Immer die volle Punktzahl? Die heutigen Pflege-Noten sind nicht aussagekräftig.
Symposium

Pflege-Noten reichen nicht

Das Gutachten zur Reform der Pflege-Noten liegt auf dem Tisch. Für Fachleute ist die Expertise aber nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, wie beim „Pflege-Dialog“ der AOK Sachsen-Anhalt deutlich wurde. Von Hans-Bernhard Henkel-Hoving

Rund 780.000 Menschen

leben derzeit bundesweit in einem Pflegeheim – Tendenz steigend. Immer wichtiger sei es deshalb, Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen eine verlässliche Orientierungshilfe bei der Suche nach einer geeigneten Einrichtung zu geben, unterstrich Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne beim „Pflege-Dialog“ der AOK Sachsen-Anhalt in Magdeburg.

Doch die bisherigen Pflege-Noten mit einem Durchschnittswert von 1,2 seien wenig aussagekräftig. Das nun vorliegende Gutachten zur Reform der Noten ist für die Sozialdemokratin indes eine „gute Grundlage“, um künftig zu aussagekräftigeren Beurteilungen zu kommen.

Eigenanteil begrenzen.

Zugleich machte Grimm-Benne deutlich, dass ohne qualifiziertes und gut bezahltes Personal keine gute Pflege möglich ist. So sei das Einhalten der 50-Prozent-Fachkraftquote im Heim nach wie vor ein „geeigneter Gradmesser“, um die Qualität der pflegerischen Versorgung beurteilen zu können, wobei kurzfristige Unterschreitungen der Quote angesichts des gravierenden Personalmangels tolerabel seien. Eine Antwort auf den leergefegten Arbeitsmarkt sei die seit 2018 in Sachsen-Anhalt geltende Schulgeldfreiheit in der Altenpflege.

Angesichts der wachsenden Pflegekosten plädierte Grimm-Benne zudem dafür, über eine Pflegevollversicherung nachzudenken oder zumindest den Eigenanteil von Heimbewohnern zu begrenzen: „Mehr Geld für die Pflege darf nicht einseitig zu Lasten der kleinen Leute gehen.“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Tino Sorge forderte angesichts des demografischen Wandels eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie künftig Pflege zu finanzieren ist. Nachwachsende Generationen dürften dabei nicht einseitig belastet werden. Ausdrücklich würdigte Sorge das Engagement pflegender Angehöriger und des Pflegepersonals und verwies darauf, dass die Große Koalition und Gesundheitsminister Spahn eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht hätten, um die Bezahlung des Personals zu verbessern und so letztlich die Qualität in der Pflege sicherzustellen.

Keine Gesamtnote mehr.

Wie die Pflegenoten künftig möglicherweise aussehen könnten, schilderte Dr. Gerald Willms vom Göttinger Aqua-Institut, das gemeinsam mit dem Institut für Pflegewissenschaften der Uni Bielefeld das Gutachten zur Reform der Noten erstellt hat.

In dem 625 Seiten starken Werk plädieren die Gutachter dafür, die bisherige „Dokumentationslastigkeit der Prüfung“ durch den Medizinischen Dienst zu reduzieren und Gesprächen mit dem Personal und Bewohnern deutlich mehr Gewicht einzuräumen. Eine Gesamtnote für ein Heim soll es nicht mehr geben, wohl aber Bewertungen für einzelne Bereiche.

Gerald Willms sprach sich darüber hinaus dafür aus, zusätzlich zu den neuen Pflege-Noten – sie sollen ab November 2019 gültig sein – ein sektorenübergreifendes Qualitätsverständnis zu entwickeln, in dem die pflegerische und die medizinische Versorgung von Pflegebedürftigen „als gemeinsame Unternehmung betrachtet werden.“

Große Qualitätsunterschiede.

Ins gleiche Horn stieß Dr. Antje Schwinger vom Wissenschaftlichen Institut der AOK. Sie stellte in Magdeburg einen neuen Ansatz zur Qualitätsmessung in der Pflege mit Routinedaten vor, der es ohne zusätzlichen Dokumentationsaufwand für das Personal ermögliche, sowohl pflegerische als auch medizinische Dimensionen der Versorgung von Pflegebedürftigen zu erfassen.

Eine erste Machbarkeitsstudie mit sechs Indikatoren habe unter anderem gezeigt, dass es beim Auftreten von Wundgeschwüren, bei der Verordnung von Antipsychotika und der Häufigkeit von Klinikeinweisungen ganz erhebliche Unterschiede zwischen Heimen gebe, die erklärungsbedürftig und teilweise „erschreckend“ seien.

AOK-Vorstand Ralf Dralle unterstrich, dass die Gesundheitskasse zwar schon heute konsequent Hinweisen auf Qualitätsmängeln in Heimen nachgehe, sich aber „gute Pflege nicht von außen hineinprüfen“ lasse. Von einer Reform der Pflege-Noten erhofft sich Dralle eine deutlichere Unterscheidung zwischen guten und schlechten Einrichtungen: „Nur eine glaubwürdige und zugleich verständliche Darstellung hilft Pflegebedürftigen und ihren Familien wirklich weiter.“

Hans-Bernhard Henkel-Hoving ist Chefredakteur der G+G.
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