Psyche

Wenn Trauer nicht endet

Trauer ist eine normale Reaktion auf den Tod einer geliebten Person, auch wenn sie überwältigend sein kann. Bei einem Teil der Betroffenen bestimmt der Verlust jedoch auch nach Monaten oder Jahren noch so stark das Leben, dass der Alltag kaum zu bewältigen ist. Verschiedene Therapien können bei einer „Anhaltenden Trauerstörung“ helfen. Von Thorsten Severin

Früher oder später erwischt es jeden: Ein nahestehender Mensch stirbt, unsere Welt gerät aus den Fugen, nichts ist mehr so wie vorher. Wir fragen uns, wie es ohne die Person weitergehen soll. „Trauer ist Teil des Lebens, sozusagen die Kehrseite davon, dass wir lieben können“, bringt es Professor Lukas Radbruch, Direktor der Klinik für Palliativmedizin am Bonner Universitätsklinikum, auf den Punkt. Wenn Menschen enge Bindungen zu anderen eingingen, dann tue es weh, wenn diese Beziehung plötzlich durch Tod beendet werde. Die Trauer diene unter anderem dazu, sich an die unwiderruflich veränderte Lebenssituation anzupassen.

Trauer wird von vielen Gefühlen begleitet – die Palette reicht von Traurigkeit über Wut bis hin zu Scham- und Schuldgefühlen. Auch Störungen des psychischen Wohlbefindens wie Konzentrations- und Schlafstörungen oder körperliche Beschwerden wie Müdigkeit, Übelkeit, Appetitlosigkeit oder sogar Schmerzen sind möglich.

Kein Endpunkt für Trauer.

Wie lange Trauer dauert, dazu gibt es keine Regeln, wie Radbruch betont. Durchaus berechtigt gebe es die Idee des „Trauerjahres“, in dem die hinterbliebene Person das erste Mal ohne den vertrauten Menschen durch die großen Ereignisse kommen muss, sei es Weihnachten, Geburtstag oder die Urlaubszeit. „Das tut besonders weh“, so Radbruch. Trauer könne aber insgesamt sehr lange bestehen bleiben, oft lebenslang. „Sie kann sich verändern, und es tut nicht mehr so weh, aber die Beziehung zu der Person, die nicht mehr da ist, bleibt doch bestehen“, erläutert der Wissenschaftler.

Trauer sei „etwas Hochindividuelles“, betont auch Dr. Hannah Comteße, die an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ein Forschungsprojekt koordiniert. „Da kann man nicht sagen, das Gefühl ist nach so und so vielen Monaten weg.“ Trauer könne Menschen für immer begleiten und es gebe an speziellen Daten wie Geburtstag, Mutter- oder Hochzeitstag sogenannte „Trauerspitzen“. Aus der Länge der akuten Trauerphase ließen sich auf keinen Fall Rückschlüsse auf den Grad der Zuneigung oder das Maß an Liebe zu der verstorbenen Person ziehen.

Trauer verläuft in Phasen.

Um den Verlauf von Trauer zu beschreiben, existieren in der Wissenschaft verschiedene Phasenmodelle. „Sie zeigen die häufigsten Reaktionsweisen und deren Normalität angesichts von Tod und Sterben“, erläutert Palliativmediziner Radbruch. „Sie sind jedoch keine Stufen, die man nach und nach erklimmt.“ Die Phasen liefen vielmehr in unterschiedlicher Reihenfolge ab. Die Schweizer Psychologin Verena Kast benennt beispielsweise vier Trauerphasen: das Nicht-Wahrhaben-Wollen, aufbrechende Emotionen, das Suchen und Sich-Trennen und den neuen Selbst- und Weltbezug.

Menschen mit Trauerstörung können den Tod nicht akzeptieren.

Gemeinsam sei aktuellen Modellen, dass nicht mehr unbedingt von aufeinanderfolgenden Phasen gesprochen werde, sondern die Wichtigkeit des fortwährenden Wechsels zwischen Verlust- und Zukunftsorientierung betont werde, erläutert Comteße. Zum einen sei da die Trauerarbeit an sich, wozu das Spüren des Verlusts, Verbitterung, Traurigkeit und das Schwelgen in Erinnerungen gehörten. Auf der anderen Seite müssten sich die Menschen an eine neue Realität anpassen, „denn das eigene Leben geht weiter“. Am Ende gelingt es Menschen in der Regel, sich mit der Situation zu arrangieren. Die Beziehung zur verstorbenen Person wird auf eine neue Basis gestellt.

Unglaubliche Sehnsucht.

Bei vielen Menschen tritt eine solche Besserung der psychischen Verfassung jedoch auch lange Zeit nach dem Verlust nicht ein. Den Betroffenen gelingt es nicht, sich in die neue Rolle einzufinden. Experten sprechen dann von einer „Anhaltenden Trauerstörung“ (ATS). Etwa vier Prozent aller Menschen, die einen Verlust erleben, leiden unter diesem Beschwerdebild, wie eine Untersuchung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit mehr als 2.000 Personen zeigt.

„Das ist sehr häufig für eine psychische Störung“, sagt Comteße. Gekennzeichnet sei der quälende Zustand durch eine „unglaubliche Sehnsucht“ und ein „Verlangen nach der verstorbenen Person“. Die Gedanken kreisten ständig um den verlorenen Menschen. „Bestimmte Zimmer bleiben etwa unangetastet, ständig werden Fotoalben durchgeschaut oder mehrfach am Tag wird ein Besuch am Grab unternommen, um sich der toten Person nah zu fühlen. Oder über sie wird so berichtet, als wenn sie noch da wäre“, so Comteße. Die Betroffenen schaffen es einfach nicht, den Tod zu akzeptieren; sie sind verbittert oder gar wütend. Viele vermeiden Dinge und Orte, die an den Verlust erinnern, etwa Krankenhäuser. Nicht selten treten Schuldgefühle oder Selbstvorwürfe auf. „Viele ziehen sich zurück, Beziehungen zu Freunden, Bekannten oder Kollegen werden abgebrochen.“ Der Alltag ist meist nicht zu bewältigen und die Trauerenden schaffen ihren Job nicht mehr. Unter Umständen verlieren sie sogar ihren Arbeitsplatz.

Im Rahmen der PROGRID-Studie, bei der mehrere Behandlungsmethoden bei „Prolonged Grief Disorder“ ausprobiert wurden, wurden Comteße und ihr Team mit vielen schweren Fällen konfrontiert. Da war etwa Frau A., 54 Jahre, die um ihren drei Jahre zuvor an Krebs verstorbenen Ehemann trauerte. Das Paar war 30 Jahre verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Der Mann erlag seinem Leiden etwa ein halbes Jahr nach Feststellung der Krankheit. In der Zeit zwischen Diagnose und Tod konzentrierte sich das Paar auf die Behandlung und probierte auch alternative Methoden aus. Die vorsichtigen Andeutungen des Arztes, dass es sich um einen sehr aggressiven Krebs handele, nahmen sie und ihr Mann nicht wahr. In den letzten beiden Wochen vor seinem Tod verbrachte Frau A. Tag und Nacht im Krankenhaus an der Seite ihres Mannes. Nach einer kurzen Besserung ging sie eines Abends müde nach Hause und schlief zum ersten Mal seit Wochen die ganze Nacht. Als sie am Morgen in die Klinik kam, war ihr Mann verstorben.
 
Frau A. wird mit dem Verlust nicht fertig, beschäftigt sich Tag und Nacht in Gedanken mit ihrem Mann. Von anderen kapselt sie sich ab. Auch kommt es oft zu Konflikten mit ihren Kindern. Diese sind es schließlich, die ihre Mutter zu einer Therapie drängen. Frau A. steht einer Behandlung zunächst sehr ambivalent gegenüber, denn sie sei ja „nicht verrückt, sondern traurig“. Schon beim Erstgespräch holt sie ein Foto­album hervor und zeigt weinend Bilder ihres Mannes und des gemeinsamen Lebens. Im Gespräch erkennt sie, dass ihr Befinden eher der ATS als der normalen Trauer ähnelt. Doch hat sie Sorge, dass sich in der Therapie die innere Nähe zu ihrem Mann verflüchtigt. Andererseits ist ihr bewusst, dass sie sich sozial isoliert hat und die Meinungsverschiedenheiten mit ihren Kindern nicht so weitergehen können. Sie erkennt, dass sie seit dem Tod ihres Mannes nicht mehr aus vollem Herzen gelacht hat.

Selbstzweifel und Wut.

Nach langem Abwägen entscheidet sie sich schließlich zur Therapie. Dabei wird deutlich: Frau A. glaubt, dass sie mit Schuld am Tod ihres sehr lebenslustigen Mannes ist, weil sie nicht verhindert hatte, dass er rauchte und übergewichtig war. Sie schaffte es auch nicht, ihn zu Arztbesuchen zu überreden. Weiterhin war sie bei seinem Tod nicht anwesend – für sie ein Hinweis, dass sie eine schlechte Partnerin war. Außerdem ist sie extrem wütend auf das Krankenhaus, das sie in der Nacht nicht benachrichtigt hatte und ist sich sicher, dass die Klinik die Hauptschuld am Tod ihres Mannes trägt.

Wenn man bei Trauer psychotherapeutisch zu früh eingreift, kann das den Trauerprozess verlängern.

Im Rahmen der Therapie erkennt Frau A., dass sie ausreichend oft versucht hatte, ihren Ehepartner von einem besseren Ge­sund­heitsverhalten zu überzeugen, aber er dies stets abgelehnt hat. „Auch ihre anderen dysfunktionalen Gedanken und Verhaltensweisen konnten bearbeitet werden“, erläutert Comteße. „In einer hochemotionalen gestalttherapeutischen Arbeit konnte die Patientin einen guten Abschied von ihrem Mann finden und war am Ende deutlich ruhiger und optimistischer.“

Unterschied zur Depression.

Lange Zeit wurde in der Medizin angenommen, bei der Anhaltenden Trauerstörung handele es sich um eine Depression. Tatsächlich aber unterschieden sich beide Leiden deutlich, auch wenn die Grenzen teilweise fließend seien und eine genaue Diagnostik voraussetzten, wie Comteße betont. Identisch sei etwa das Symptom, „keinerlei Freude“ mehr zu empfinden oder „wie betäubt“ zu sein. Die für eine Depression charakteristischen Symptome wie Schlafstörungen, Energieverlust oder gar Selbstmordgedanken seien aber eher untypisch für eine Trauerstörung. „Bei der anhaltenden Trauer bezieht sich alles auf die Person, die nicht mehr da ist, sowie auf die Todesumstände.“ Typisch für die Prolonged Grief Disorder sei zudem, dass Psychopharmaka nicht helfen.
 
Langanhaltende Trauer und Depressionen können allerdings durchaus gleichzeitig vorkommen. Bei Menschen mit einer vorherigen depressiven Erkrankung etwa könne die Trauer wie ein Trigger wirken und die Beschwerden verschlimmern. „Eine Vorbelastung mit psychischen Beschwerden erhöht immer das Risiko von Folgebeschwerden“, so Comteße.

Störung im ICD-Katalog.

Die Anhaltende Trauerstörung hat es inzwischen in die elfte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) geschafft, die weltweit zur Verschlüsselung von Diagnosen dient. Enthalten sind dort rund 55.000 Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen. Die ICD-11 ist am 1. Januar 2022 in Kraft getreten. Allerdings: Bis im deutschen Gesundheitswesen nach der neuen Klassifikation kodiert und abgerechnet wird, dauert es noch mehrere Jahre.
 
Für eine Diagnosestellung nach dem neuen Standard gilt, dass die Trauerreaktion „über einen atypisch langen Zeitraum“ von mindestens sechs Monaten anhalten muss. Dieser Zeitrahmen gilt auch als Bedingung für die Therapie an der KU Eichstätt-Ingolstadt. „Wenn man bei Trauer psychotherapeutisch zu früh eingreift, kann dies genau das Gegenteil bewirken und den Trauerprozess sogar verlängern“, schildert Dr. Anna Vogel, die stellvertretende Leiterin der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz Ingolstadt.

Bis zur Therapie dauert es oft lang.

Doch häufig vergeht ohnehin viel Zeit, bis Betroffene erkennen, dass ihr Trauerprozess ein Stück weit aus dem Ruder gelaufen ist. Patient G. etwa hatte schon zwei Jahre zuvor seine Frau Carmen (Name geändert) verloren, als er sich auf Empfehlung seines Hausarztes bei Vogel und ihrem Team in Therapie begab. Die Ehefrau war nur kurze Zeit nach der Diagnose eines Hirntumors gestorben. In der Diagnostik schildert der 56-Jährige die Sehnsucht nach seiner Frau als „allumfassend“. Die meiste Zeit des Tages beschäftigt er sich in Gedanken mit dem Verlust. Neben tiefer Traurigkeit und Einsamkeit stellt er sich immer wieder die Frage, ob er weiterhin ein Ehemann ist und welche Rolle er überhaupt noch im Leben einnimmt.

Etwa vier Prozent der Hinterbliebenen leiden unter einer Trauerstörung.

Sein jetziges Leben fühlt sich für ihn nach eigener Aussage wie ein Stillstand an: kein Sport, keine Hobbys, keine sozialen Kontakte mehr. Alles kommt ihm „leer“ und „unwichtig“ vor. Außerdem hat er wegen seiner ständigen Abwesenheit eine Abmahnung von seinem Arbeitgeber erhalten. Sein Arzt hat stark erhöhte Cholesterinwerte und einen hohen Blutdruck festgestellt.

Gedenk-Rituale finden.

G. erkennt in den ersten Gesprächen, dass die Beschwerden Teil einer ATS sind. Er versteht bald, dass er die Beziehung zu Carmen neu ordnen muss, um aus der Vergangenheit ins Leben zurückzukehren. „Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem schlimmsten Moment konnte er sich den schmerzhaften Gefühlen stellen, die er bisher vermieden hatte“, schildert Vogel. Es sei deutlich geworden, dass G. sich Vorwürfe machte, weil er nicht ausreichend Zeit hatte, um sich von seiner Frau zu verabschieden. Als ihm jedoch klar wurde, dass seine Frau durch den schnellen Tod nicht lange leiden musste, sei das sehr tröstlich für ihn gewesen. In der Schlussphase der Therapie plant Herr G. ein Ritual, um seiner Frau zu gedenken, sowie neue Aktivitäten für sein Leben. Etwa will er einem Verein beitreten und sich wieder mit seinem besten Freund treffen.

Todesumstände spielen starke Rolle.

Die Umstände des Todes spielen beim Umgang mit dem Verlust eine entscheidende Rolle. Dazu gehört etwa, wenn Menschen sich wie Herr G. nicht ausreichend oder sogar überhaupt nicht verabschieden konnten, etwa nach einem Unfall. In der Corona-Pandemie kam dies aufgrund von Schutzvorschriften in den Krankenhäusern häufig vor. „Betroffene schildern uns, wie belastend es für sie war, sich nicht von Sterbenden verabschieden oder eine Beerdigung nur im engsten Kreis abhalten zu können“, so Therapeutin Vogel. Hinzu komme, dass viele Hilfsange­bote für Trauernde eine Zeit lang pandemiebedingt nicht möglich gewesen seien.

Besonders häufig tritt eine Anhaltende Trauerstörung bei plötzlichen sowie gewaltsamen oder sehr traumatischen Todesumständen auf. „Wir finden auch häufig eine Anhaltende Trauerstörung bei Eltern, die ihr Kind verloren haben“, berichtet Comteße. Die Störung sei eben nicht auf alte Menschen, die viele Jahrzehnte ihres Lebens miteinander verbracht haben, begrenzt. Gerade auch Jugendliche sind gefährdet, da sie in einer ohnehin schon herausfordernden Zeit ihres Lebens Gefühle oft besonders intensiv erlebten.

Eine gewichtige Rolle für das Auftreten einer Anhaltenden Trauerstörung spielt laut Comteße das soziale Umfeld. „Einsamkeit oder mangelnde Unterstützung durch Familie und Freunde wirken sich negativ auf den Trauerprozess aus und verkomplizieren ihn.“

Zwei Behandlungsstränge.

Unterschieden wird bei der Trauer zwischen emotionalen Verlusten und sogenannten sekundären Verlusten. Bei letzteren geht es eher um praktische Dinge, die der Hinterbliebene vermisst, weil sich die verstorbene Person zu Lebzeiten etwa um die Finanzen, das Essen oder handwerkliche Aufgaben gekümmert hat. Für beide Formen geht es dann darum, eine Lösung zu finden.

Menschen mit einer anhaltenden Trauerstörung kreisen in Gedanken ständig um den Toten und isolieren sich.

Im Rahmen der PROGRID-Studie an der Katholischen Universität Eichstätt wurden an den Standorten Frankfurt, Ingolstadt, München, Leipzig und Marburg von 2017 bis Herbst 2022 zwei Psychotherapien zur Behandlung der Prolonged Grief Disorder ausprobiert, die sich in ihren Schwerpunkten unterscheiden. „Beide beruhen auf Verfahren, die sich bei verschiedenen Problemen bereits als sehr wirksam erwiesen haben“, so Comteße. Die Anwendung bei Trauernden sei jedoch überwiegend neu.

Einen Therapieansatz bildete die „Integrative Kognitive Verhaltenstherapie“, wie sie etwa von der Eichstätter Psychologie-Professorin Rita Rosner beschrieben wurde. Die Behandlungsform legt den Fokus auf die Trauer selbst. „Dabei geht es unter anderem darum, sich mit Erinnerungen an den Verlust und an die verstorbene Person zu konfrontieren“, erläutert Comteße. Die Patienten sollten lernen, dass sie die schmerzhaften Gefühle aushalten können und diese mit der Zeit abnehmen. Gleichzeitig werde geschaut, wie das Leben in der Zukunft ohne die verstorbene Person aussehen kann. Auch Schuldgefühle und Vermeidungsverhalten würden angegangen.

Bei einer anderen Gruppe von Patientinnen und Patienten kam die „Present-Centered Therapy“ zum Einsatz. „Bei dieser Behandlung geht es darum, nicht so sehr auf den Verlust oder die Todesumstände zurückzuschauen, sondern konkret die Alltagsprobleme anzugehen, die aufgrund der Trauerbeschwerden bestehen“, so Comteße – zum Beispiel, wenn es einer Person keinen Spaß mehr macht, sich mit anderen zu treffen.

Das inzwischen ausgelaufene Therapieangebot richtete sich an Menschen ab 18, die seit mindestens einem halben Jahr nach einem Todesfall körperliche oder seelische Beschwerden oder Schwierigkeiten hatten, mit alltäglichen Aufgaben und Aktivitäten umzugehen. Bei einer Voruntersuchung wurde geklärt, ob es sich eventuell doch um eine Depression oder ein anderes Beschwerdebild handeln könnte. Die Therapeutinnen und Therapeuten wurden extra für die Behandlungen geschult. Die Kosten für die rund 20 wöchentlichen Sitzungen übernahmen die Krankenkassen und das Gesamtprojekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Leitlinien sind geplant.

Ende des Jahres wird die Auswertung der klinischen Studie erwartet. Dann soll sichtbar werden, welche Therapie wann und bei welcher Patientengruppe Vorteile bietet. Aus Vorstudien wissen Koordinatorin Hannah Comteße und ihr Team bereits, dass beide Behandlungsformen wirksam zu sein scheinen. Daher warten sie mit Spannung auf die Ergebnisse, zumal es im deutschsprachigen Raum vorher keine eigenständige Behandlung gab. Von den Erkenntnissen aus der Studie sollen schon bald andere Psychotherapeuten lernen, die mit dem Störungsbild noch nicht so vertraut sind. Die Eichstätter Wissenschaftler können sich vorstellen, Kolleginnen und Kollegen bundesweit in Form von Vorträgen und Weiterbildungen zu schulen. Zudem ist es ein erklärtes Ziel, mithilfe der Ergebnisse in den nächsten Jahren Behandlungsleitlinien zur ATS zu entwickeln.

Soziales Umfeld für Trauernde wichtig.

Experte Radbruch verweist allerdings darauf, dass nicht jeder über sechs Monate hinausgehende Trauerprozess als Störung zu betrachten ist. Wenn nach vielen Monaten der Zustand immer noch sehr ausgeprägt sei, die trauernde Person nicht mehr aus dem Haus gehen oder sich wichtigen Lebensbereichen wie Familie und Beruf widmen könne, sei jedoch professionelle Unterstützung nötig. Hilfe finden Betroffene bei Psychotherapeuten, am besten mit einer entsprechenden Spezialisierung. Manchmal lässt sich allerdings erst beim Erstgespräch klären, ob der Therapeut sich bei diesem Beschwerdebild für kompetent hält.

Doch auch eine „normale“ Trauer ist zweifelsohne schmerzhaft. Um mit der Situation fertig zu werden, sei vor allem das Umfeld gefragt, berichtet Radbruch. „Trauernde brauchen in erster Linie Familie, Freunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen, die sich kümmern – die unaufgefordert kommen, die mal Essen vorbeibringen oder die den Trauernden einfach mal auf einen Ausflug mitnehmen.“ Es gehe jeden an, wenn in der Umgebung jemand einen Verlust erlitten habe.

Hilfreicher Umgang mit Trauer.

Betroffene könnten sich an ambulante Hospizgruppen wenden, die fast alle individuell oder in Gruppen eine Trauerbegleitung anböten – beispielsweise in Form von „Trauer-Cafés“ oder „Trauerwanderungen“, so Radbruch. Zudem gebe es Trauerbegleiter, die über den Bundesverband Trauerbegleitung gefunden werden könnten. Auch Selbsthilfegruppen gibt es in vielen Kommunen.

Experten wie Professor Radbruch empfehlen als hilfreichen Umgang mit einem Verlust, die Trauer zuzulassen. Befreiend kann es zudem sein, über den Schmerz und die Gefühle zu sprechen oder Gedanken niederzuschreiben. Durchaus legitim ist es, sich Ablenkung zu suchen und sich so eine Pause vom Trauern zu gönnen, etwa durch Sport, Spazierengehen oder die Zubereitung eines schönen Essens. Ein Austausch mit anderen Trauernden tut ebenfalls gut, etwa in Gesprächskreisen. Und nicht zuletzt sollten sich Trauernde Zeit geben und nicht von sich erwarten, sofort wieder funktionsfähig zu sein, unterstreicht der Mediziner.

Thorsten Severin ist Redakteur der G+G.
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