Das Ziel liegt in weiter Ferne: Bei der Umsetzung der Qualitätsvorgaben für Kliniken wünschen sich Experten mehr Tempo.
Krankenhäuser

Qualitätsoffensive im Schneckentempo

Noch immer wagen sich zu viele Kliniken mit wenig Erfahrung an komplexe Therapien, warnen die Herausgeber des neuen Qualitätsmonitors. Für die Patienten ist das eine schlechte Nachricht. Von Thomas Hommel

Klare Regelungen für Mindestmengen,

verstärkte Zentralisierung und Konzentration der stationären Versorgung: Finnland zeigt, was es heißt, den Krankenhaussektor entlang der Richtschnur Qualität konsequent umzubauen.

In Deutschland, bemängeln Experten, sei das bislang noch zu wenig der Fall. Die viel gepriesene Qualitätsoffensive in den rund 2.000 Kliniken stehe mehr auf dem Papier, als dass sie in der Versorgungswirklichkeit angekommen sei.

Anlässlich der Vorstellung des Qualitätsmonitors 2019 hat der AOK-Bundesverband diese Kritik bekräftigt und auf die halbherzige Umsetzung gesetzlicher Vorgaben für Mindestmengen und Qualitätsindikatoren in der Krankenhausplanung hingewiesen.

Eine „Strategie der Verschleppung“ von Klinikvertretern und Ländern führe letztlich dazu, „dass unnötig Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden“, sagte der Vorstandschef des Verbandes, Martin Litsch. In der aktuellen Krankenhaus-Gesetzgebung der Großen Koalition, aber auch in der Klinikplanung der Bundesländer sei der Wille, für eine bessere Versorgungsqualität zu sorgen, nicht erkennbar. „Die Luft ist raus.“

Wahrlich keine Raketentechnik.

Litsch verwies auf den Stand bei den planungsrelevanten Qualitätsindikatoren (PlanQI). Das Verfahren geht zurück auf das Krankenhaus-Strukturgesetz (KHSG) von 2016. Danach soll der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) für Behandlungen Qualitätskriterien entwickeln.

Erste PlanQI liegen bereits vor – unter anderem für gynäkologische Operationen, die Geburtshilfe und die Mammachirurgie. Die PlanQI sollen es den Bundesländern ermöglichen, die Qualität der Versorgung bei ihrer Krankenhausplanung stärker als bisher zu berücksichtigen.

Litsch sprach in diesem Zusammenhang von einem „Desaster“, da sich die Erarbeitung der PlanQI zu lange hinzöge und einzelne Bundesländer sich schon jetzt darüber hinweg setzten. „Bis heute gibt es nur ganz schmale Ergebnisse – und das, obwohl es hier wahrlich nicht um Raketentechnik geht.“

Die AOK rufe die Politik deshalb dazu auf, ein „Krankenhaus-Strukturgesetz II“ auf den Weg zu bringen. Dieses Gesetz müsse dafür sorgen, dass die Fristen für die Umsetzung der PlanQI deutlich verkürzt würden und die Prozesse im GBA an Tempo gewönnen.

Gelegenheitschirurgie als Dauerthema.

Der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und einer der Mitherausgeber des Qualitätsmonitors, Jürgen Klauber, betonte, die Publikation liefere eindeutige Belege dafür, dass die Vorgabe von Mindestmengen für Krankenhausbehandlungen sowie eine stärkere Zentralisierung von Leistungen in bestimmten, vor allem hochkomplexen Versorgungsbereichen Leben retten könnten.

Deutschland hinkt hinterher


Andere Länder wie USA, Dänemark oder Finnland machen vor, was in Deutschland nur schleppend in Gang kommt: die Konzentration stationärer Leistungen in den Kliniken, die ausreichend Erfahrung und die nötige Ausstattung haben. Darin waren sich die Teilnehmer des zwölften Nationalen Qualitätskongresses in Berlin einig.


Kongresspräsident Ulf Fink sagte, Deutschland kranke an einer„mangelhaften Zentralisierung“ seiner Kliniklandschaft. „Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Der frühere Wirtschaftsweise Professor Dr. Bert Rürup forderte, die Krankenkassen sollten für planbare Eingriffe Qualitätsverträge mit den Kliniken schließen dürfen. Der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, verlangte mehr Verbindlichkeit bei den Qualitätsvorgaben. Es sei nahezu „skandalös, dass wir unglaublich viel wissen über den Zusammenhang zwischen Fallzahlen und Ergebnissen, aber wir kriegen es in unseren komplexen Entscheidungsstrukturen nicht hin, das umzusetzen“. Dr. Thilo Grüning von der Deutschen Krankenhausgesellschaft betonte, Mindestmengen seien sinnvoll. Die Kliniken hielten sich auch daran. Mindestmengen dürften aber nicht als Instrument zur „Strukturbereinigung“ missbraucht werden.

Staatsrat Dr. Matthias Gruhl von der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg kritisierte, dass der Gemeinsame Bundesausschuss es nicht geschafft habe, die im Krankenhaus-Strukturgesetz geforderte rechtliche Verbindlichkeit für planungsrelevante Qualitätsindikatoren hinzubekommen. Daher gebe es Länder, die selbst entscheiden wollten, wie sie damit umgehen. „Wir in Hamburg wenden die Indikatoren aber an.“ Ulrike Elsner, Vorstandschefin des Verbandes der Ersatzkassen warnte indes vor „Selbstverwaltungs-Bashing“. „Ich glaube nicht, dass die Politik das besser hinbekommt.“


 Weitere Informationen: Nationaler Qualitätskongress

Ein Dauerthema bleibe die „Gelegenheitschirurgie“ bei bestimmten Krebs-Indikationen wie Brustkrebs. Klauber wies darauf hin, dass ein Viertel der 781 behandelnden Kliniken im Jahr 2016 maximal acht Brustkrebs-Operationen erbracht hat. Ein weiteres Viertel führte im Mittel 26 Operationen durch, was etwa einen Eingriff alle zwei Wochen bedeutet.

Von zertifizierten Brustkrebs-Zentren würden dagegen 100 Brustkrebs-Operationen pro Jahr gefordert, betonte Klauber. „Eine eingespielte Prozesskette für derartige Operationen kann es nur in Häusern mit hohen Fallzahlen geben.“ Die Realität sehe aber anders aus: Zu viele Kliniken mit geringer Erfahrung wagten sich noch immer an komplexe Therapien und gefährdeten damit die Patientensicherheit.

Eine Mindestmenge von 14 pro Jahr für die Versorgung von Frühchen ist zu niedrig.

Das gelte auch für die Katheter-gestützten Aortenklappen-Implantationen, die TAVI, so Klauber. Laut Qualitätsmonitor versorgen etwa 30 Prozent der 97 Kliniken, die diese Eingriffe im Jahr 2016 durchführten, weniger als 100 Fälle pro Jahr. In Krankenhäusern mit weniger als 100 TAVI liegt die Zahl der Todesfälle dem Report zufolge im Vergleich zum erwarteten Wert um 46 Prozent höher. In den Kliniken mit mindestens 200 Eingriffen liegt die Sterblichkeitsrate dagegen um 32 Prozent niedriger als erwartet.

„Schon mit einer Fallzahlvorgabe von 100“, so Klauber, „könnte eine deutliche Senkung der Krankenhaussterblichkeit bei den TAVI-Patienten erreicht werden. Noch besser sind Kliniken mit mindestens 200 Fällen.“ Notwendig sei zudem eine kombinierte kardiologische und herzchirurgische Versorgung vor Ort.

Mehr Strukturqualität nötig.

Als Beispiel für die unzureichende Umsetzung von Mindestmengen in Deutschland führte der Berliner Kinderarzt Professor Dr. Rainer Rossi die Behandlung von Frühgeborenen an. Internationale Untersuchungen belegten eine bessere Versorgung von Frühgeborenen mit geringem Geburtsgewicht in Kliniken mit höherer Fallzahl und besserer Ausstattung.

Cover Qualitätsmonitor_2019

Kliniken unter der Lupe

Der jährlich erscheinende Qualitätsmonitor ist eine gemeinsame Publikation des Vereins Gesundheitsstadt Berlin, des Wissenschaftlichen Instituts der AOK und der Initiative Qualitätsmedizin (IQM).

Neben Katheter-gestützten Aortenklappen-Implantationen und dem Bereich Geburtshilfe stehen in der aktuellen Ausgabe Herzinfarkte, Harnblasen-Entfernungen sowie Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse und der Speiseröhre im Fokus der Analysen.

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Für Deutschland sei das ebenfalls nachgewiesen, sagte Rossi, der auch Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin ist. Eine im Qualitätsmonitor veröffentlichte Analyse auf Basis von AOK-Abrechnungsdaten zeigt ebenfalls, dass Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von weniger als  1.500 Gramm eine schlechtere Überlebenschance haben, wenn sie in Kliniken versorgt werden, die weniger als 34 solcher Fälle im Jahr behandeln. Die Sterblichkeitsrate in diesen Krankenhäusern liegt der Publikation zufolge knapp 50 Prozent höher als in Häusern mit 91 oder mehr Fällen.

Die derzeitige Mindestmenge für die Versorgung von Frühgeborenen in Deutschland von 14 Fällen dieser Art pro Jahr sei viel zu niedrig, kritisierte Rossi. „Daher sollte nun dringend eine neue, höhere Mindestmenge festgelegt werden.“ Die rechtlichen Voraussetzungen dafür seien nach den Änderungen im KHSG von 2016 gegeben.

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
Bildnachweis: iStock/Sander Meertins