Interview

„Eine Lotsenfunktion wäre sinnvoll“

Nach der Diagnose von Brustkrebs benötigen viele Frauen bei der Orientierung im Versorgungssystem Unterstützung, meint Annette Rausch. Als Patientin hat sie zudem zertifizierte und spezialisierte Zentren sowie die Selbsthilfe zu schätzen gelernt.

Frau Rausch, was unterscheidet Brustkrebs von chronischen Krankheiten wie beispielsweise Diabetes?

Annette Rausch: Bei Diabetes oder anderen chronischen Krankheiten lindert die Behandlung die Symptome. Außerdem hat man Möglichkeiten, selbst zu agieren, sei es durch die Umstellung der Ernährung, durch Bewegung oder Entspannung. Bei Brustkrebs fühlen sich Frauen in der Regel bei der Diagnose gesund und erst die Behandlung führt sowohl physisch als auch psychisch zu massiven Nebenwirkungen. Zumindest in meinem Fall hat die Behandlung langfristige, chronische Schäden verursacht. Das abstrakte Wissen, dass diese extreme Behandlung meinen Tod verhindern soll, steht also im Widerspruch zu meiner Erfahrung.

Porträt von Annette Rausch, Volkswirtin

Zur Person

Annette Rausch ist Volkswirtin und arbeitete von 2002 bis 2022 im Bereich Gesundheitspolitik in der grünen Bundestagsfraktion. Sie hat das Gendiagnostikgesetz und die grünen Modelle der Bürgerversicherung mitentwickelt. Im KRAUTin-Verlag hat Rausch das Foto-Buch „C50.9G“ veröffentlicht.

Welche Vorteile haben spezielle Zentren für die Behandlung von Patientinnen mit Brustkrebs?

Rausch: Die durch die Krebsgesellschaft zertifizierten Zentren haben den großen Vorteil, dass sie eine deutlich bessere Qualität als andere Krankenhäuser bieten. Deswegen ist es immer eine gute Empfehlung, dahin zu gehen. Solche Zertifizierungen wären für viele andere medizinische Bereiche genauso sinnvoll. Ich habe es außerdem als sehr positiv erfahren, dass es Zentren gibt, die auf den Bereich des genetisch bedingten Brustkrebses spezialisiert sind.

Wo sehen Sie noch Versorgungslücken und Verbesserungsbedarf?

Rausch: Die Navigation durch das Versorgungssystem ist extrem kompliziert. Ambulanter und stationärer Bereich kooperieren nicht gut genug. Die Patien­tinnen hängen dazwischen. Das überfordert viele in einer Zeit, in der sie sich mit der Krebsdiagnose auseinanderset­zen müssen. Da wäre eine Lotsenfunktion sehr sinnvoll, ob sie jetzt im Krankenhaus angesiedelt ist oder in der onkologischen Praxis oder durch eine Krankenkasse organisiert wird. Auch in der Kommunikation von Ärztinnen und Ärzten gäbe es einiges zu verbessern.

Es geht mir darum, Tabus abzubauen.

Welche Rolle kann die Selbsthilfe für Brustkrebs-Patientinnen spielen?

Rausch: Mit der Möglichkeit zum Austausch hat sie eine wichtige Funktion. Über die Charité bin ich auf eine Selbsthilfegruppe aufmerksam geworden, die sich dafür einsetzt, dass Frauen nicht zu einem Brustaufbau gedrängt werden. Dort habe ich Informationen bekommen, die für mich hilfreich waren.

Sie haben Ihre Brustkrebserkrankung fotografisch festgehalten. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Rausch: Während ich fotografiert habe, war die Hauptmotivation erstmal zu dokumentieren, mich von „außen“ zu betrachten. Ich wollte die eigene Erfahrung fotografisch aufbereiten, was es trotz vieler betroffener Frauen quasi nicht gibt. Ich trage das Thema in die Öffentlichkeit, damit es besprochen wird. Es geht mir darum, Tabus abzubauen.

Sie sprechen mit den Fotos die Gefühlsebene an. Welche Bedeutung haben Gefühle nach der Krebsdiagnose?

Rausch: Die Diagnose löst Angst aus und erzeugt Hilflosigkeit. Ich bin noch mal ganz anders an Grenzen gestoßen als zuvor. Sich damit auseinanderzu­setzen, ist eine große Herausforderung. Hinzu kommt, dass man sich mit den Gefühlen der Umgebung auseinandersetzen muss. Das ist manchmal fast anstrengender.

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: Ute Hiller