Porträt
Kommentar

Lohnende Patientenakte

Mit Vehemenz hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Regelungen zur Patientenakte durchgedrückt. Die neuen Möglichkeiten bieten große Chancen, findet Rainer Woratschka.

Es funktionierte, wie so oft hierzulande,

nur mit Druck. Am Ende war das kollektive Aufatmen aber unüberhörbar: Ab 2021 müssen alle gesetzlichen Kassen ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte anbieten. Endlich kommt das von den Systemakteuren so lange sabotierte Milliardenprojekt der elektronischen Gesundheitskarte auf nutzbringende Beine. Endlich schließt Deutschland wieder ein wenig zu fortschrittlicheren EU-Staaten auf. Und offenbar hat es dafür einen Minister gebraucht, der auch Rambo kann.

Ein Kraftakt, bei dem Schönheitsfehler hinzunehmen sind. Das Projekt startet als „work in progress“. Es funktioniert erst mal nur nach einem „Alles-Oder-Nichts-Prinzip“, für die Behandler gibt es entweder Einsicht in die komplette Patientenbiografie oder gar keine digitalen Daten. Sie werden es künftig mit zwei Sorten Patient zu tun haben: denen, die ihnen das Befüllen und Nutzen der Akte erlauben, und denen, die sich verweigern. Das Recht auf eigenständige Datenlöschung, das jedem gewährt werden muss, kann die digitale Information lückenhaft und so zur zusätzlichen Fehlerquelle machen. Und wie ein Damoklesschwert hängt über allem die Sorge um die Sicherheit der hochsensiblen Daten – insbesondere bei der erwünschten Smartphone-Nutzung.

Vertrauen in die neue Digitalwelt nicht verspielen.

Vergessen wird bei solcher Argumentation aber gerne, dass es in der analogen Welt ebenfalls maulfaule und auskunftsfreudige Patienten gibt. Die Behandler müssen seit jeher mit fehlenden, lückenhaften oder falschen Angaben klarkommen. Von der Datenunsicherheit durch verlorengehende Post, nicht weitergereichte Faxe oder herumfliegende Dateikarten nicht zu reden.

Allein die neuen Ablage-Möglichkeiten für Untersuchungsergebnisse, Röntgenbilder, Arzneiunverträglichkeiten bedeuten für Patienten wie Ärzte einen Quantensprung. Dazu kommen bisher nicht gekannte Möglichkeiten medizinischer Vernetzung. Und enorme Perspektiven für die Forschung durch (anonymisierten) Datenfluss über Ländergrenzen hinweg. Von all dem können zahllose Kranke und Noch-Gesunde profitieren. Wenn sie denn wollen. Und wenn es Politik und Gesundheitsakteure schaffen, Vertrauen in die neue Digitalwelt zu wecken – und nicht durch Nachlässigkeiten bei Datenschutz und Transparenz wieder zu verspielen.

Rainer Woratschka ist gesundheitspolitischer Redakteur beim „Tagesspiegel“ aus Berlin.
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