Einwurf

Generationenkampf ist Krampf

Lebenserfahrene Ratgeber oder rückwärtsgewandte Bremser – welche Bilder von Seniorinnen und Senioren hat unsere Gesellschaft? Die Wirklichkeit liegt zwischen solchen Extremen, sagt Franz Müntefering.

Portrait Franz Müntefering

Die ältere Generation: verehrt oder verachtet?

Ich meine nicht, dass solche extremen Positionen der Realität entsprechen. Und doch gibt es Tendenzen in die eine Richtung: Ein relativ junger Autor, Wolfgang Gründinger, verbreitet sich in einem Buch über die „Alte-Säcke-Politik“ in Deutschland. Und der etwas ältere Modedesigner Wolfgang Joop mutmaßt, dass die Alten bald gehasst werden. Zwei Beispiele, die keine Mehrheiten repräsentieren, aber aufhorchen lassen und Besserung notwendig machen. Denn: Unsinn – wenn er oft genug erzählt wird – hinterlässt Spuren und gilt irgendwann als Allgemeingut, manchen sogar als Wahrheit.

In beiden Beispielen geht es um das eine Extrem: die Verachtung, die in den Worten mitschwingt. Über Verehrung kenne ich vergleichbare Aussagen nicht. Da offenbart sich eine gewisse Unausgeglichenheit im Blick auf das Alter und das Alt-Sein. Und – klar – alte Menschen sind nicht nur Objekte, zu denen die Gesellschaft sich verhält, sie sind auch Subjekte und haben Einfluss auf das Bild, das die Gesellschaft von ihnen hat oder gewinnt.

Die steigende individuelle Lebenserwartung und die große Zahl alter Menschen, die weiter zunehmen wird, wirken als Herausforderung auf die Nachkommenden, teils als konkretes Problem, Tendenz steigend. In aller Regel wird differenziert: Die Älteren und die Alten, die man persönlich kennt, mit denen man verwandt oder befreundet ist, sind überwiegend nett und patent, erfahren und lebensfroh, für jüngere Familien oft auch eine konkrete Hilfe. Manche allerdings sind hilfe- und pflegebedürftig, arg betroffen von Krankheiten des Alters, hilflos. Aber verachtet? Natürlich nicht!

Da kommen bei den Jüngeren die Bedingungen des eigenen Alt-seins und die Ungewissheit der eigenen Perspektive ins Spiel. Man weiß, dass die Schwächen des Alters nicht die Schuld der Alten sind. Und man blickt in einen Spiegel und ist beeindruckt bis besorgt, was die Zukunft angeht (auch die eigene). Das ist ziemlich normal. Aber Bangemachen gilt nicht – das Alter hat auch seine guten Seiten. Dazu gleich noch etwas.

Hier zunächst ein kurzer Einschub: Eine Verehrung des Alters ist in der Tat rar. Doch eine Verehrung im Sinne einer Ehrerbietung bis hin zur bedingungslosen Untertänigkeit steht im Widerspruch zur Gleichwertigkeit der Menschen und passt nicht recht zur Idee der gleichen Augenhöhe in der Demokratie. Diese Art von Verehrung vermisse ich nicht. Verehrung, die Hochachtung meint, wird heute in der Regel auch so genannt. Und Menschen, die wir hochachten, kennen wir alle – auch und sogar zahlreiche alte.

Die Frage nach Gerechtigkeit geht quer durch alle Altersgruppen.

Als Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen vertreten wir die Interessen der Älteren und Alten. Wir tun das ausdrücklich nicht zulasten anderer Generationen. Aber es ist Teil der Demokratie, seine Interessenslage zu verdeutlichen und die Lösung von Problemen aktiv zu betreiben. Dass das Kompromissbereitschaft und Ausdauer erfordert, ist selbstverständlich.

Jede Altersgruppe hat das Recht – und auch die Pflicht – an der Demokratie teilzuhaben und teilzunehmen, aktiv mitzuwirken, Gerechtigkeit einzufordern. Jede Altersgruppe muss die Nachhaltigkeit der Politik und der gesellschaftlichen Ordnung unterstützen. Die Zukunftsfähigkeit in Sachen Ökologie, Ökonomie und Soziales muss gemeinsames Ziel sein. Jede Altersgruppe muss den ihr gemäßen Beitrag zum Gelingen leisten. Jede Form von Alterns- und Altersdiskriminierung ist abzulehnen.

In jeder Altersgruppe gibt es Reiche und Arme, Gesunde und Kranke, Erfolgreiche und Gescheiterte, Informierte und Dumme, Solidarische und Unsolidarische. Die Gerechtigkeitsfrage stellt sich nicht zwischen den Generationen, sondern geht quer durch alle Altersschichten. Generationenkampf ist Krampf. Es gibt vernünftige Alte und vernünftige Junge und Vernünftige dazwischen. Und die müssen sich unterhaken, damit einfältige Verehrer und Verachter keine Chance haben.

Weitere Informationen über die BAGSO

Franz Müntefering ist Vorsitzender der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen.
Bildnachweis: BAGSO/Rieger