufen werden.

Das RKI wird über den Bundeshaushalt finanziert. Im BMG-Etat waren für das Haushaltsjahr 2022 rund 162,36 Millionen Euro eingestellt. Hinzu kommen Fördergelder für nationale und internationale Forschungsvorhaben. Eine finanzielle Unterstützung durch Pharmaunternehmen gibt es bis auf wenige projektbezogene Ausnahmen nicht.

„Es war ja lange unklar und umstritten, ob Sars-CoV-2 vielleicht auch präsymptomatisch ausgeschieden werden kann, also bevor wirklich eine Infektionskrankheit bei den Betroffenen aufritt“, so Wieler. „Als klar war, dass das vorkommt und vor allem, dass es häufig vorkommt, war den Fachleuten klar, dass das der Worst Case ist und dass das gar nicht einzufangen ist.“

Als sich während der Karnevalstage im Februar das Virus im NRW-Landkreis Heinsberg ausbreitet, ist auch das RKI mit einem Team vor Ort, um Erkenntnisse zu sammeln und Empfehlungen auszuarbeiten, unter anderem für Quarantänemaßnahmen und das Aufrechterhalten der medizinischen Versorgung. „Heinsberg war damit ein bisschen die Blaupause für Deutschland“, schreibt Jens Spahn in seinem Pandemie-Rückblick. Am 11. März 2020 stuft die WHO den Corona-Ausbruch offiziell zu einer weltweiten Pandemie herauf. Nach hektischen Krisenwochen geht Deutschland am 23. März in den ersten Lockdown. Auch die meisten RKI-Mitarbeiter wechseln ins Homeoffice.

In der Pandemie avanciert Lothar Wieler mit seinen regelmäßigen Pressekonferenzen zum Mahner, der unermüdlich zum Einhalten der RKI-Empfehlungen aufruft: „Abstand halten, Hygienemaßnahmen, im Alltag Maske tragen“. Die Corona-Tagesberichte und das RKI-Dashboard mit den aktuellen Zahlen zur Corona-Entwicklung in Deutschland speisen täglich die Radio- und Fernsehnachrichten und füllen die Infografiken der Online- und Printmedien.
 
Doch nachdem das Land zunächst an Wielers Lippen hängt, nimmt im Verlauf der Pandemie die Kritik zu. Das betrifft zum Beispiel eine neue Bewertung zum Maskentragen, vor allem aber die vermeintlich dünne Datenlage. Das Bild von den faxenden Gesundheitsämtern im digitalen Niemandsland verfestigt sich. Mit den Inzidenzen steigt die Zahl der Corona-Experten. Die „Info­de­mie“ habe die Situation zusätzlich verkompliziert, sagt der sachorientierte, aber durchaus macht­bewusste und mediengewandte RKI-Präsident.

Direkter Draht zu Gesundheitsämtern.

Die Gesundheitsämter haben vor allem personelle Probleme, Infektionsmeldungen nachzuhalten und Quarantänen zu überwachen. Wegen des IT-Flickenteppichs funktioniert vielerorts nicht einmal die Kommunikation zwischen benachbarten Landkreisen. Der direkte Draht zwischen den Ämtern und dem RKI sei jedoch nie abgerissen, betont Wieler. Und doch bewahrheitet sich in der größten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten eine Einschätzung, die das RKI vor Beginn der Pandemie auf seiner Internetseite veröffentlicht hat: „Die Bedeutung von Public Health für die Gesundheit der Menschen ist in Deutschland im öffentlichen Bewusstsein wenig verankert und spiegelt sich institutionell nur unzureichend wider. Dies gilt für Forschung und Lehre, den Öffentlichen Gesundheitsdienst, aber auch für die vielen Querschnittsbereiche, in denen vor Ort für die Gesundheit der Bevölkerung gearbeitet wird.“

Mit dem „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ haben Bund und Länder inzwischen eine Kehrtwende eingeleitet. Und auch das RKI spürt den veränderten Stellenwert der öffentlichen Gesundheitsvorsorge. Wieler und Vizepräsident Professor Lars Schaade sehen sich in der Lage, gemeinsam mit den Fachabteilungen und Zentren auch Strukturreformen und Forschungsvorhaben umzusetzen, die mangels Mittel bislang in den Schubladen lagen.

Künstliche Intelligenz im Einsatz.

Bei der Finanzierung des ­neuesten Projekts geben sich Vergangenheit und Zukunft die Hand: Der Anfang 2021 begonnene Aufbau des RKI-Zentrums für Künstliche Intelligenz in der Public-Health-Forschung (ZKI-PH) im brandenburgischen Wildau steht auch im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Neuaufstellung der Braunkohleregion Lausitz.

Künstliche Intelligenz hilft dabei, Krankheitslasten zu berechnen und
komplexe Zusammenhänge sichtbar zu machen.

Im Berliner Speckgürtel sollen künftig rund 100 RKI-Mitarbeitende bisher unerschlossene Datenquellen anzapfen. „Der Einsatz KI-basierter Technologien ermöglicht es, künftig große und komplexe Datenquellen nutzbar zu machen, um zum Beispiel Epidemien umfassender zu analysieren und Frühwarnsysteme weiterzuentwickeln“, so das RKI. Überdies geht es um die bessere Berechnung von Krankheitslasten oder die Visualisierung komplexer Zusammenhänge.

Nationale Krankheitslast-Studie im Aufbau.

Auch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) ist Forschungspartner des RKI. Zum Beispiel bei dem durch den Innovationsfonds geförderten Projekt „Burden 2020“. Dabei geht es um den Aufbau einer nationalen Krankheitslast-Studie (Burden of Disease) für Deutschland. Sie soll Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen helfen, die Gesundheitsversorgung einer alternden Gesellschaft besser zu planen und zu steuern. „Burden 2020“ liefert auch mithilfe der Routinedaten-Expertise des WIdO Informationen bis hinunter auf die lokale Ebene. Erste Ergebnisse haben die Projektpartner, darunter auch das Umweltbundesamt, Ende vergangenen Jahres veröffentlicht.

Weg von den Datensilos.

Der RKI-Chef bezeichnet „Burden 2020“ als zentralen Baustein der Public-Health-Surveillance für Deutschland. Das Projekt steht nicht zuletzt für sein Bestreben, die an vielen Stellen vorhandenen Gesundheitsdaten schneller zugänglich zu machen und zu vernetzen. „Wir haben nicht zu wenige Daten, sie liegen nur leider fast alle in Datensilos“, ärgert sich Wieler. In der Covid-19-Pandemie hat sich diese Situation als besonders nachteilig erwiesen: Infektionszahlen, Impf­geschehen, Abrechnungsinformationen der Krankenkassen – jede Menge Daten, aber alle in getrennten Pools. Die mangelhafte Verknüpfung der Datenpools behindert jetzt auch die Planung für eine gute Versorgung von Menschen, die unter Post- oder Long-Covid leiden.

Einsätze in anderen Ländern.

Seit Juli 2018 verfügt das RKI auch über ein eigenes Hochsicherheitslabor der höchsten Stufe S4. „Hier können wir lebensbedrohliche, hochansteckende Erreger wie Ebola-, Marburg-, Lassa- oder Nipah-Viren sicher diagnosti­zieren und erforschen“, erläutert Vizepräsident Schaade. Er leitet das Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene. Das Zentrum hat insbesondere die Aufgabe, biologische Ge­fahrenlagen beziehungsweise Ausbrüche durch hochpathogene oder möglicherweise bioterroristisch eingesetzte Mikroorganismen zu erkennen, Folgen für die Bevölkerung zu bewerten und Schutzkonzepte zu entwickeln. „Unsere Expertise im Umgang mit hochpathogenen Erregern ist international gefragt“, erläutert Schaade. Vor dem Sars-CoV-2-Ausbruch waren Wissen­schaftler des Instituts zuletzt unter anderem auf Madagaskar (Lungenpest), in Nigeria (Lassafieber) und in Bangladesch (Diphtherie) tätig. Während der Pandemie hat das RKI rund 70 Länder bei der Krisenbewältigung unterstützt.

Antibiotikaresistenz im Blickfeld.

Ein weiterer wichtiger Forschungsbereich des RKI ist die „stille Pandemie“. 2019 starben nach Berechnungen des US-amerikanischen Institute for Health Metrics and Evaluation in Seattle weltweit rund 1,3 Millionen Menschen durch antibiotikaresistente Bakterien. „Momentan ist die Antibiotikaresistenz wohl so sichtbar wie noch nie“, sagt Wieler. Er gehört zu den 19 Mitgliedern einer Gruppe, mit der die WHO das Thema gemeinsam mit der UN-Umweltorga­nisation, der Welternährungsorganisation und der Welttier­gesundheitsorganisation vorantreiben will. In Deutschland ist die Antibiotika-Resistenz-Surveillance des RKI zentraler Bestandteil der bereits 2008 von der damaligen Großen Koalition formulierten Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART). Die RKI-Daten fließen in die Überwachung auf EU-Ebene und bei der WHO ein.

Robert Koch-Institut: Auf seiner Internetseite informiert das RKI umfangreich über Forschungsbereiche und -projekte, das Gesundheitsmonitoring, Arbeit und Empfehlungen der Kommissionen, die Gesundheitsberichterstattung oder die Möglichkeiten zur Datenspende. Zu aktuellen Gefahren, ins­besondere Sars-CoV-2, stehen fortlaufend epidemiologische Daten zur Verfügung. Hinzu kommen Informationen zu der mehr als 125-jährigen Geschichte und Organisationsentwicklung des RKI, darunter auch die Integration ehemaliger DDR-Behörden nach 1990.

Das RKI blickt auf eine lange Geschichte zurück. Unter der Leitung von Robert Koch nahm das „Königlich Preußische Institut für Infektionskrankheiten“ im Juli 1891 seine Arbeit auf. Zur Jahrhundertwende folgte der Umzug aus dem Berliner Zentrum in das Gebäude am Nordufer des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals. Als der Wegbereiter der Mikrobiologie und 1905 für seine Entdeckung des Tuberkulose-Erregers im Jahr 1882 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnete Forscher 1910 mit 66 Jahren stirbt, wird er in einem Mausoleum im Institut beigesetzt und ist dort bis heute allgegenwärtig. 1912 – 30 Jahre nach der Entdeckung des Tuberkelbazillus – erhält das Institut auch seinen Namen.

Aufarbeiten von historischen Lasten.

Daran stoßen sich in­zwischen einige Kritiker. Sie verweisen vor allem auf die Menschenversuche Kochs in Afrika. Um ein Gegenmittel für die tödliche Schlafkrankheit zu finden, testete der Deutsche bei Forschungsreisen nach Ostafrika das arsenhaltige Präparat Atoxyl. Den Probanden verabreichte er nach Darstellung des Historikers Jürgen Zimmerer höhere Dosen, als es zu dieser Zeit in Deutschland erlaubt gewesen wäre. Hunderte Studienteilnehmer erblindeten oder starben. 1907 schlug Koch dem Reichsgesundheitsrat sogar vor, spezielle Isolier- und Behandlungslager für Schlafkranke zu errichten. Eine Strategie, die neben Koch beispielsweise auch britische Tropenmediziner propagierten.
 
Im kleinen Hausmuseum und auf der Website verschweigt das RKI die Verstrickung Kochs in die unrühmliche deutsche Kolonialgeschichte nicht. Vom „dunkelsten Kapitel seiner Geschichte“ ist die Rede. Inzwischen gibt es auch wissenschaftliche Arbeiten zur kolonialen und rassistisch geprägten Vergangenheit Kochs und der Tropenmedizin. 2021 initiierte das RKI dazu auch eine Vortragsreihe. Geplant sei außerdem eine Kommission, die sich mit dem Thema befassen soll, berichtet Wieler. „Wir möchten das seriös aufarbeiten.“ Erste Mitglieder seien schon gesetzt, darunter auch ein Wissenschaftler aus Tansania. Bisher fehle allerdings die Finanzierung.

Die Kolonialgeschichte ist nicht die einzige historische ­Bürde des RKI. „Zwischen 1933 und 1945 war das RKI als staatliche Forschungseinrichtung des öffentlichen Gesundheitswesens eng in die nationalsozialistische Gewaltpolitik eingebunden“, heißt es auf der Internetseite. Nach dem Beamtenerlass 1933 mussten jüdische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Institut verlassen. Einige gingen ins Ausland, andere wurden später Opfer des Holocaust. Trotz der inzwischen zahlreichen Forschungs­projekte, Veröffentlichungen und nachgezeichneten Einzelschicksale sei auch dieses Thema noch nicht vollständig aufgearbeitet, unterstreicht der RKI-Präsident. Deshalb suche das Institut auch den Kontakt mit Verwandten und Hinterbliebenen ehemaliger RKI-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter.

„Mir ist es ganz wichtig, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Geschichte des RKI zu sensibilisieren“, sagt Wieler. „Wir als Institution müssen immer kritisch und selbstkritisch reflektieren, wie wir mit unserem Erbe umgehen und was wir selber machen. Das gilt auch für die Pandemie-Be­kämpfung.“

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
Bildnachweis: iStock.com/WhataWin, RKI/Brauer Photos, J. Reetz