Neue Berufsbilder werden schon bald das Gesundheitssystem prägen.
Arbeitsorganisation

Gesundheitsberufe auf Zukunftskurs

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, müssen sich die Gesundheitsberufe verändern. Auf einer Tagung des Bundesverbandes Managed Care diskutierten die Teilnehmenden über Möglichkeiten und gesetzliche Bedingungen für eine Neugestaltung. Von Irja Most

Die Arbeitswelt

ist in stetem Wandel: „65 Prozent unserer Kinder werden im Jahr 2035 in Berufen arbeiten, die es in dieser Form heute noch gar nicht gibt“, machte Professor Lutz Hager zum Auftakt der digitalen Tagung „Die neue Welt der Gesundheitsberufe“ des Bundesverbandes Managed Care (BMC) deutlich. Das werde besonders auf das Gesundheitswesen zutreffen, „weil wir dort noch in einer Welt leben, in der wir Professionsbilder teilweise aus dem 19. Jahrhundert übernommen, fortgeführt und zementiert haben“, so der Vorstandsvorsitzende des BMC.
 
Der Fachkräftemangel ergebe sich trotz einer Million neuer sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in den vergangenen zehn Jahren im Gesundheitswesen vor allem durch den Umgang mit den Mitarbeitenden. Das zeigten Stichworte wie „Pflexit“ und „Ärzte-Burnout“. Es brauche ein „holistisches Gesamtbild, in dem sich Patienten und Mitarbeitende gleichermaßen wiederfinden“, betonte der BMC-Vorstand.

Vorbilder aus der Praxis.

Mit dem Modell einer „Universitätsambulanz“ stellte Professor Tobias Esch von der Universität Witten/Herdecke ein Praxisbeispiel vor. „Entscheidend ist, dass wir Menschen auf Basis der gesetzlichen Krankenversicherung mit einem solchen modernen Konzept versorgen“, sagte Esch. In dem Modell gehe es nicht nur um die Erkrankten, sondern auch um die Gesunden. Die Versicherten erhielten je nach Bedarf medizinische Therapie oder Gesund­heitsförderung. Der Zugang erfolge physisch oder virtuell über ein Portal.

Möglichkeiten neuer Versorgungswege erläuterte auch Dr. Sibel Altin, Abteilungsleiterin Versorgungsinnovation bei der AOK Rheinland/Hamburg. Sie stellte den „Gesundheitskiosk“ als niederschwelliges Angebot vor, das gesundheitliche Beratung sowie Weiterleitungen zu Ärztinnen und Ärzten bietet. In der Diskussion mahnten Teilnehmende an, dass die ländlichen Räume mitgedacht werden müssten. Hier könnten mobile Angebote eingesetzt werden.

Interprofessionell zusammenarbeiten.

Dr. Markus Mai von der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz richtete den Blick auf seine Profession. Ohne die Pflege würde das Gesundheitssystem „gar nicht funktionieren“. Um im Gemeinsamen Bundesausschuss Gehör zu finden, regte er eine „Professionellen-Bank“ für die Pflege an. Vera Lux, Pflegedirektorin an der Medizinischen Hochschule Hannover, forderte, den Pflegeberuf als Heilberuf anzuerkennen. Rollenklarheit sollte vertraglich definiert sein. „Es geht nicht darum, noch mehr Akteure im System zu haben, sondern um eine Umverteilung von Aufgaben an professionell Pflegende“, so Lux.

Professorin Viktoria Stein unterstrich, „dass wir so nicht weitermachen können“. Die promovierte Gesundheitsökonomin und Assistenzprofessorin für Population Health Management am Leiden University Medical Centre (Niederlande) hob hervor, dass es für die integrierte Versorgung und eine gelungene interprofessionelle Zusammenarbeit an Vertrauen und Respekt untereinander fehle. Beim Mega-Thema Digitalisierung gelte es, Digital Health „als Teammitglied zu verstehen“, wie das in Kanada und England bereits der Fall sei. Denn sie übernehme teilweise Funktionen wie Hausbesuche und Beratungsgespräche, so Stein.

Assistenzberufe verankern.

In den aktuellen Gesetzgebungsverfahren stärke das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die interprofessionelle Zusammenarbeit, sagte Markus Algermissen, Leiter der Unterabteilung 21 im BMG. Die Reform des Medizinstudiums will das Ministerium im Frühjahr vorlegen. „Wir wollen die hochschulische Pflegeausbildung stärken“, so Algermissen. Ebenso solle die Berufsanerkennung in der Pflege erleichtert und die Physiotherapie reformiert und teilakademisiert werden. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, brauche es neben den Pflegefachkräften auch Assistenzberufe. „Der Anspruch wäre, so steht es im Koalitionsvertrag, das bundeseinheitlich zu gestalten“, sagte Algermissen.

Irja Most ist Redakteurin im KomPart-Verlag.
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