6. – 12. Juni 2020
Poker um die Testpreise
Mit roten Zahlen geht es ins Wochenende. Nach ersten Angaben der Krankenkassenverbände ist die gesetzliche
Krankenversicherung (GKV) im ersten Quartal 2020 deutlich ins Minus gerutscht. Das Defizit dürfte bei rund 1,3
Milliarden Euro liegen. Mit Ausnahme kleinerer Vorzieheffekte sind die Corona-Sonderausgaben in diesem Ergebnis noch
nicht enthalten. Mit einem Ausgabensprung um mehr als fünf Prozent mache sich jetzt die Gesundheitsgesetzgebung aus dem
Vorjahr deutlich bemerkbar, stellt der AOK-Bundesverband fest.
Wann kommt die Tracing-App? „Nächste Woche ganz bestimmt“, sagt Jens Spahn am 8. Juni in einem Zeitungsinterview. Der
Bundesgesundheitsminister kann sich darüber freuen, dass fast 70 Prozent der Deutschen bereit wären, eine Corona-App auf
ihr Smartphone zu laden. Das hat das Nürnberg-Institut für Marktentscheidungen repräsentativ erfragt. Die Befragten
wünschen sich mit großer Mehrheit eine Variante, bei der die Daten anonym und zeitlich begrenzt lokal auf ihrem
Mobilgerät gespeichert werden – weil die Bundesregierung genau diese Wünsche berücksichtigen will, hat sich das Vorhaben
verzögert.
Die Covid-19-Pandemie erweist sich einmal mehr als Treiber des digitalen Wandels: Die Video-Sprechstunden boomen. Das
belegt eine am 9. Juni vorgestellte gemeinsame Studie der Stiftung Gesundheit und des beim Bundesgesundheitsministeriums
angesiedelten „Health Innovation Hub“. Danach bieten inzwischen 52 Prozent der Ärzte die einst ungeliebten
Videosprechstunden an. 2017 waren es nur 1,8 Prozent. Besonders beliebt sind Videosprechstunden laut Studie bei
Psychologen, Psychiatern und Psychotherapeuten. Allerdings hält eine Mehrheit der Befragten den Boom für ein reines
Krisenphänomen. Möglichst über die Krise hinaus beibehalten wollen vor allem die Hausärzte dagegen „eingeübte
Corona-Regeln“. Nach Angaben von Verbandschef Ulrich Weigeldt haben Abstandsregeln und verstärktes Hygieneverhalten
nicht nur die Verbreitung des Corona-Virus eingedämmt, sondern auch Erkältungs- und Grippeviren gestoppt und
Magen-Darm-Infekte reduziert. Auch veränderte Abläufe in den Arztpraxen sollten beibehalten werden, sagt der oberste
Hausarzt. Er möchte deshalb auch die Ende Mai ausgelaufene Regelung zur telefonischen Krankschreibung bei leichten
Atemwegserkrankungen dauerhaft wiederbeleben, um „Virenschleudern“ aus den Wartezimmern fernzuhalten.
8. Juni
Weltweit 7 Millionen bestätigte Infektionen, 403.000 Todesfälle
Deutschland: 184.193 Infektionen, 170.200 Genesene, 8.711 Todesfälle
„Testen, testen, testen“ – darin sind sich im Gesundheitswesen alle einig. „Aber bitte an die Kosten denken“, ergänzen
die Krankenkassen. Die von ihnen kritisierte Testkosten-Verordnung tritt am 9. Juni in Kraft, rückwirkend zum 14. Mai.
Danach muss die gesetzliche Krankenversicherung auch die geplanten Massentests für Menschen ohne Covid-19-Symptome
bezahlen, die die Gesundheitsämter, Krankenhäuser oder Ärzte durchführen. In die Kostenübernahme sind auch die Tests bei
Privatversicherten eingeschlossen. Bezahlt wird vorerst alles aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Im Herbst
will die Bundesregierung dann entscheiden, ob und in welcher Höhe diese versicherungsfremden Leistungen durch einen
Bundeszuschuss ausgeglichen werden.
In der bis Ende März 2021 befristeten Verordnung hat das Ministerium einen Stückpreis von 50,50 Euro pro Test angegeben.
Doch der gilt zunächst nur für den öffentlichen Gesundheitsdienst. Die Preise für Tests im Krankenhaus und in der
Arztpraxis sind Verhandlungssache zwischen Kassen, Kassenärzten und Krankenhäusern. Die Verhandlungen laufen virtuell
und schnell, aber nicht einvernehmlich. Für den stationären Bereich entscheiden die drei unparteiischen Vorsitzenden der
Bundesschiedsstelle gegen die Stimmen der Krankenkassen. Heraus kommt ein Testpreis von 52,25 Euro, in den die Deutsche
Krankenhausgesellschaft zehn Euro Personalkostenanteil hineinverhandelt hat. Im Erweiterten Bewertungsausschuss für
ärztliche Leistungen entscheiden die drei Unparteiischen zugunsten der Krankenkassen: 39,40 Euro statt wie bisher 59
Euro sollen die Labore ab 1. Juli für einen ärztlich veranlassten PCR-Test erhalten. „Pfennigfuchserei“ wirft die
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) der Kassenseite vor. „Sachgerecht“, sagt der GKV-Spitzenverband, denn anders als
bei vereinzelten Tests im Februar gehe es längst um „zum großen Teil automatisierte Massentests“. Die Testkapazität der
gut 130 Labore liegt nach Angaben der Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) bei rund 888.000 Tests pro Woche.
12. Juni
Weltweit: 7,5 Millionen bestätigte Infektionen, 422.000 Todesfälle
Deutschland: 185.674 Infektionen, 171.200 Genesene, 8.763 Todesfälle
Im Zusammenhang mit der „Heinsberg-Studie“ musste sich der Bonner Virologe Hendrik Streeck den Vorwurf anhören, er habe
sich dem „Lockerungsdrehbuch“ der NRW-Landesregierung unterworfen. Am 10. Juni äußert er sich im Gespräch mit der „Neuen
Osnabrücker Zeitung“ im Rückblick skeptisch zur generellen Notwendigkeit des Corona-Lockdowns. Nach den auch von ihm
empfohlenen ersten Einschränkungen und nach dem Verbot von Großveranstaltungen habe sich die Verbreitung des
Corona-Virus bereits abgeschwächt. „Weitere Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen hätte ich dann vom tatsächlichen Verlauf
abhängig gemacht, auch um zu sehen, wie die einzelnen Beschränkungen wirken und ob zusätzliche Schritte wirklich nötig
sind“, sagt der Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsklinik Bonn. Man sei dann zu schnell in den
Lockdown gegangen, weil die Sorge überwogen habe, dass die Intensivbetten womöglich nicht reichen und weil auch „ein
gewisser Druck“ in der Öffentlichkeit bestanden habe. Kritisch äußert sich Streeck auch zum Sinn der Maskenpflicht: „Die
Leute knüllen die Masken in die Hosentasche, fassen sie ständig an und schnallen sie sich zwei Wochen lang immer wieder
vor den Mund, wahrscheinlich ungewaschen.“ Das sei ein wunderbarer Nährboden für Bakterien und Pilze. Seine Äußerungen
lösen eine neue Diskussion um die Maskenpflicht aus.
Nach der GroKo-Klausur am 3. Juni hat die Bundesregierung eine „Sozialgarantie 2021“ versprochen. Sie soll dafür sorgen,
dass die Sozialversicherungsabgaben trotz der vielen zusätzlichen Corona-Belastungen nicht über 40 Prozent steigen. Am
11. Juni kündigt Jens Spahn an, dass die Pflegeversicherung in diesem Jahr erstmals seit ihrem Bestehen Steuermittel
erhält. Vorgesehen seien 1,8 Milliarden Euro. Die Krankenkassen sollen laut Spahn zur Stabilisierung der Beiträge für
2020 zusätzlich 3,5 Milliarden als Bundeszuschuss erhalten. Was im nächsten Jahr und darüber hinaus nötig werden könnte,
sagt der Gesundheitsminister noch nicht. Der AOK-Bundesverband begrüßt den Steuerzuschuss zur Stabilisierung der
Pflegeversicherung. Angesichts der vielen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die auch die Pflegeversicherung inzwischen
übernehme, gelte es aber, zu einem „dauerhaften und zielgerichteten Bundesbeitrag“ zu kommen, sagt der Geschäftsführer
Politik, Kai Senf.
Zum Wochenausklang bringt die Bundesregierung am 12. Juni erste Teile des am 3. Juni vom Koalitionsausschuss verabredeten „Wumms“-Pakets auf den parlamentarischen Weg. Dazu gehören der 300-Euro-Kinderbonus, Steuererleichterungen für Alleinerziehende, finanzielle Überbrückungshilfen für kleineund mittlere Unternehmen und eine befristete Mehrwertsteuersenkung. Stimmen Bundestag und Bundesrat zu, werden vom 1. Juli bis 31. Dezember 16 statt 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig. Der ermäßigte Satz soll von sieben auf fünf Prozent sinken. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, dringt darauf, dass Tabakwaren von der Mehrwertsteuer ausgenommen werden. „Wir machen alles, was die Drogenbeauftragte will“, sagt Jens Spahn und bestätigt eine entsprechende Kabinettsentscheidung. Und mit Blick auf die aus seiner Sicht ständig mäkelnden Krankenkassen fügt er hinzu, dass die GKV durch die niedrigere Mehrwertsteuer bis Jahresende 700 Millionen Euro bei den Ausgaben für Medikamente sparen könne.
Der Gesundheitsminister äußert sich nach einer Videoschalte mit seinen EU-Amtskolleginnen und -kollegen. Der Rat der Gesundheitsminister (EPSCO) tagt am 12. Juni zum letzten Mal unter dem Vorsitz Kroatiens, ab 1. Juli ist Deutschland dran. Im Anschluss an die Videokonferenz formuliert Spahn seine Prioritäten im Bereich der Gesundheitspolitik. Es gehe nicht darum, als Lehre aus der Krise die Globalisierung in Frage zu stellen, sondern das richtige Maß zu finden: „Europa muss sich mehr trauen und mehr zutrauen. Es darf nicht in China entschieden werden, ob es Schutzmasken in Warschau, Berlin oder Amsterdam gibt.“ Der EPSCO-Rat hat sich auch mit dem Thema Impfstoffe befasst. Die Runde empfiehlt, die EU-Kommission mit Verhandlungen über Vorverträge mit der Pharmaindustrie zu beauftragen. Dabei könne die Kommission an einer entsprechenden Initiative von Frankreich, Deutschland, Italien und den Niederlanden anknüpfen, sagt Spahn. Die vier Initiativländer seien bereit, zunächst auch die finanziellen Garantien zu übernehmen. „Europa engagiert sich in allen internationalen Aktivitäten, was Impfstoffe und Therapien angeht. Es muss aber auch klargestellt werden, dass mögliche Impfstoffe unseren Bürgerinnen und Bürger in allen 27 Staaten zur Verfügungen stehen“, betontder Gesundheitsminister. Er warnt jedoch vor übergroßen Erwartungen an den
deutschen Ratsvorsitz. In einem halben Jahr sei nicht alles und auch nicht alles gleichzeitig mit allen Mitgliedsstaaten machbar. Gefragt sei deshalb ein „Europa der Pioniere“.
„Wir wollen, dass die Patienten wieder in die Praxen kommen und dringende Behandlungen, Kontrollen, Impfungen oder Früherkennungsuntersuchungen nicht länger aufschieben“, sagte der oberste Kassenarzt Andreas Gassen zum Wochenausklang. Deshalb sperrt sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nicht gegen das Auslaufen der Sonderregeln bei der Telefonkonsultation zum Monatsende. Ärzte und Psychotherapeuten dürfen aber vorerst noch bis Ende September unbegrenzt Videosprechstunden anbieten. Darauf hat die sich KBV mit dem GKV-Spitzenverband verständigt. Verzichten müssen die Niedergelassenen dagegen ab Juli auf die Erstattung der Portokosten für Folgeverordnungen und Überweisungen.