Die Akademisierung in der Pflege muss weiter voranschreiten – doch noch ist die Nachfrage zu gering.
Fachtagung

Mehr Kompetenzen für die Pflege

Der Arbeitsmarkt in der Pflegebranche ist leergefegt. Neue Strategien für die Qualifikation und den Einsatz von Fach- und Assistenzkräften erläuterten Fachleute diakonischer Einrichtungen auf einer Tagung in Hamburg. Von Änne Töpfer

Die bisher gültige Fachkraftquote

von 50 Prozent in stationären Pflegeeinrichtungen läuft aus. Ab 1. Juli müssen Heime nach einer „Roadmap“ des Gesetzgebers das neue Personalbemessungsverfahren umsetzen. Vor diesem Hintergrund hatte der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) Leitungspersonen diakonischer Einrichtungen zur Tagung „Qualifikationsmix neu denken: Aufgabenumverteilung im Gesundheitswesen“ nach Hamburg eingeladen. „Die Pflege ist gefordert, jetzt Veränderungsprozesse anzustoßen und den Personaleinsatz anhand der Kompetenzen neu zu strukturieren“, heißt es in einem DEVAP-Impulspapier (siehe Lese- und Webtipps). „Eine qualitativ hochwertige Versorgung in allen Bereichen der Pflege muss erklärtes Ziel aller sein.“

Versorgungssicherheit gefährdet.

Von der Politik forderte DEVAP-Geschäftsführerin Anna Leonhardi einen gemeinsamen Masterplan für die Pflege. „Wir müssen vor die Krise kommen und endlich mit einer grundlegenden Reform in der Langzeitpflege beginnen.“ In einer DEVAP-Umfrage zur Versorgungssicherheit in der Langzeitpflege von Januar 2023 hatten 78 Prozent von 501 Teilnehmenden aus ambulanten und stationären Einrichtungen angegeben, Leistungen wegen Erkrankungen von Mit­arbeitenden und der Nichtbesetzung von offenen Stellen einschränken zu müssen. Als wichtigen Aspekt einer nachhaltigen Finanz- und Strukturreform der Pflegeversicherung nannte Leonhardi daher, „ein einheitliches Personalaufbaukonzept zu entwickeln – ausreichend Personal und professionalisierte Mitarbeitende“.

Weniger als 50 Prozent aller Pflegestudienplätze sind belegt.

Dreh- und Angelpunkt neuer Per­sonalkonzepte könnte der Einsatz von akademischen Pflegefachpersonen sein. Die Johanniter Seniorenhäuser GmbH hat damit bereits praktische Erfahrungen gesammelt, über die Georg Hammann, Fachbereichsleiter Pflege und Betreuung, berichtete. In der Wohnbereichsleitung einer Johanniter-Einrichtung in Bremen hat eine akademische Pflegefachperson „ihre eigene Stelle geschaffen“. Das habe die Organisationsentwicklung gefördert, „mit vielen kleinen Facetten, die wir uns vorher nicht vorgestellt hatten“, sagte Hammann. „Wir wollen Pflege als eigenständige Profession etablieren – mit Handlungsautonomie, wissenschaftlicher Verantwortung und Beteiligung an Entscheidungen.“ Der Einsatz von akademischen Pflegefachpersonen sei eine Antwort auf die gestiegenen Anforderungen in der Langzeitpflege.

Wenig Nachfrage nach Studium.

Doch noch gibt es nur wenige Akademikerinnen und Akademiker unter den Pflegefachpersonen. „Weniger als 50 Prozent der Pflegestudienplätze sind belegt“, berichtete Dr. Stefanie Schniering, Studiengangskoordinatorin am Department Pflege und Management der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Dabei habe der Wissenschaftsrat bereits 2012 einen Akademikeranteil von zehn bis 20 Prozent in der klientenbezogenen Pflege gefordert.

Die mangelnde Nachfrage nach den Studienplätzen führte Schniering auf die Rahmenbedingungen, vor allem die fehlende Vergütung während der Praxiseinsätze und die fehlende Refinanzierung der Praxisanleitung zurück. Ihr Resümee: „Die rechtlichen Grundlagen für die hochschulische Ausbildung sind geschaffen, doch Detailregelungen stehen zum Teil noch aus. Künftige Einsatzfelder und Unterscheidungsmerkmale zu beruflich ausgebildeten Pflegefachpersonen stehen am Anfang, sind aber wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Stellenprofilen und einer adäquaten Vergütung.“

Rollen neu definieren.

Eine „kompetenz­orientierte Neudefinition der Rollen“ in der Pflege forderte Sonja Schneider-Koch, Leiterin der DEVAP-Arbeitsgruppe Personal. Sie plädierte dafür, die „Fachlichkeit zu entwickeln. Wir gewinnen Fachkräfte, wenn sie fachlich arbeiten dürfen“. Heute übernähmen Pflegefachpersonen eine „Menge an Tätigkeiten, die auch jemand anders machen kann“. Pflegekräfte liebten es, alles zu tun. Doch sie sollten nicht „Schnittchen schneiden oder den Müll rausbringen“, so Schneider-Koch. Stattdessen sollten Pflegefachpersonen „Verantwortung für komplexe Pflegesettings, die Pflegeprozesssteuerung, das Management und die Edukation übernehmen“. Eine Kompetenzerweiterung der Pflege könne die Gesundheitsver­sorgung der Bevölkerung verbessern.

Änne Töpfer ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
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