Nützlich oder nicht? Die Qualität von Gesundheits-Apps gehört auf den Prüfstand.
Digitalisierung

Raus aus der Warteschleife

Mehr Speed bei der Telematik: Der neue Chef der gematik hat eine 180-Grad-Wende angekündigt. Beim gevko-Symposium in Berlin erläuterte Markus Leyck Dieken, wie er den Aufbau der Telematik-Infrastruktur vorantreiben will. Von Thomas Rottschäfer

Nach lähmenden Jahren

standespolitischer Grabenkämpfe setzt die gematik GmbH auf einen Neustart. Im Juni hat der Mediziner und Ex-Pharmamanager Dr. Markus Leyck Dieken die Geschäftsführung übernommen und wirft das Ruder kräftig herum. Die bisherige Tätigkeitsbeschränkung auf die „Telematikanwendungen der Gesundheitskarte“ hat er bereits aus dem Gesellschaftsnamen getilgt. Die gematik soll die Digitalisierung des Gesundheitswesens als Schrittmacher vorantreiben. Das machte Leyck Dieken beim Jahressymposium 2019 des AOK-Tochterunternehmens gevko und der Gesellschaft für Politik und Recht im Gesundheitswesen in Berlin deutlich.

Zupass kommt ihm, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seinem Wunschkandidaten an der gematik-Spitze durch die neuen 51 Prozent Ministeriumsmehrheit in der Gesellschafterversammlung ausreichend Beinfreiheit verschafft hat. Mit Blick auf Spahns Frist zur Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) für alle Versicherten machte Leyck Dieken deutlich: „Wir werden zum 1. Januar 2021 liefern.“ Zugleich warnte er aber die Politik vor der Vorstellung, die Softwareentwicklung ließe sich über die Gesetzgebung bis hinunter zur letzten Schublade in der ePA planen und vorgeben.

Drei Projekte im Fokus.

Um verlorene Zeit aufzuholen, will sich die gematik auf drei „Schaufensterprojekte“ konzentrieren. Dazu gehört neben den ePA-Vorgaben das elektronische Rezept und die Kommunikation mit Leistungserbringern, insbesondere mit den niedergelassenen Ärzten. Dazu soll im ersten Quartal 2020 ein Feldtest im Bereich Nordrhein starten. Die gematik habe bisher nicht genug getan, um Ärzten nahezubringen, was mit dem Aufbau der Telematik-Infrastruktur komme und warum das gut sei. Daher müsse man sich jetzt auf die Umsetzung arztrelevanter Module konzentrieren. Die Voraussetzungen für ein bundesweites eRezept will Leyck Dieken bis Ende Juni 2020 definieren. Auch hier gelte es, die deutsche Entwicklung innerhalb der EU abzustimmen.

Nutzen digitaler Angebote prüfen.

Beim gevko-Symposium ging es auch um die im Digitale-Versorgung-Gesetz vorgesehene Einführung von Gesundheits-Apps auf Rezept. Der AOK-Bundesverband begrüßt die Zielrichtung, bemängelt aber ein erhebliches Kostenrisiko. Denn laut Gesetzentwurf dürfen die Hersteller wie im Bereich neuer Medikamente im ersten Jahr der Zulassung den Preis für ihr Produkt frei festlegen. Der Vorstandschef der AOK NordWest, Tom Ackermann, machte deutlich, dass man für digitale Gesundheitsanwendungen andere Formen der Nutzenbewertung und Preisfestsetzung finden müsse: „Apps und weitere digitale Anwendungen haben einen viel kürzeren Entwicklungs- und Produktzyklus als etwa Arzneimittel. Start-ups sind auf Prozesse, wie wir sie im Arzneimittelbereich haben, nicht vorbereitet.“

Bei der Nutzenbewertung plädierte der AOK-Vorstand für eine Klassifizierung, wie sie das britische NICE-Institut empfehle: Danach könnten Hilfsmitteln ähnliche Anwendungen und Apps zur Patientenschulung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassen werden. Für Anwendungen einer hohen Risikoklasse, bei denen es beispielsweise um Therapieempfehlungen gehe, müsse dagegen durch kontrollierte Studien ein positives Nutzen-Schadensverhältnis nachgewiesen werden. Deshalb sei für die Aufnahme in die GKV-Regelversorgung wie bei allen neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss unabdingbar.

Digitale Krankschreibung im Test.

Wie in den Vorjahren bot die gevko beim Jahressymposium einen Blick in ihre Projektwerkstatt. Das Unternehmen hat unter anderem die Softwarelösung für die elektronische Übermittlung von Krankmeldungen entwickelt. Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird bereits von vielen AOKs in der Praxis getestet.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
Bildnachweis: iStock/alvarez