Interview

„Sport hat eine sozial-integrative Kraft“

In der Corona-Pandemie fallen Vereinssport und Präventionsangebote oft aus. Prof. Dr. Hajo Zeeb befürchtet, dass sich das langfristig auf chronische Erkrankungen auswirkt. Der Community-Health-Experte empfiehlt, die Gesundheitsförderung über den Infektionsschutz nicht zu vergessen.

Herr Professor Zeeb, im Corona-Lockdown fallen viele Bewegungsmöglichkeiten weg. Welche Auswirkungen hat das auf die Gesundheit?

Hajo Zeeb: Gerade für Ältere, für die Bewegung nicht nur für die körperliche Fitness, sondern für das Wohlbefinden und die seelische Balance wichtig ist, hat das zweifelsfrei Einbußen mit sich gebracht. Der in Vereinen organisierte Sport und die kommunal basierten Präventionsangebote sind ausgefallen. Wir befürchten, dass das Langzeitauswirkungen auf chronische Erkrankungen hat.

Porträt von Hajo Zeeb, Community-Health-Experte

Zur Person

Prof. Dr. Hajo Zeeb, Arzt und Master of Community Health, leitet die Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.

Gibt es Studien, die nachweisen, dass Menschen seit März 2020 weniger auf gesundheitliche Prävention achten?

Zeeb: Wir haben eine gute, wachsende Evidenzbasis. Zusammenfassende Darstellungen zur gesundheitlichen Lage der Bevölkerung zu Beginn der Covid-19-Pandemie enthält das Journal of Health Monitoring des Robert Koch-Instituts. In der Ausgabe 4 im Jahr 2020 geht es beispielsweise um Veränderungen im Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten sowie in der Inanspruchnahme von Gesundheits- und Unterstützungsleistungen zu Beginn der Pandemie. Demnach haben Körpergewicht und Body Mass Index seit Beginn des Lockdowns im Frühjahr 2020 zugenommen. Die Inanspruchnahme allgemein- und fachärztlicher Leistungen ist vorübergehend zurückgegangen.
 
Hat Covid-19 den Fokus Ihrer eigenen Forschungsarbeit verändert?

Zeeb: Relativ früh in der Pandemie haben wir zusammen mit einem Konsortium aus Antwerpen weltweit in 40 Ländern eine Erhebung unter Studierenden initiiert. Wir haben untersucht, wie sich unter dem vollständigen Umstieg auf digitales Lernen das Leben von Studierenden verändert, darunter 6.000 Studierende aus Deutschland. Wir sehen, dass leichte depressive Symptome bei einer relativ großen Anzahl der Probandinnen und Probanden aufgetreten sind. Bei der körperlichen Bewegung hat sich gezeigt, dass ungefähr ein Drittel der Studierenden weniger aktiv waren. Aber ungefähr ein Drittel hat sich mehr bewegt als vor der Pandemie, hat die Zeit genutzt, um das zu machen, was noch möglich war.

Digitale Angebote sind kein vollwertiger Ersatz für den Sport vor Ort.

Inwiefern können Online-Angebote Ersatz bieten, wenn Sportvereine und Fitnessstudios zumachen?

Zeeb: Da haben Sportvereine sich wirklich einiges einfallen lassen. Aber digitale Angebote sind kein vollwertiger Ersatz. Sie können jedoch das Interesse, etwas für den Körper zu tun, lebendig halten. Viele Menschen nehmen Online-Angebote als Anlass, eigenständig für Bewegung zu sorgen. Aber das heißt nicht, dass in Zukunft der Sport vor Ort in der Gruppe oder für Einzelne entfallen könnte. Sport hat eine sozial-integrative Kraft, gerade auch für ärmere Bevölkerungsschichten oder für Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen.
 
Ganz allgemein gefragt: Wie lässt sich die gesundheitliche Prävention in Pandemiezeiten weiterhin sicherstellen?

Zeeb: Sie muss als wichtige Thematik weiterhin wahrgenommen werden. Es darf nicht alles im Infektionsschutz untergehen. Chronische Erkrankungen bleiben als Gesundheitsrisiko bestehen. Die Corona-Pandemie zeigt, wie wichtig es ist, eine körperliche und mentale Widerstandskraft herzustellen. Wir müssen die Gesundheit auch mit Blick auf Pandemien voranbringen und fördern – für so viele Menschen wie es eben geht.

Änne Töpfer führte das Interview. Sie ist verantwortliche Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: privat