Höhere Erstattungsbeträge kämen nicht immer unmittelbar den Herstellern zugute.
Arzneimittel

Was hilft gegen Lieferengpässe?

Für den Mangel an bestimmten Medikamenten machen Hersteller vor allem einen hohen Preisdruck verantwortlich. Doch mehr Geld löst das Problem nicht, betonen Dr. Sabine Richard und Sabine Jablonka. Sie fordern stringente Regeln für eine sichere Arzneimittelversorgung.

Angesichts einer steigenden Zahl

an Arzneimittel-Lieferengpässen hat Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach gesetzliche Maßnahmen angekündigt. Ursache der Engpässe seien zu niedrige Preise, die den deutschen Markt für Hersteller zu unattraktiv machen. Mit den nunmehr vorgelegten Eckpunkten soll eine Reform auf den Weg gebracht werden, die die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln in Deutschland wieder stärkt. Wesentliche Maßnahmen zielen entsprechend darauf ab, dem Markt für Generika (siehe Glossar) mehr Geld zuzuführen.

Pharmazeutische Hersteller verweisen bereits seit längeren auf einen zu hohen Preisdruck im Markt, der zu einer Marktverengung geführt habe: Preisregulierungsinstrumente wie Festbeträge und vor allem die Rabattverträge der Krankenkassen (siehe Glossar) hätten einen ruinösen Wettbewerb ausgelöst, in dessen Folge Hersteller die Produktion der Wirkstoffe generischer Arzneimittel für den deutschen Markt oftmals nicht regional – erst recht nicht an mehreren Standorten –, sondern zu Produktionsstandorten in Asien verlagert hätten, da sich dort kostengünstiger produzieren lässt. Oder sie seien gleich ganz aus dem Markt ausgestiegen. Die Politik hat diese Argumentation nunmehr aufgegriffen.

Rabattverträge sichern Versorgung.

Aber ist das zutreffend? Kann tatsächlich mehr Geld das Problem von Arzneimittel-Engpässen in Deutschland lösen? Gerade zwei prominente Beispiele von Engpässen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass dies nicht zu erwarten ist. So gab es zu Jahresbeginn dramatische Engpässe beim Alt-Präparat Tamoxifen, welches für bestimmte Brustkrebs-Patientinnen essenziell ist. Ein zu hoher Preisdruck lässt sich hier jedoch nicht aus der Marktsituation ableiten: Zum Zeitpunkt des Lieferengpasses wurde der Festbetragsrahmen von den meisten Anbietern nicht ausgeschöpft. Fast alle Präparate wurden günstiger ausgeboten. Und Rabattverträge waren nicht verbreitet. Sie spielten allenfalls eine nachgeordnete, wenn nicht sogar eine versorgungssichernde Rolle wie beispielsweise Tamoxifen Hexal, welches zunächst noch länger verfügbar war als andere Produkte.

Auch beim vieldiskutierten Engpass bei Paracetamol- und Ibuprofen-haltigen Fiebersäften lässt sich ein zu hoher Preisdruck nicht ableiten. Auch hier wurde der Festbetrag teilweise unterschritten. Für diese freiverkäuflichen Produkte gilt zudem keine Preisbindung. Apotheken können die Einkaufskondi­tionen mit den Herstellern frei aushandeln und entsprechend anbieten. Nicht nur Versandapotheken haben daher Fie­ber­säfte mit zum Teil erheblichen Preis­nachlässen von bis zu über 40 Prozent des Listenpreises öffentlich angeboten – ein Zeichen, dass der Markt durchaus noch Wirtschaftlichkeitsreserven aufweist. Die nunmehr vorgesehenen höheren Erstattungsbeträge, wenn die Präparate zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden, kämen daher hier zunächst den Apotheken zugute, die diese Vorteile gegebenenfalls gar nicht an die Hersteller weitergeben.

Engpässe waren frühzeitig absehbar.

Sowohl bei Tamoxifen als auch bei den Fiebersäften war der Mangel frühzeitiger absehbar beziehungsweise länger bekannt. Im ersten Fall waren im Rahmen der freiwilligen Meldung Produktionsprob­leme eines Herstellers von Tamoxifen bereits im Herbst 2021 an das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet worden. Dies blieb jedoch nach den Protokollen des für Lieferengpässe zuständigen BfArM-Beirats ohne Resonanz. Bei den Fiebersäften hatte das BfArM bereits im Sommer einen Engpass angemerkt – obwohl freiverkäufliche Arzneimittel nach der Geschäftsordnung als nicht versorgungsrelevant definiert und damit von einem engmaschigeren Monitoring ausgeschlossen sind. Der Engpass wurde auf einen Mehrbedarf sowie eine regionale Ungleichverteilung zurückgeführt. Man stellte eine gesteigerte Produktion in Aussicht und empfahl Krankenkassen im Bedarfsfall die Erstattung einer entsprechenden Rezeptur. Dass dies nicht hinreichend war, lässt sich den aktuellen Schlagzeilen entnehmen.

Versorgungsmanagement verbessern.

Korrekturen sind daher dringend geboten. Ziel ist ein effektives Arzneimittel-Versorgungsmanagement mit den folgenden Schwerpunkten:

  • Beschaffung fehlender Arzneimittel: Fehlende Arzneimittel sollten kurzfristig am ausländischen Markt beschafft werden. Entsprechende Möglichkeiten bestehen bereits. Sie wurden bei Tamoxifen erfolgreich genutzt. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass nicht nur im deutschen Markt Engpässe bestehen, sodass der Aufkauf von Ware in anderen Ländern gegebenenfalls dortige Mangellagen erzeugt beziehungsweise verschärft. Insofern ist eine solche Beschaffung nur als Notmaßnahme anzusehen und sollte künftig vermieden werden.
  • Absicherung der Lieferketten durch Meldepflichten und erhöhte Bevorratung: Die Pflicht zur Meldung drohender Lieferengpässe muss dringend ausgeweitet werden auf alle Arzneimittel, die zulasten der GKV erstattungsfähig sind – denn solche sind es, deren Fehlen zu massiven Problemen führt. Das schließt ausdrücklich auch entsprechende OTC-Präparate (freiverkäuflich in Apotheken) wie die Fiebersäfte ein. Ergänzend können höhere Mindestbevorratungsmengen solcher Arzneimittel bei Herstellern und Großhandel helfen, kurzfristige Engpässe ohne Wirkung auf die Versorgung auszugleichen. Eine Unterschreitung der verfügbaren Mengen könnte daher frühzeitig Anlass geben, über den Umgang mit einem drohenden Mangel zu beraten.
  • Stärkung kurzer Lieferketten und regionale Produktion: Die Pandemie hat das Bewusstsein dafür geschärft, dass die bestehende Globalisierung der Lieferketten fragil sein kann. Entsprechend listet der Koalitionsvertrag das Ziel, Arzneimittelherstellung wieder regionaler zu gestalten. Durch eine entsprechende Wirtschaftsförderung könnte eine Verlagerung der Produktion nach Europa beziehungsweise Deutschland unterstützt und ein weiterer Abfluss regionaler Arzneimittelherstellung verhindert werden. Die Berücksichtigung eines entsprechenden Sonderloses für regionale Herstellung im Rahmen einer Vertragsausschreibung, wie ihn das Eckpunktepapier für Antibiotika und Onkologika definiert, kann ein sinnvoller Weg sein, diese Bestrebungen zu unterstützen – soweit dies im Einklang mit dem EU-Vergaberecht steht. Insofern wäre die initiale Beschränkung auf Antibiotika als „Testgebiet“ sinnvoll.

Rabattverträge als Vorbild.

Entsprechende Vereinbarungen für die Hersteller hat die AOK in ihren Selektivverträgen bereits seit Jahren implementiert: Hersteller sind verpflichtet, drohende Engpässe zu melden. Zudem sind sie aufgefordert, eine Drei-Monats-Reserve der vertragsgegenständlichen Arzneimittel vorrätig zu halten, die erst bei Vertragsende abgeschmolzen werden kann. Dass diese Maßnahmen wirksam sind, zeigen die deutlichen Unterschiede der Lieferengpassquote im vertragsgeregelten gegenüber dem übrigen Markt. Auch dies belegt, dass es gerade nicht an Geld, sondern vor allem an stringenteren Regelungen für ein effektives Arzneimittelversorgungsmanagement mangelt.

Glossar:

Arzneimittelrabattverträge

Seit Inkrafttreten des Beitragssatzsicherungsgesetzes 2003 und erweitert durch das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz können die Krankenkassen mit den Herstellern von Arzneimitteln einen Rabattvertrag abschließen. Durch die Verträge räumen die Arzneimittelhersteller der Krankenkasse Rabatte ein und werden im Gegenzug bevorzugte Lieferanten der Krankenkasse. Der Patient erhält bei entsprechendem Vermerk der Ärztin oder des Arztes auf dem Rezept in der Apotheke nicht mehr das Medikament von dem Hersteller, der auf dem Rezept benannt ist, sondern ein gleichwertiges Präparat von einem Hersteller, der dafür einen Rabattvertrag mit der Krankenkasse des Patienten geschlossen hat. Das Medikament muss dabei über den gleichen Wirkstoff, die gleiche Arzneiform, Dosierung und Packungsgröße verfügen. Mit einem Rabattvertrag übernimmt die Krankenkasse anfallende Mehrkosten oberhalb des Festbetrags.

Generika

sind Nachahmerprodukte, die nach Ablauf des Patentschutzes für ein Originalpräparat auf den Markt gebracht werden. Ein Generikum muss dem Original in Darreichungsform, Wirkstoff, Wirkstärke und Bioverfügbarkeit entsprechen. Generika werden wie alle neuen Medikamente vor der Zulassung arzneimittelrechtlich geprüft und unterliegen den Qualitätsstandards der Arzneimittelzulassung und des Arzneimittelgesetzes.

Festbeträge

sind in der GKV Höchstpreise für bestimmte Arzneimittel. Außerhalb von Rabattverträgen werden Mehrkosten oberhalb des Festbetrags nicht von den Krankenkassen übernommen. Ein Arzneimittel kann von der Zuzahlung durch Versicherte befreit werden, wenn sein Preis mindestens 30 Prozent unter dem Festbetrag liegt. Vor diesem Hintergrund gleichen die Hersteller die Preise ihrer Arzneimittel meist dem Festbetrag an soweit sie ihn nicht noch weiter absenken. Das Festbetragssystem ist mit dem Gesundheitsreform-Gesetz 1989 eingeführt worden, um dem expansiven Anstieg der Arzneimittelausgaben durch einen intensivierten Preiswettbewerb zu begegnen. Festbeträge werden in einem zweistufigen Verfahren festgelegt.

Sabine Richard leitet den Geschäftsbereich Versorgung im AOK-Bundesverband.
Sabine Jablonka leitet die Abteilung Arznei-, Heil- und Hilfsmittel im Geschäftsbereich Versorgung.
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