Erste Hilfe

Debatte: Wiederbelebung geht alle an

Beim Herzstillstand könnten Laien mit einer Herzdruckmassage die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte überbrücken. Doch in Deutschland wissen zu wenige, wie das geht, meinen Univ.-Prof. Dr. Bernd W. Böttiger und Dr. Sabine Wingen. Sie plädieren für Reanimationstrainings an Schulen.

Jährlich erleiden

in Deutschland mehr als 70.000 Menschen außerhalb eines Krankenhauses einen plötzlichen Herzstillstand. Nur jeder zehnte überlebt. Bei einem plötzlichen Herzstillstand kommt es innerhalb von drei bis fünf Minuten zu irreversiblen Schäden im Gehirn. Der Rettungsdienst benötigt durchschnittlich acht bis zehn Minuten, in ländlichen Gebieten oft länger. Er kommt für Patienten mit Herzstillstand somit meist zu spät. In mehr als der Hälfte der Fälle sind die Patienten allerdings nicht allein. In der Nähe anwesende Menschen könnten die Zeit bis zum Eintreffen des professionellen Rettungsteams überbrücken. Eine gut ausgeführte Laienreanimation in Form der Herzdruckmassage versorgt das Gehirn weiter mit Sauerstoff. Studien zeigen, dass hierdurch die Überlebenswahrscheinlichkeit um das Zwei- bis Dreifache erhöht wird. In Deutschland beginnt aber nur bei jedem dritten Herzstillstand ein Laienhelfer mit der Wiederbelebung, bevor der Notarzt eintrifft. In anderen Ländern sind es 70 bis 80 Prozent der Fälle.

Ausgebildete Schüler werden zu Multiplikatoren.

Initiativen und Aufklärungskampagnen haben die Bereitschaft zur Laienreanimation in Deutschland seit 2012 von unter 20 Prozent auf jetzt etwa 40 Prozent gesteigert. Bis Ende des Jahres 2020 soll die Laienreanimationsquote auf über 50 Prozent erhöht werden. Damit ließen sich jedes Jahr 10.000 Menschenleben zusätzlich retten. Ein zentrales Projekt ist die Schülerausbildung. Der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz hat 2014 unter anderem auf Initiative des Deutschen Rates für Wiederbelebung (GRC) empfohlen, das Wiederbelebungstraining in allen Schulen ab Klasse 7 mit zwei Unterrichtsstunden pro Jahr einzuführen. Dafür hat der GRC sowohl ein Unterrichtskonzept wie auch einen Ausbildungskurs für Lehrkräfte entwickelt.

Kinder können die Trainingsanweisungen besser verinnerlichen als Erwachsene.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt dieses Projekt und empfiehlt zwei Stunden jährliches Wiederbelebungstraining ab dem zwölften Lebensjahr. Kinder in diesem Alter können entsprechende Trainingsanweisungen besser umsetzen und verinnerlichen als Erwachsene. Ähnlich wie Schwimmen oder Radfahren vergessen sie auch die Wiederbelebung nicht und können in der Familie und unter Freunden als Multiplikatoren dienen. Während in anderen europäischen Ländern die Schülerausbildung in Wiederbelebung gesetzlich verankert ist, fehlt es in Deutschland noch an der entsprechenden Verpflichtung für Schulen bundesweit.

Anleitung per Telefon.

Auch technische Lösungen können die Laienreanimation ausweiten. Seit einigen Jahren lassen sich registrierte Ersthelfer über eine Smartphone-App orten und alarmieren. Der GRC engagiert sich in der Etablierung dieser Systeme. Ein weiteres wichtiges Projekt ist die Telefonreanimation. Dabei leitet der Leitstellendisponent den Anrufer gezielt zur Herzdruckmassage an, während der Notarzt bereits auf dem Weg ist. Obwohl sich die Telefonreanimation bewährt hat, ist sie noch nicht bundesweit sichergestellt. Eine gesetzliche Verankerung der Telefonreanimation – in vielen anderen Ländern seit Jahren Pflicht – könnte wesentlich dazu beitragen, dass mehr Menschen den plötzlichen Herzstillstand überleben. Die Politik sollte die Rahmenbedingungen schaffen, damit der Erfolg der Projekte nicht nur vom Engagement einzelner Menschen, Organisationen und Fachgesellschaften abhängt, sondern nachhaltig sichergestellt wird. Ein wichtiger Ansatz ist in diesem Zusammenhang das gemeinsam mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und dem Bundesgesundheitsministerium ins Leben gerufene Nationale Aktionsbündnis Wiederbelebung (NAWIB), das sich die gesundheitspolitische Arbeit im Bereich der Laienreanimation zum Ziel gesetzt hat.

Training beugt psychischer Belastung vor.

Studien belegen, dass Patienten mit Laienreanimation weniger Schäden zurückbehalten, schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden und häufiger wieder arbeitsfähig sind. Die Steigerung der Laienreanimationsquote ist deshalb auch für Kostenträger interessant. Dennoch scheitern Bemühungen, das Reanimationstraining im Rahmen von Präventionsprogrammen zu finanzieren, häufig am Bundesversicherungsamt und einschlägigen Vorgaben. Doch die in Notfallsituationen erlebte Hilflosigkeit belastet die Psyche. Die Teilnahme an einem Reanimationstraining kann eine solche Belastung vermeiden helfen. Wenn dies als Präventionsziel formuliert wird, ließen sich entsprechende Programme flächendeckend fördern.

Bernd W. Böttiger ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Rates für Wiederbelebung (GRC) und Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Köln.
Sabine Wingen ist Vorstandsreferentin beim GRC und Projektmanagerin an der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Universität Köln.
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