Interview

„Männer zum Sprechen bringen“

Zwischen Pubertät und spätem Erwachsenenalter klafft für Männer eine Lücke in der Prävention, sagt Dr. Heribert Schorn. Der Urologe plädiert dafür, sie mit Angeboten wie einer Jungensprechstunde an die gesundheitliche Vorsorge heranzuführen.

Herr Dr. Schorn, Männer sind als Vorsorgemuffel bekannt und werden gleichzeitig als Heulsusen verschrien, wenn sie eine Erkältung haben.

Heribert Schorn: Das ist kein Gegensatz. Aktuelle Studien belegen, dass Männer Schmerzen stärker empfinden können. Allerdings werden sie auch jetzt noch nach dem Motto erzogen, dass ein Indianer keinen Schmerz kennt. Jammern ist verpönt. Die Folge ist, dass Männer erst drei Jahre nach dem Auftreten erster Beschwerden zum Arzt gehen, Frauen hingegen nach zwei bis drei Wochen, wie im ersten deutschen Männergesundheitsbericht von 2010 nachzulesen ist.

Portrait Heribert Schorn

Zur Person

Dr. med. Heribert Schorn arbeitet als niedergelassener Urologe und Androloge in Göttingen.

Was führt dazu, dass Männer sich von Gesundheitsangeboten nicht angesprochen fühlen?

Schorn: Ein Grund dafür ist, dass für Männer, im Gegensatz zu den Frauen, in dem wichtigen Zeitraum zwischen der Pubertät und dem späten Erwachsenenalter eine große Lücke in der Prävention klafft. Die letzte Untersuchung im Jugendlichenalter ist die J2 für 15-Jährige. Die Musterung als verbindlicher Gesundheitscheck ist ersatzlos ausgefallen. Der nächste Gesundheits-Check-Up wird dann erst mit 35 Jahren bezahlt, Krebsvorsorge erst mit 45 – und zwar zunächst noch ohne Stuhlprobe.

Das Gesundheitssystem lässt Männer also allein?

Schorn: Jedenfalls werden innerhalb des Systems Männer nicht an die Vorsorge herangeführt. Kein Wunder, dass dann, wenn sie über 20 Jahre nicht bei einem Arzt waren, nur sehr wenige die gesetzliche Vorsorge in Anspruch nehmen. Frauen werden von der Pubertät an ärztlich begleitet, Männer nicht.

Haben Männer andere Ansprüche an die Behandlung als Frauen?

Schorn: Grundsätzlich wollen Männer und Frauen einen Arzt, der sich Zeit nimmt, der sie mit ihren Sorgen ernst nimmt und sie begleitet. Aber Männer haben immer noch diese Vorstellung von der Medizin als Reparaturbetrieb.

Männer haben immer noch die Vorstellung von der Medizin als Reparaturbetrieb.

Ich bin krank oder verletzt, also, lieber Doktor, mach etwas, damit ich wieder richtig funktioniere. Wenn ein Mann eine Diagnose bekommt und deshalb ins Krankenhaus muss, ist die erste Reaktion oft: Das passt jetzt nicht, habe zu viel zu tun. Er weicht aus, will seine Krankheit und ihre Tragweite nicht wahrhaben. Da reagieren Frauen völlig anders.

Wie wollen Männer vom Arzt angesprochen werden?

Schorn: Zunächst müssen sie überhaupt in die Praxis kommen. Dazu braucht es niedrigschwellige, altersangemessene Angebote. Für wesentlich halte ich eine Jungensprechstunde in der Praxis. Darauf könnten Veranstaltungen in Schulen oder Jugendhäusern hinweisen. Für Erwachsene sind Vorträge mit anschließender Fragestunde interessant. Das Wichtigste ist Zeit. Denn es geht darum, den Mann zum Sprechen zu bringen, über Themen und Beschwerden, die ihn bewegen. Es muss ihm möglich sein, auch von seinen Erektionsstörungen zu berichten. Die sind ein wichtiger Hinweis auf Herzerkrankungen. Wenn der Arzt ihm den Rücken zuwendet, seinen Bildschirm anschaut und die Worte des Patienten in den Computer tippt, kommt der Mann nicht wieder. Die Ansprache sollte auf Augenhöhe erfolgen und mit Augenmaß, verständlich, verbindlich und empathisch. Das steht jedoch in der urologischen Ausbildung nicht auf dem Lehrplan und muss in Eigeninitiative durch Fortbildungen erworben werden.

Ralf Ruhl stellte die Fragen. Er ist freier Journalist mit Schwerpunkt auf Männer- und Familienthemen.
Bildnachweis: privat