Medizinprodukte

Zurück zum Gesundheitsressort

Patientensicherheit vor Marktinteressen: In der künftigen EU-Kommission soll nicht mehr der Binnenmarkt-Kommissar für die Medizinprodukte zuständig sein. Diese obliegen künftig wieder dem Gesundheits-Kommissariat. Von Thomas Rottschäfer

EU-Kommissionspräsidentin

Ursula von der Leyen hat Stella Kyriakides als neue Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit nominiert. Die Gesundheitspolitikerin aus Zypern löst Vytenis Andriukaitis aus Litauen ab. Die 63-Jährige hat Psychologie studiert und war 27 Jahre lang im Gesundheitsministerium Zyperns tätig. Über ihr Heimatland hinaus wurde sie durch ihr Engagement in der Brustkrebs-Prävention bekannt. So hat sie für den Europarat eine Kampagne zur Sensibilisierung für diese Erkrankung organisiert. Kyriakides tritt zum 1. November ein Amt mit mehr Kompetenzen an. Ursula von der Leyen hat das Gesundheitsressort deutlich aufgewertet. Die Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (DG SANTE) bekommt die Zuständigkeit für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika zurück. Auch Bereiche der Biotechnologie wandern zur DG SANTE.

Neuer Zuschnitt sinnvoll.

„Das ist ein konsequenter Schritt im Sinne der Patientensicherheit und auch ein Erfolg für den AOK-Bundesverband“, freut sich der Vertreter der AOK in Brüssel, Evert Jan van Lente. „Wir haben mit unseren Partnern auf Europaebene immer wieder darauf gedrängt, die vor fünf Jahren beschlossene Verschiebung der Medizinprodukte ins Binnenmarkt-Ressort (DG Binnenmarkt) rückgängig zu machen.“ Für den scheidenden Kommissionschef Jean-Claude Juncker spielte die Gesundheitspolitik stets eine untergeordnete Rolle. Dass 2014 auch die Verantwortung für die Arzneimittelzulassung bei der DG Binnenmarkt landete, scheiterte allerdings an massiven Protesten – auch aus dem EU-Parlament.

Durch die Umsetzung der EU-Medizinprodukteverordnung erhält das Bundesinstitut für Arznei­mittel und Medizinprodukte als zuständige Bundesoberbehörde mehr Kompetenzen. Es kann künftig bei entsprechender Risikobewertung eines Medizinprodukts selbst notwendige Maßnahmen festlegen und umsetzen. Bisher konnte die Bonner Behörde nur Empfehlungen an die zuständigen Bundesländer aussprechen. Zudem soll eine eigene Ethikkommission in das Bewertungsverfahren für neue Medizinprodukte einbezogen werden. Die Europäische Datenbank für Medizinprodukte wird zur Informations- und Austauschplattform für alle EU-Länder ausgebaut.

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Die Entscheidung über die Rückkehr der Medizinprodukte zur DG SANTE hängt aus Sicht des AOK-Europaexperten van Lente auch damit zusammen, dass die DG Binnenmarkt die Umsetzung der EU-Medizinprodukteverordnung unzureichend vorangetrieben hat. Nicht zuletzt dadurch gebe es jetzt eine Diskussion über Fristverlängerungen.

Die über fünf Jahre ausgehandelte Medizinprodukteverordnung trat im Mai 2017 in Kraft. Im Mai 2020 läuft die zweijährige Übergangsfrist aus. Für die In-Vitro-Diagnostika gilt diese Übergangsfrist noch bis 2022. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat allerdings eine Verlängerung der Medizinprodukte-Übergangsfrist bis 2024 angeregt. Sein Argument: Viele der als „Benannte Stellen“ bezeichneten Zertifizierungsstellen für Medizinprodukte sind von der EU-Kommission noch nicht zugelassen worden. In Deutschland zählen unter anderem TÜV und DEKRA zu den „Benannten Stellen“.

Fristverlängerung kritisch.

Mit Blick auf die Patientensicherheit lehnt die AOK eine generelle Fristverlängerung ab. „Allenfalls für eine kleine Gruppe von Medizinprodukten mit niedrigem Risiko, die bisher keine Zertifizierung benötigten, könnte eine Fristverlängerung sachgerecht sein“, sagt van Lente. Auf Anregung des AOK-Bundesverbandes will sich nun auch der Dachverband der Sozialversicherungen auf EU-Ebene (ESIP) entsprechend positionieren.

Unterdessen hat das Bundesgesundheitsministerium einen Entwurf zur Anpassung deutscher Gesetze und Verordnungen an die EU-Vorgaben vorgelegt. Mit dem „Medizinprodukte-Durchführungsgesetz“ soll auch die „Medcrime-Convention“ des Europarates umgesetzt werden. Dieses Übereinkommen richtet sich gegen Produktfälschungen und andere kriminelle Handlungen, die eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit darstellen.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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