Europarecht

Arzneipreis-Werbung unzulässig

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen Werbung für Arzneimittel untersagen, die sich auf Preise, Sonderangebote oder kombinierte Verkäufe von Medikamenten zusammen mit anderen Waren bezieht. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Von Anja Mertens

Urteil vom 22. Dezember 2022
– C-530/20 –

Europäischer Gerichtshof

Für Arzneimittel

darf in Deutschland und in Europa bekanntlich nicht so geworben werden wie für andere Konsumgüter. Schließlich handelt es sich um Waren besonderer Art, die – falsch und/oder übermäßig eingesetzt – erhebliche Risiken für die Gesundheit bergen können. Dennoch testen Unternehmen, auch Apotheken, immer wieder die Grenzen aus. Solche Fälle landen am Ende oft beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), der dann zu entscheiden hat, ob nationale Verbote mit dem Europarecht, vor allem mit den Vorgaben des Gemeinschafts­kodex für Humanarzneimittel (EU-Richtlinie 2001/83) vereinbar sind.

Aufsicht untersagte Werbeaktion.

So geschehen auch im Fall der lettischen Apothekenkette Euroaptieka. Diese hatte im März 2016 auf ihrer Internet­seite und in ihrer Kundenzeitschrift eine Werbeaktion angekündigt, die einen Preisnachlass von 15 Prozent für den Kauf eines beliebigen Arzneimittels vorsah, wenn mindestens drei Artikel gekauft würden. Die zuständige nationale Aufsichtsbehörde untersagte diese Werbung. Denn in Lettland gibt es eine Vorschrift, die Werbung für Arzneimittel verbietet, die sich auf Preise, Sonderangebote oder kombinierte Verkäufe von Arzneimitteln zusammen mit anderen Waren bezieht.

Euroaptieka zog daraufhin vor das lettische Verfassungsgericht und stellte dort die Rechtmäßigkeit des nationalen Werbeverbots im Hinblick auf die EU-Richtlinie 2001/83 infrage. Das Verfassungsgericht setzte das Verfahren aus und wandte sich vorab an den EuGH. Es fragte die Luxemburger Richter, wie der Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne der EU-Richtlinie 2001/83 aus­zulegen sei. Insbesondere wollten die lettischen Verfassungsrichter wissen, ob dieser Begriff auch Werbung für un­bestimmte Arzneimittel umfasst, das heißt Werbung, die sich auf Medika­mente im Allgemeinen oder auf eine Gesamtheit von nicht identifizierten Arzneimitteln bezieht. Das lettische Gericht stellte dem EuGH ferner die Frage, ob das in der fraglichen nationalen Vorschrift vorgesehene Verbot der preis­bezogenen Werbung und der Werbung für Sonderangebote oder für kombi­nierte Verkäufe von Arzneimitteln zusammen mit anderen Waren mit der EU-Richtlinie vereinbar ist.

Werbung für Arzneimittel ist zwar zulässig, darf aber den Gesundheitsschutz nicht untergraben, so die Luxemburger Richter.

In ihrer Entscheidung stellten die Europarichter fest, dass die preisbezogene Werbung und die Werbung für Sonderangebote oder für kombinierte Verkäufe zusammen mit anderen Medikamenten oder Waren der unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung von nicht verschreibungspflichtigen und nicht erstattungsfähigen Arzneimitteln Vorschub leisten. Folglich sei die lettische Vorschrift, die die Verbreitung solcher Werbeinhalte verbietet, mit der Richtlinie vereinbar.

Begriff der Werbung weit gefasst.

In seiner Begründung wies der EuGH zunächst daraufhin, dass der Begriff „Werbung für Arzneimittel“ in der EU-Richtlinie sehr weit definiert sei. Er umfasse alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch eines bestimmten oder unbestimmten Medikamentes zu fördern. Ein ausdrücklicher Produktbezug sei nicht erforderlich. Bei einer anderen Auslegung würde der entsprechenden Vorschrift in der Richtlinie „weitgehend ihre praktische Wirksamkeit genommen“. Das wesentliche Ziel, die öffentliche Gesundheit vor Risiken zu schützen, die mit einer übermäßigen oder unvernünftigen Verwendung von Arzneimitteln einhergehen, würde nicht erreicht.

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Nach Ansicht der Luxemburger Richter ist von einem Werbeziel dann auszugehen, wenn „Informationen verbreitet werden, die den Kauf von Arzneimitteln fördern, indem die Notwendigkeit eines solchen Kaufs anhand des Preises gerechtfertigt wird, ein Sonderverkauf angekündigt wird oder angegeben wird, dass ein kombinierter Verkauf zusammen mit anderen Arzneimitteln oder Waren erfolgt“. Der Begriff „Werbung für Arzneimittel“ gelte auch dann, wenn sich die Informationen auf unbestimmte Arzneimittel beziehen. Das nationale Verbot sei daher grundsätzlich zulässig. Um aber Gefahren für die öffentliche Gesundheit zu verhindern, müssten die Mitglied­staaten solche Werbeinhalte verbieten, die den unzweckmäßigen Einsatz von Medikamenten fördern könnten. Gerade Werbung für nicht verschreibungspflichtige und nicht erstattungsfähige Arzneimittel könne einen besonders großen Einfluss auf die Prüfung und die Entscheidung des Verbrauchers ausüben – und zwar sowohl was die Qualität des Arzneimittels betreffe als auch hinsichtlich der zu kaufenden Menge.

Schutz vor übermäßigem Arzneikauf.

Zudem seien preisbezogene Werbung, die Werbung für Sonderangebote oder für kombinierte Verkäufe von Arzneimitteln zusammen mit anderen Waren geeignet, „die Verbraucher über ein wirtschaftliches Kriterium dazu zu veranlassen, diese Arzneimittel zu kaufen und einzunehmen, ohne eine sachliche Prüfung anhand der therapeutischen Eigenschaften der Medikamente und des konkreten medizinischen Bedarfs vorzunehmen“. Im Übrigen würden Arzneimittel dabei mit anderen Verbrauchswaren gleichgestellt, für die Preisnachlässe gewährt werden. Nach Auffassung des EuGH leistet die preisbezogene Werbung und die Werbung für Sonderangebote oder für kombi­nierte Verkäufe zusammen mit anderen Arzneimitteln oder Waren daher der unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung von nicht verschreibungspflichtigen und nicht erstattungsfähigen Arzneimitteln Vorschub.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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